Ökologie

Deichen oder weichen?

Nationalparkgesetz wird novelliert

Schleswig-Holstein streitet mal wieder heftig um seinen Nationalpark an, oder besser vor der Westküste des Landes, dort, wo sich die Nordsee nicht richtig entscheiden kann, ob sie nun Meer oder doch lieber Land sein will. Im Landtag findet sich derzeit ein Gesetz zur Novellierung des Nationalparkgesetzes in den Beratungen. Während die rosa-grüne Landesregierung das Schutzgebiet ausweiten will, fürchten Fischer um ihre Fangrechte. Der Streit hat längst hysterische Formen angenommen. Mahnfeuer werden angezündet, und hört man die Gegner der Novelle, so kann leicht der Eindruck entstehen, die einzige an der Westküste vom Aussterben bedrohte Art sei der Mensch. Aber an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste hat man seit langem eine ganz besondere Einstellung zum Umweltschutz: St. Peter Ording auf der Halbinsel Eiderstedt dürfte der einzige Ort in Deutschland sein, wo man auch heute noch auf dem Strand sein Auto parken darf. Die Regelung, die eigentlich längst hätte auslaufen sollen, wurde dieser Tage mal wieder verlängert. Umweltminister Steenblock (Die Olivgrünen) rühmt den Kompromiss, der gefunden wurde: Der Nationalpark wird an der Spitze Eiderstedts, wo St. Peter Ording liegt, bis an die Küstenlinie ausgedehnt. Die Autos dürfen dort weiter parken, mit dem Unterschied, dass das jetzt nominell im Schutzgebiet ist. Dafür wird eine Mark pro Auto für den Umweltschutz ausgegeben.

Das alte Nationalparkgesetz war 1985 noch unter der CDU eingeführt worden. Damals lagen zum ersten Mal Schutzgesetze für das Wattenmeer vor, jenes einzigartige Ökosystem, das durch den Wechsel aus Ebbe und Flut in den flachen Gewässern vor der Küste geschaffen wird. Zweimal sechs Stunden am Tag fällt es trocken und beherbergt eine unglaubliche Vielzahl von Lebensformen. Sein Artenreichtum kann sich mit dem tropischer Regenwälder messen. Viele Fischarten haben hier ihre Kinderstube, für Zugvögel aus Skandinavien ist es unverzichtbare Zwischenstation. Die Bedeutung des Wattenmeers reicht also weit über die unmittelbare Nachbarschaft hinaus.

Auch für die Küstenbewohner spielt das Wattenmeer eine wichtige Rolle, v.a. für Tourismus und Fischerei. Auf den Halligen, die ebenfalls zum Nationalpark gehören, wird zwar Landwirtschaft betrieben, aber ihre Bewohner haben auch erhebliche Einnahmen aus dem Tourismus. Vor allem die Fischer protestieren gegen die Pläne der Landesregierung. Sie befürchten durch die erstmalige Ausweisung einer sog. Nullnutzungszone weniger Fänge.

Andere, wie der Verein Schutzstation Wattenmeer, begrüßen hingegen die Novelle, z.T. geht sie ihnen nicht weit genug. Den Fischern halten die Wattenschützer vor, dass es bisher trotz Nationalpark kaum Wattflächen oder Priele gibt, die sich natürlich entwickeln können. Priele nennt man die Rinnen, in denen das Wasser bei Ebbe abfließt und bei Flut aufläuft. Noch immer, so der Verein, stehe jeder Quadratmeter Wattboden, selbst in den absoluten Ruhezonen, den Fanggeschirren der Fischer offen. Die Muschelfischerei sei sogar seit Bestehen des Nationalparks drastisch intensiviert worden. Im Laufe dieses Jahrhunderts sind bereits zahlreiche Fischarten und ganze Lebensgemeinschaften aus dem Wattenmeer verschwunden, z.B. Stör, Nagelrochen, Austernbänke, Sandkorallenriffe und tief liegende Seegraswiesen.

