G-8-Mobilisierung gegen den sozialen Krieg
 

Nach dem durchschlagenden Erfolg der französischen Demonstrationen gegen die Renten“reform“ und andere soziale Rückschritte vom Dienstag letzter Woche ist es riskant geworden, Prognosen darüber zu treffen, welche Auswirkungen der G-8-Gipfel Anfang Juni in Frankreich haben wird.
Einerseits haben gewerkschaftliche Aktivisten derzeit alle Hände voll zu tun mit den Mobilisierungen gegen die antisozialen „Reform“programme der Regierung Raffarin: Am Montag nach Redaktionsschluss war bereits ein erneuter Aktions- und Demotag der öffentlich Bediensteten. Und am Sonntag, den 25. Mai will die CGT mehrere hunderttausend Protetestierende aus ganz Frankreich zu einem zentralen, einheitlichen Demozug in Paris mobilisieren. Denn am 28. Mai soll das Kabinett den Gesetzentwurf zum Rentensystem verabschieden.

Deswegen ist es möglich, dass der G-8-Gipfel in den Aktionskalendern vieler GewerkschafterInnen zwischen zahlreichen anderen Terminen untergeht. Andererseits ist es aber sehr gut möglich, dass es – genau umgekehrt – zu einem gegenseitigen Verstärkungseffekt beider Mobilisierungen kommt. Zumindest in einem mittleren Radius rund um den Veranstaltungsort in Savoyen – das würde auch den Großraum Lyon umfassen – dürfte das Treffen der Vertreter der wirtschaftlich Mächtigsten dieser Welt auch auf das, in diesen Tagen besonders sensibilisierte, gewerkschaftliche Spektrum ausstrahlen. Über das Ausmaß der Mobilisierierung werden die allerletzten Tage vor dem 1. Juni entscheiden.

Bisher haben die Gegenaktivitäten zum G8-Gipfel vor allem zwei gesellschaftliche Träger. Da ist zum einen die Antikriegsbewegung der letzten Monate, und innerhalb dieser Bewegung vor allem ihr linker bis linksradikaler Teil, der sich in den ACG-Kollektiven (Agir contre la guerre, Handeln gegen den Krieg) kristallisierte. Die ACG-Kollektive im Großraum Paris sind derzeit führend dabei, wenn es um das Organisieren von Busreisen in Richtung Annemasse/Evian am letzten Maiwochenende geht. Das zweite Standbein ist bisher das so genannte globalisierungskritische Spektrum, rund um die Organisation Attac. Dabei wird die Frage der Orientierung der Proteste aufgeworfen, denn bisher bleibt Attac Frankreich bei ihrer "Janusköpfigkeit". Sie versucht, Träger einer sozialen Bewegung einerseits (in ihr sind zahlreiche Gewerkschaften organisiert, darunter auch etwa die staatsfernen linken Basisgewerkschaften SUD) zu sein. Andererseits möchte Attac aber auch gerne als Politikberaterin ernst genommen werden, die den etablierten Politikern den Weg dahin weist, wie sie Spielräume der (nationalstaatlichen) „Regulierung“ gegen die "entfesselten Märkte" zurückerlangen können.

