Herr, send' Hirn!

Mancher Wahn ist einfach so nahe liegend, dass man mit einer Aufregung oder Frotzelei darüber nicht der Erste ist. Boris Beckers Bekenntnis auf und vor dem Bildschirm, er sei nunmehr "drin", und sein Erstaunen darüber, "wie einfach das geht", muss man einfach aufgreifen, selbst wenn Till und Obel darauf schon rumreiten und sich - nahe liegend - fragen, wo Bummbumm "drin" ist. Die Antwort ist einfach: im Netz von AOL. Aber wer wäre wie T & O nicht SchelmIn genug, dabei nicht auch Anderes zu assoziieren. Zumal Boris die gedankliche Brücke selbst baut, indem er wie Sexbombe Verona mit seiner vermeintlichen Dummheit Werbemillionen kassiert. Dabei muss allerdings auch konstatiert werden, dass es in den Zeiten von Männergruppen und post-feministischem Backlash inzwischen wirklich leichter ist, im Netz "drin" zu sein als woanders.

Nicht mit vermeintlicher Dummheit, sondern mit vermeintlicher Subversion will Benjamin von Stuckrad-Barre Werbegelder scheffeln. Der gefeierte Jungautor ist zwar ein arroganter Peinsack vor dem Herrn, aber die schöne Reihe der Titel seiner Bücher bringt doch ins Grübeln, welche third-order Ironie hinter all dem medialen Selbstinszenierungsrummel zur Entlarvung desselben stehen könnte: "Soloalbum", "Livealbum" und "Remix" heißen seine bisher vorgelegten Ejakulate. Das nächste Buch soll sinnig "Comeback" heißen. Irgendwie erinnert das an "Nachlass zu Lebzeiten", zumal BvSB auf den Postern, die derzeit all überall bei Peek & Cloppenburg hängen, ziemlich nachlässig dämlich in die Linse grinst. Der Kulturbetrieb, zumal der feuilletonistische, fragt da natürlich sofort nach und schwingt sich zum moralistischen Prostitutionswarner auf. BvSB jedoch schraubt eine weitere dialektische Windung ein: Nicht er werbe für P & C, P & C werbe für ihn! Man fragt sich wirklich, wem man da mehr Hirn vom Herrn wünschen soll, dem jungen Schnellschreiber oder den Sesselpupern des Feuilletons?

Vermutlich hilft hier nur streng dialektische Betrachtungsweise weiter, auch wenn man im Zeitalter der Postpostpostpost-Moderne nicht mehr weiß, ob Dialektik nicht auch schon irgendwie a priorisch post ante post ist. Die olle Ökolinke Jutta Ditfurth (das mit Benjamin gemeine "von" hat sie ebenso gecancelt wie einst Schwarzkanäler Schnitzler) legt derlei Torschlusspanik vor dem grundsätzlich verschossenen Elfmeter der dialektischen Erkenntnismethode nahe. Jutta ist jetzt nämlich in der "Neuen Revue" drin, sie schreibt dort eine ständige Kolumne. Drin im Netz regen sich darüber v.a. Graswurzeler auf. Sie wittern Verrat, denn: "Eine Woche ist wieder vergangen, Jutta Ditfurth ist natürlich wieder in der Neuen Revue. Dafür gibt es die Wehrmachtsausstellung erstmal nicht mehr, gegen die in der Neuen Revue gehetzt wurde." Der ursächliche Zusammenhang dieser beiden Ereignisse ist zwar nicht unmittelbar ersichtlich, dennoch ist die Frage: Darf mensch in einer Zeitung schreiben, die gegen die "Wehrmachtsausstellung" hetzt?

Schwerer aber noch wiegt für die graswurzelnden Wächter der politischen Moral die Tatsache, dass die NR auch Nackedeis zeigt - ohne dass sich JD dafür ausziehen müsste. Immerhin, so wird JD weiter zitiert, habe sie dem "Tagesspiegel" auf die Frage, warum sie für ein Sexblatt schreibe, eine "ganz schön tiefsinnige" (wir würden sagen: dialektische) Antwort gegeben. JD: "Im 'Spiegel' werden Frauen nicht mal Ressortleiterinnen. Im 'Stern' sind heute vermutlich mehr Aktfotos als in der 'Neuen Revue'." Die politisch korrekten Graswurzeln kommentieren derlei so: "Dann werden selbst biologistische TierrechtlerInnen wohl in Zukunft sagen können: Die NPD ist rechter als wir." Hm ... Dialektik oder nicht? Neue Revue zugeklappt, alle Fragen offen: Hat JD einen Definitionsmacht-Deal mit BvSB und die Graswurzel mit dem deutschen Feuilleton?

(jm)