Kultur

Miss Kittin in der Tanzdiele

Meisterhafte Mixerin

Miss Kittin (Gigolo Records)

Lasziv auf dem Flokkati ihre Loops ringelnd, "Schwipp-Schwapp" aus der poppigen Dose schlürfend, so präsentiert sich Miss Kittin auf dem Plakat. Die reale DJane hinter dem Pult der Tanzdiele ist das ganze Gegenteil. Eine ernste Person vergräbt ihr madonnenhaftes Puppengesicht in Plattenbergen, heftet die Augen stets gesenkt auf die rotierenden Teller, die für DJs die Welt bedeuten, nimmt den Kopfhörer nie ab und arbeitet so konzentriert an Reglern und Tonabnehmern, dass sie das Treiben jenseits der Turntables nicht im mindesten zu berühren scheint. Gäbe es eine DJ-Etikette, würde die solche Missachtung des Publikums sicher zu den Kardinalfehlern zählen. Aber Miss Kittin ist eine so meisterhafte Mixerin, dass sie keinen Blick ins Publikum benötigt, um zu spüren, was abgeht. Hier ist wahre Kunst am Werk. Und die braucht sich ihrer Wirkung nicht zu vergewissern.

Auch nicht vier Stunden nach dem äußerst pünktlichen Beginn vor noch leerer Diele. Miss Kittin ist immer noch hoch konzentriert tätig, ein Ende oder gar Nachlassen der Intensität ist nicht abzusehen. Allenfalls die ein oder andere Zigarette zwischendurch hat sie sich gegönnt. Ansonsten gilt es hier eine klingende Nacht durchzuziehen, die, so scheint es, von Anfang an fertig durchgeplant vor ihrem geistigen Auge gestanden hat. Wie bei einer Komponistin, die eine Symphonie bereits im Kopf hat und jetzt nur noch aufzuschreiben braucht.

Erster Satz. Poppig-verspielte Farben der 70er mischen sich in die klaren House-Beats, Slap-Gitarren mit Wah-Wah-Hall, ruhige Synthie-Lines und Simple-Sounds mit "Popcorn"-Reminiszenzen. Giggelnde Girlies leihen den Samples in den Breaks ihre Stimme, die einzige Referenz zum Ankündigungsposter. Das erste Thema ist exponiert und wird in schnalzenden Acid-Beats durchgeführt. Seltsam unaufgeregt und eher zum Zuhören als zum Abtanzen der zweite Satz. Minimalistisch werden hier die Strukturen, auf das Wesentliche reduziert die Beats. Die Strenge des Tekkno-House der frühen 80er regiert.

Der dritte Satz ist eine Hommage an Discomusik der 80er und die Wurzeln der elektronischen Tanzmusik. In der präzise austarierten Dramaturgie der Gigoline aus Genf begegnet ein nicht gesampleter, sondern ganz realer, purer Prince den Gurus von Kraftwerk. Und dabei treffen nicht zwei Welten aufeinander. Nein, in Miss Kittins grandioser Mixkunst, die die Übergänge zu organischen Sound-Geflechten verlötet, wirkt das so, als hätten diese Antipoden schon zehn Platten zusammen gemacht, die Miss Kittin jetzt einfach nur eine nach der anderen auflegt.

Das ist von einer intellektuellen Formgewaltigkeit, dass man eigentlich nur mit offen staunendem Mund dastehen möchte. Aber für die folgenden super-harten Techno-Teile dankte das Publikum dann doch mit reger Tanztätigkeit.

(jm)