“Über den 1. und 2. Mai 1933 zu sprechen, bedeutet, weniger über die Nazis als über uns selber zu sprechen”

Veranstaltung zum 70. Jahrestag der Gewerkschaftshausbesetzung

Am 8. Mai fand im Kieler Gewerkschaftshaus eine Veranstaltung statt, mit der an die Besetzung der deutschen Gewerkschaftshäuser durch die Hitlerfaschisten am 2. Mai 1933 erinnert wurde. Der Blick in die Geschichte sollte helfen, die Herausforderungen für die heutige Gewerkschaftsbewegung zu bestehen.
Nach einer Darstellung der Ereignisse vor 70 Jahren durch den Kieler Historiker Bernd Liesching widmeten sich die Gewerkschafter Peter Werner (IG Metall Kiel) und Rolf Becker (ver.di Hamburg) der politischen Bewertung des damaligen Geschehens und den praktischen Konsequenzen für die aktuelle Gewerkschaftsarbeit. “Anpassung führt zum Untergang” – diese Überschrift der Veranstaltungsankündigung im antifaschistischen Infoblatt “Tacheles” gilt unter veränderten Voraussetzungen heute ebenso wie damals.

In der Geschichte der deutschen Gewerkschaften gebe es kein vergleichbares Ereignis zum 1. und 2. Mai 1933, hob Peter Werner hervor. Seine deutliche Kritik an der kapitulantenhaften Politik des ADGB versetzte manch jüngeren Besucher der Veranstaltung in Erstaunen – so deutliche Worte von einem offiziellen Gewerkschaftsvertreter hatten sie offensichtlich nicht erwartet. Peter Werner stellte einen erhellenden Vergleich von Forderungen der Unternehmerverbände heute mit denen des Reichsverbandes der deutschen Industrie damals an und forderte verstärkte Gegenwehr. “Über den 1. und 2. Mai 1933 zu sprechen, bedeutet, weniger über die Nazis als über uns selber zu sprechen”, erklärte er, und: “Die Arbeitnehmer lieben keine erfolglosen Gewerkschaften”. Seit 1995 seien die Gewerkschaften in verschiedenen Bündnissen (“für Arbeit”) mit den Unternehmern – “wenn sie was gebracht haben, dann Verschlechterungen”. Was wir heute erleben, das sei “der alte Imperialismus, sind die alten Kolonialkriege”. “Wir haben aber auch einiges gelernt in den letzten Monaten” - er brachte Beispiele von Aktionen und zukünftigen Vorhaben, die Gefolgschaft gegenüber der Bundesregierung aufzukündigen und die Mitglieder der Gewerkschaften für eine andere Politik, gegen die Pläne der Unternehmer und der Bundesregierung, in Bewegung zu bringen.

Rolf Becker erklärte zu Beginn seines Vortrags, eine Gleichsetzung der heutigen Verhältnisse mit denen 1933 sei nicht angebracht. Aber Parallelen seien vorhanden: “Mit der Agenda 2010 sind wir zwischen der Regierung Müller (der letzten sozialdemokratischen Regierung der Weimarer Republik – D.L.) und Brünings Notverordnungen.” Mit Blick auf die geschichtlichen Ereignisse unterstrich er die Bereitschaft der Unternehmer, zur Sicherung ihrer wirtschaftlichen Macht die Errichtung einer Diktatur zu fördern. Die Unternehmer hätten sich 1933 angesichts einer drohenden Revolution durch die Arbeiterschaft für die Stärkung der Konterrevolution entschieden: “Die Unternehmer geben die direkte politische Herrschaft mit der Demokratie auf zugunsten der Nazis, die ihnen die wirtschaftliche Macht sichern.” Rolf Becker legte in seinen Ausführungen zur aktuellen Situation mehr Wert auf die Versäumnisse und Inkonsequenzen gewerkschaftlicher Politik bei der tatsächlichen Organisierung von Widerstand gegen die Politik der Schröder-Regierung. Er rief dazu auf, den 1. Juni zu Protesten vor dem SPD-Sonderparteitag in Berlin zu nutzen. (Siehe Aufruf in dieser Zeitung.) In der folgenden Aussprache, die trotz der späten Stunde an einem Werktag recht lebhaft war, konnten die vielen diskussionswerten Gewichtspunkte nur angerissen werden. Es ging um die Bewertung der damaligen Situation – gab es überhaupt noch Chancen zu einer revolutionären Erhebung? Wann und warum wurden entscheidende Möglichkeiten zur Niederschlagung der Nazibewegung verpasst? Ist die Charakterisierung des Verhältnisses Unternehmer – Nazis richtig? - ebenso wie um die konkreten Möglichkeiten heute, über die Wiederholung richtiger Losungen hinausgelangend tatsächlich Ansatzpunkte zur Entwicklung von Widerstand in den Betrieben und unter Einbeziehung der in die Erwerbslosigkeit gezwungenen Menschen zu finden und zu nutzen.

Diese Debatte sollte auch in der LinX fortgesetzt werden. Vielleicht könnten auch Darstellungen und Anmerkungen zu den vielen anderen “70. Jahrestagen”, zu wichtigen Ereignissen 1933 hilfreich sein; es hat sich wieder einmal gezeigt, dass die Kenntnis der geschichtlichen Vorgänge, unserer eigenen Geschichte, der Erfahrungen, auf denen wir heute aufbauen müssen, doch recht beschränkt ist. Mal sehen, was sich machen lässt.

(D.L.)