Kultur

DAS GE BRECHEN in der Tanzdiele

Im Spalt der Silben

Bei der Spaltung von Atomkernen werden bekanntlich unerhörte Energien frei. Gesa Johannssen alias "DAS GE BRECHEN" gewinnt ähnlich viel Megaelektronenvolt an lyrischer Energie aus dem Spalten von Worten. In den Synapsen zwischen den Silben entdeckt sie die Poesie als Botenstoff. Das Verfahren ist simpel und doch von erstaunlicher Wort-Gewalt: Trenne ein Wort an den Silbengrenzen und lausche assoziativ dem Klang und der neuen Bedeutung der entstehenden Partikel. Aus schmerzhaften Psychosen werden so "Psycho-Seen", in denen sich wohlig entspannt baden lässt. Ins Paradies gelangst du mit dem Treibstoff "Para-Diesel", locker ziehst du dort die "Messi-Asse" aus dem Ärmel, und die "Fick-tief-ität" solchen "Schall-Maiens" entführt dich ins "vers-wunschene Land", in den "Palast der Silben".

Eine "Reise zum Planeten Ge-Linde" oder auf die Wortfeldinsel "Fee-Marn" nennt die Hamburger Lyrikerin solche Wandlungen der Worte auf dem "Testfeld der Halluzinationen". Ähnlich der "ecrire automatique" der Surrealisten überlässt sie sich ganz dem freien Silben-Sampling und führt dabei die Worte auf das zurück, was sie eigentlich sind: Klang, der in seiner Reduktion auf sich selbst frei wird zu neuer Bedeutung. Diese "Landnahme im linguistisch-limbischen System" entfesselt auf der mikrokosmischen Ebene des einzelnen Worts die Megatonnen-Sprengkraft eines ganzen Gedichts. Und das ist neben der Stärke auch die Schwäche dieser Haarspalterei in den Silbenfugen. Spätestens nach einer Viertelstunde syllabisch-sibyllinischer Kaskaden ermattet das Ohr des Zuhörers, wird zugemüllt vom Schwall der Assoziationen, die zuweilen doch allzu naheliegend weithergeholt erscheinen.

Das zeigefingernde Be-Deuten implodiert - was ja womöglich die eigentliche Absicht der Unternehmung ist - nach kurzer Zeit in reine Lautmalerei, in Musik. Die steuerten den dem Atonalen verwandten Wort-Metzgereien des "GE BRECHENS" zwei Musiker aus dem Umfeld des Hamburger Atonal-Tempels "Hörbar" bei: Hasy und Xyramat. Hasy laboriert mit Samples aus Science-Fiction-Soundtracks, etwa aus dem "Raumschiff Orion", und reiht Jingle-Motive zu poppenden Klanggemälden. Die Ex-Kielerin und seit kurzem Hamburgerin Xyramat zeigte sich diesmal weniger atonal als von rhythmischen Industrial-Sounds inspiriert. Neben den schwebenden Silben des "GE BRECHENs" bot dies einen seltsam kontrastierenden Soundtrack zu den Feierlichkeiten zum deutsch-tümelnden D-Day 9. November, den der stumme Fernseher in der Tanzdielen-Sofa-Ecke zeitgleich übertrug.

(jm)