Herr, send' Hirn!

Die MitarbeiterInnen der Kieler Nachrichten wissen wirklich Bescheid. Von A wie Anwohnerparkplätze am Kleinen Kiel bis Z wie Zersägen der Palisaden am Blücherplatz weisen sie sich als kundige MeisterInnen des investigativen Journalismus aus. Doch auch Starschreiberlinge haben mal schwarze Tage. "Wir sind für ihren Hinweis außerordentlich dankbar", schrieb die KN denjenigen LeserInnen, denen es mehr als sauer aufgestoßen war, auf der Todesanzeigenseite leicht chiffrierte Nazi-Grüße zu lesen. Von einem "Kameraden" wurde sich dort mit einem kernigen "Rest in peace - 88" verabschiedet. Dass "88" in Verbindung mit "Kameraden" mit hoher Wahrscheinlichkeit als Akronym für "Heil Hitler" (8 = achter Buchstabe des Alfabets) steht, scheint den für den Abdruck von Todesanzeigen Verantwortlichen entgangen zu sein. Aber warum sollte man auch von der Tageszeitung einer Landeshauptstadt etwas Grundwissen zum Thema Nationalsozialismus und Neofaschismus erwarten? Wer Bauwagensiedlungen reflexartig mit rechtsfreien Räumen gleichsetzt oder als Kielius die Leser mit launigen Anekdoten zum Thema Elektrogrill langweilen muss, hat wahrscheinlich genug anderes im Kopf.

Ein weiterer Grund für diese Inkompetenz der Kieler Nachrichten könnte vielleicht in der Tatsache liegen, dass ihre Vorgängerin, die "Kieler Neuesten Nachrichten" von 1933-45 das offizielle Blatt der Kieler NSDAP war und man sich damals schon so am Thema abgearbeitet hat, dass es für die nächsten 100 Jahre reicht.

Wer schon immer wissen wollte, was den Schriftsteller Martin Walser so umtrieb, als es ihn noch nicht ankotzte, "jeden Abend im Fernsehen an Auschwitz erinnert zu werden", kann es hier erfahren: "Das Konservendosenhafte Liz Taylors oder das Liz Taylorhafte Romy Schneiders immunisiert mich vollkommen gegen den Gestütsnaturalismus Brigitte Bardots", schrieb Walser Anfang der 80er unter dem Titel "Zauber und Gegenzauber". Ein blödes Gedicht - keine Frage, nur weitaus harmloser als das verantwortungslose Einschlagen auf Ignatz Bubis. Allerdings rief Ersteres auch nicht solche Beifallsstürme der gesamten deutschen Öffentlichkeit hervor wie Letzteres. Lediglich Hermann L. Gremliza hat es abgedruckt - in seiner Sexualität-konkret-Ausgabe von 1981. Sachen gibt's ...

Wer wiederum schon immer wissen wollte, warum PolitikerInnen der Grünen, gerade das tun, was sie tun, findet freundlicherweise Antwort in der Erklärung von Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin, und Klaus Müller, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen vom 26.9.: "Rot-Grün handelt heute für morgen, damit wir unseren Kindern eine friedliche, lebenswerte Umwelt und einen handlungsfähigen Staat übergeben." O.K., Grüne, aber ein großer Teil eurer ehemaligen WählerInnen scheint genau das entweder gar nicht zu wollen, oder traut euch das einfach nicht zu. "Das nehmen wir sehr ernst." Schön, schön, aber wenn ich öffentliche Bundeswehrgelöbnisse möchte, Mittelstandsförderung für enorm wichtig halte, und auf deutschen Militäreinatz in aller Welt stehe, brauche ich doch nicht unbedingt euch zu wählen. Die anderen Parteien - außer die PDS - haben sich um diese Dinge doch schon gekümmert, als Petra Kelly samt Gatte noch "we shall overcome" singen konnte und Baldur Springmann die Versöhnung von Faschismus und Ökologie ausprobierte. "Wir sind von unserem Projekt überzeugt. Zu Rot-Grün gibt es keine Alternative." Schade eigentlich!

(cs)