Internationales

Südkorea:

Das Schweigen wird gebrochen

"Flugzeuge kamen und ließen Bomben auf uns regnen. Immer wieder tauchten sie im Tiefflug über uns hinweg und schossen. Die Menschen versuchten, sich im Gebüsch zu verstecken. Viele starben." Chung Koo-shik, der das Geschehen einem AP-Reporter schildert, war 16 und mit seiner Familie auf der Flucht vor dem Krieg. Der Korea-Krieg war erst wenige Tage alt. Nordkoreanische Truppen waren in den Süden einmarschiert, um das unpopuläre, von den USA eingesetzte Regime in Seoul zu stürzen. Doch das konnte sich auf amerikanische Truppen stützen.

"Es regnete Dreck und Steine. Ochsenkarren brannten. Über all lagen tote Menschen und Kühe", erinnert sich eine andere Überlebende, die 75jährige Lee Yoo-ja, an den Angriff auf den Flüchtlingstreck bei dem kleinen Weiler No Gun Ri im Südwesten des Landes. Es war Anfang Juli 1950. Die Flugzeuge trugen das Emblem der US-Airforce. Die Menschen suchten in einem Gewölbe unter einer Eisenbahnbrücke Schutz. Doch da eröffneten Bodentruppen das Feuer auf sie: "Ich dachte, es wäre sicher, doch dann schossen sie von beiden Seiten auf uns", erinnert sich Yang Hae-sook, die in No Gun Ri ihre Großmutter, einen kleinen Bruder, Onkel und Tante sowie zwei Cousinen verlor.

Drei Tage lang belagerten die Soldaten des 7. US Kavallerie-Regiments die Flüchtlinge. 400 Menschen kamen bei No Gun Ri um. Fast 50 Jahre später waren amerikanische Reporter in Washingtoner Archiven auf Dokumente gestoßen, die Hinweise auf das Greuel enthielten. Sie befragten US-Veteranen, die dabei waren. Mancher Befragter wollte nicht erinnert werden: "Ich denke nicht, dass das jemanden etwas angeht", beschied einer die unbequemen Frager. Andere, so berichteten koreanische Zeitungen Anfang des Monats, waren froh, sich endlich eine Last von der Seele reden zu können.

In Südkorea sorgen die Veröffentlichungen für einiges Aufsehen. Jahrzehnte lang waren die grausamen Ereignisse des Korea-Krieges ein Tabu-Thema. Militärdiktatoren hatten das Land im eisernen Griff. Erst mit dem Erstarken der demokratischen Opposition in den 80ern wurde es möglich, auch eine andere als die offizielle Version zu vertreten, die Schuld und Verbrechen allein beim Erzfeind im Norden ausmachte. Aber auch heute noch macht sich jeder, der nach der Wahrheit fragt, schnell der "kommunistischen Propaganda" verdächtig, wie der Kölner Journalist Ulrich Schauen noch 1997 feststellen konnte, als er für den WDR einen Beitrag über die Teilung des Landes recherchierte. "Meinungen, die von der offiziellen Interpretation der Geschichte abweichen", so Schaum in einem Beitrag für das KoreaForum, "werden klein gehalten. Sie können als staatsgefährdend gemäß dem Nationalen Sicherheitsgesetz interpretiert werden". Seine Interviewpartner, darunter einige der wenigen überlebenden Oppositionellen, die nach dem Krieg im Süden geblieben waren, wurden von der politischen Polizei massiv unter Druck gesetzt. Das Nationale Sicherheitsgesetz ist heute noch, fast zwei Jahre nach der Wahl der einstigen demokratischen Hoffnung Kim Dae-jung, in Kraft und dient auch unter seiner Regierung weiter zur Verfolgung unbotmäßiger Studenten und Gewerkschafter.

Das Massaker von No Gun Ri war die logische Folge einer Besatzungspolitik, die sich nur auf eine kleine Schicht der koreanischen Gesellschaft stützen konnte, die Grundbesitzer. Als im Herbst 1945 Japan kapitulierte, hatte ganz Korea aufgeatmet. Vierzig Jahre lang hatte das Land unter einem drakonischen Kolonialregime gestöhnt. Im Krieg hatten die Koreaner hungern müssen, damit die japanische Armee genug zu essen hatte. Tausende waren als Zwangsarbeiter und -prostituierte verschleppt worden. Nach der Kapitulation besetzte die Rote Armee den Norden, während sich die Amerikaner mit der Landung einige Wochen Zeit ließen, in der die Bevölkerung eine eigene Verwaltung aufbaute, eine Landreform begann und Kollaborateure bestrafte. Man kann sich die Verbitterung vorstellen, die herrschte, als die endlich eingetroffenen Besatzungsbehörden sich weigerten, mit den Volksvertretern auch nur zu sprechen. Stattdessen setzten sie die alte Kolonialvertretung einschließlich der verhassten Polizei wieder ein und machten die Landreform rückgängig. Politische Parteien und Gewerkschaften wurden unterdrückt. Korea, das erste Opfer der japanischen Aggressoren, wurde schlimmer behandelt als Japan, wo die US-amerikanische Militärverwaltung den Aufbau von radikalen Gewerkschaften zunächst aktiv unterstützte.

In weiten Teilen der Bevölkerung war die Unzufriedenheit groß. Als 1948 die Amerikaner einen südkoreanischen Separat-Staat einrichten, kommt es auf der größten Insel des Landes, Cheju, zu einem Guerilla-Aufstand. Die 1945 gegründeten Volkskomitees waren hier besonders stark verankert. Von den Amerikanern ausgerüstete Truppen schlagen die lokale Rebellion mit einer Politik der verbrannten Erde blutig nieder. Mehr als die Hälfte der Dörfer wird verbrannt. Von den 300.000 Bewohnern der Insel fallen bis zu 80.000 Terror und Hunger zum Opfer.

Als die nordkoreanischen Truppen im Juni 1950 den 38. Breitengrad überschritten, waren sie folglich für nicht wenige eher Befreier als Eroberer, zumal sie dort, wo sie sich für einige Wochen etablieren konnten, sofort an die Verteilung des Landes gingen. Die US-Amerikaner und ihre südkoreanischen Verbündeten von der äußersten Rechten reagieren mit dem entsprechenden Terror: Tausende politischer Häftlinge werden ermordet. Aber auch Aufständische und Nordkoreaner gehen mit ihren Gegnern nicht zimperlich um. Viele Familien haben Opfer auf beiden Seiten zu beklagen. Dem Massaker von No Gun Ri folgen zahllose weitere, bis der Krieg 1953 schließlich mit einem Patt endet.

Das Regiment, das in No Gun Ri eingesetzt wurde, konnte 1950 übrigens bereits auf eine besonders blutige Geschichte zurückblicken. Ende des 19. Jahrhunderts war es unter dem berüchtigten General George A. Custer für zahlreiche blutige Massaker an den nordamerikanischen Indianern verantwortlich, u.a. auch für das letzte am Wounded Knee Creek Weihnachten 1890 nach der Ermordung Sitting Bulls.

(wop)