Mit diesem Zwiespalt spielt derzeit auch die konservative Regierung. Sie setzt ihrerseits auf eine Doppelstrategie: Einerseits sucht sie nach möglichst starker Einbindung sozialer Bewegungen und Organisationen. So empfing Staatspräsident Jacques Chirac persönlich am 30. April Abordnungen, die eine ganze Spannbreite sozialer Organisationen vertreten. Das Spektrum reichte von Vereinigungen von Kommunalparlamentariern, das Rote Kreuz und Amnesty international über katholische Organisationen der Dritte-Welt-Solidarität bis hin zu Attac, Greenpeace oder der (recht aktiven und militanten) AIDS-Hilfeorganisation Act Up. Dabei strich Jacques Chirac seine eigene Besorgnis um das Wohlergehen des Südens, seine Bemühungen um weltweite Demokratie usw. heraus. Aus diesem Anlass fiel der seit einem halben Jahr amtierende, französische Attac-Vorsitzende Jacques Nikonoff – je nach Sichtweise, unangenehm oder nicht – auf, als er Chirac auf sehr „konstruktive“ Weise zunächst zu seiner Position im Golfkrieg gratulierte und ihm noch nachträglich die „volle Unterstützung“ seiner Vereinigung aussprach. Das wurde nicht dadurch besser, dass Nikonoff – der Wirtschaftswissenschaftler gehört der KP an, in der er einen von den Strömungen unabhängigen, indivuellen Standort einnimmt – Chirac anschließend aufforderte, seine „Aktion gegen den US-Krieg“ jetzt auch auf die Innenpolitik zu übertragen. Nämlich, indem er dafür Sorge trage, dass die Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht vom „angelsächsischen Liberalismus“ inspiriert werde. Nun lässt sich die Kapitaloffensive wohl nicht auf einen ausländischen, und sei es US-amerikanischen, Einfluss reduzieren... Seitens von Attac ist damit eher mit einem staatstreuen, und scharfe Konfrontationen zu verhindern suchenden, Vorgehen zu rechnen. Aber das ist nicht völlig neu.

Auf der anderen Seite werden die Sicherheitsvorkehrungen rund um Evian zunehmend drastisch verschärft.  In einem Umkreis von über 20 Kilometern rund um Evian wird eine „rote Zone“ eingerichtet, die als Sperrgebiet gilt. Vorgefertigte Schnellbauten werden derzeit nahe am Genfer See installiert, um das Festhalten einer größeren Zahl von Festgenommenen zu ermöglichen. Denn eine Reihe von Gruppen - aus der Anti-Prekaritäts- sowie der Alterglobalisierungs- Bewegung (so heißt in Frankreich die linke "Antiglobalisierungs-"Bewegung, unter Bezug auf eine "alternative Globalisierung", um den internationalistischen Charakter zu unterstreichen) – werden dennoch versuchen, nach Evian zu gelangen, um vom 1. bis zum 3. Juni den Ablauf des Gipfels zu blockieren und zu beeinträchtigen. Zugleich wurde bereits publik, dass „schwarze Listen“ von politisch verdächtigen EU-Bürgern angewendet würden, denen – als „Demotouristen“ – die Einreise nach Frankreich verweigert würde. Ähnliches wurde auch in der Schweiz bekannt.

Die in breiterem Rahmen angelegten Gegenaktivitäten werden aufgrund der widrigen örtlichen Gegebenheiten nicht im – auf drei Seiten durch die Berge oder den See unzugänglichen – Evian, sondern im rund 30 Kilometer entfernten Annemasse stattfinden. So das „alternative intergalaktische Dorf“, bei dem es um Themen wie die jüngsten imperialistischen Kriege, um die Ausplünderung des globalen Südens, aber auch um den Abbau sozialer Rechte im Norden gehen soll. Das Programm bitten wir unsere Leser, der Homepage www.vaaag.org (oder auch www.village-intergalactique.org) zu entnehmen. Das Dorf wird vom 28. Mai bis zum 3. Juni funktionieren. Bereits vor dem eigentlichen Mobilisierungs-Wochenende (31. Mai/ 1. Juni), dessen Höhepunkt die – hoffentlich riesige – Demonstration am Sonntag, 1. Juni zwischen Genf und Annemasse bilden wird, findet für Diskussionsfreudige mit etwas mehr Zeit und Informationshunger im Gepäck vom 29. bis 31. Mai in Annemasse ein „Gegengipfel“ statt. Ein ausführlicheres Programm wird in Bälde auf www.g8-autremonde.org zugänglich gemacht werden. Und zum Ausspannen gibt es am Samstag Abend ein Konzert und ein Happening, bei dem „Feuer an den See“ gelegt werden soll (www.anti-g8.org).

   (Bernard Galichon, Paris)