Die von der Landesregierung geplante Nullnutzungszone südlich des Hindenburg-Damms, der Sylt mit dem Festland verbindet, halten die Naturschützer für nicht ausreichend. Sie fordern die Einrichtung je einer nutzungsfreien Zone im nordfriesischen und dithmarscher Teil des Nationalparks. Diese sollten nach ihren Vorstellungen jeweils einen kompletten Wattstrom samt seiner dazugehörigen Priele und Wattflächen umfassen.

Der Widerstand der Fischer, die Ende August gar mit einem Kutter-Corso durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Kiel zum Protestieren kamen, ist um so unverständlicher, als die Landesregierung die traditionellen Fangrechte auf Fisch und Krabben nicht einschränken will. Das vorgesehene Nullnutzungsgebiet umfasst lediglich 2% der ganzen Nationalparkfläche. Für die Teile dieses Gebietes, in denen zur Zeit noch Saatmuschelfang betrieben wird, sollen Ausgleichsflächen zur Verfügung gestellt werden.

Einer der Fischer, der Ende August den langen Weg nach Kiel machte, gab denn auch gegenüber den KN zögernd zu, dass es mehr ums Prinzip geht. "Wehret den Anfängen", wenn sie bald nur noch auf 98% der Wattfläche fischen können, dann könnte es vielleicht irgendwann noch weniger werden.

Etwas ernsthafter sind da schon die Bedenken, die aus der Sicht des Küstenschutzes vorgetragen werden. Die Bewohner der Nordseeküste leben seit vielen Generationen mit der Bedrohung durch Sturmfluten. Das Bedürfnis nach Sicherheit hinter hohen Deichen ist groß. Und zwei Deiche halten besser als einer. Immer wieder hat man daher in der Vergangenheit Land dem Meer durch Eindeichung abgewonnen und so Wattenboden trocken gelegt bzw. Überflutungswiesen vom Meer abgeschnitten. Zuletzt in der Nordstrander Bucht in den 80er Jahren, was seinerzeit sehr umstritten war.

In den kommenden Jahrzehnten wird man wahrscheinlich vor einem Dilemma stehen. Die alten Deiche müssten eigentlich erhöht werden, da die Sturmfluten weiter steigen werden, was in der Forschung unumstritten ist. Doch der weiche Marschboden könnte höhere Deiche nur tragen, wenn sie gleichzeitig erheblich verbreitert werden. Land, dass dem Watt verloren ginge. Außerdem müssten die erheblichen Erdmassen dem Watt entnommen werden, was das Ökosystem zusätzlich belastet.

Das gerät schließlich auch durch den Meeresspiegelanstieg in Gefahr, der in der Nordsee nicht nur durch den Treibhauseffekt hervorgerufen wird, sondern auch eine Spätfolge der letzten Eiszeit ist. Der mehrere Kilometer mächtige Gletscher, der ganz Skandinavien bedeckt hatte, hat dort den Erdboden mehrere hundert Meter tief abgesenkt. Quasi zum Ausgleich dazu wurde der Boden in der weiteren Nachbarschaft des Eisschildes aufgewölbt. Derzeit erleben wir die entgegengesetzte Ausgleichsbewegung, wodurch sich der Nordseeboden senkt und Skandinavien (und der Meeresboden der Ostsee) hebt.

Ließe man der Natur ihren Lauf, so würde das Meer landeinwärts wandern und das Watt mit ihm. Aber Küstenschutz ist an der deutschen Nordseeküste heilig. So wird man also wahrscheinlich eher das Watt opfern (und damit auch unschätzbare Fischbestände) und noch weitere Milliarden in den nächsten Jahrzehnten in den Deichbau stecken. Genauso wie schon heute Jahr für Jahr ansehnliche Millionen-Beträge in den Erhalt Sylts gesteckt werden, das das Pech hat, an einer Stelle zu liegen, wo die Meeresströmungen die Insel nicht mehr vorgesehen haben.

(wop)