Aus dem Kieler Rat

Bekenntnis zum Sessel

Neues aus Schilda: Rat streitet über neue Sessel vor dem Bürgeramt

Sie kosten 2.879,89 DM pro Stück. 30 wurden angeschafft, macht 86.396,70 DM. Die neuen Ledersessel vor dem Bürgeramt erhitzen die Gemüter in Öffentlichkeit und Rat. "Einen unverantwortlichen Umgang mit Steuergeldern" sieht die CDU in OB Gansels Stuhlgang nach dem Motto "sparsam aber nicht ärmlich" (Gansel) und forderte per Dringlichkeitsantrag in der Ratsversammlung vom 18.11. eine Missbilligung der Anschaffung. Über Sessel können die Sesselpuper im Rat trefflicher streiten als über den allgemeinen Sparwahn der Mehrheitsfraktion, der Politik längst schon unmöglich gemacht hat und somit im Ledersessel seine eigentliche Bestimmung findet.

"repräsentative Wartezone" (Foto: jm)

Norbert Gansels "Bekenntnis zum Sessel" bildete dabei das Highlight, das ein Kabarettist nicht abgefahrener hätte bringen können. Gleich im ersten Satz seiner "Hier sitze ich und kann nicht anders"-Rede hatte Gansel die Lacher auf seiner Seite. "Der ja auch schon legendäre ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel - nein, ich meine mit dem 'auch' nicht den, den Sie jetzt meinen, sondern Andreas Gayk" habe in seinem Büro bewusst durchgesessene Sessel stehen gehabt, um auf die Finanznot der Städte und Kommunen hinzuweisen. Er, Gansel, habe stattdessen lieber seine Frau überredet, die heimische Wohnzimmergarnitur für das OB-Büro zur Verfügung zu stellen. Und den neuen Schreibtischstuhl habe er selber bezahlt! Aber Scherz beiseite. In dem Missbilligungsantrag sehe er wie der SPD-Fraktionsvorsitzende Fenske nur, dass die CDU "immer noch nicht verwunden hat, dass das Bürgeramt im alten Rathaus verbleibt". Gansel schloss ein erneutes Plädoyer für seine einsame Entscheidung vom Sommer 1998 an, wonach das Bürgeramt nicht ins neue Rathaus im ehemaligen Hauptpostgebäude umzieht, sondern dafür das Kulturviertel dahin kaputtverlegt wird (LinX berichtete). Diese "gesamte Operation" werde der Stadt in den nächsten 10 Jahren mindestens 10 Mio. DM Mietkosten für das Kulturviertel einsparen. Insofern seien die Sessel eine angemessene Investition für eine "repräsentative Wartezone, die nicht schlechter sein soll als in anderen Behörden, die auf ihre Kunden angewiesen sind". Im übrigen habe der Denkmalschützer für die Bestuhlung Auflagen gemacht. Sie müssten in das denkmalgeschützte Ambiente passen und sollten sich an die frühere Bestuhlung der "Chefetage im Rathaus" anlehnen. "Jetzt stehen also Chefsessel auf der Bürgeretage", begeisterte sich Gansel. Die Sessel hätten einen "Symbolwert, dass die Bürger in Kiel die Nummer 1" seien. "Insofern bekenne ich mich zu diesen Sesseln." Jeder Bürger, so Gansels "Kosten-/Nutzen-Rechnung", der sich in Kiel anmelde (nachdem er im Sessel gewartet hat), bringe der Stadt aus dem kommunalen Finanzausgleich mehr als 1.000 DM jährlich.

Solcher Milchmannrechnung war eigentlich kaum noch etwas hinzuzufügen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Jürgen Fenske bemängelte noch die Unverhältnismäßigkeit des CDU-Antrages angesichts der "0,07 Promille des Gesamthaushalts", die die Sessel gekostet hätten. Edina Dickhoff (Grüne) bezog sich just auf dieses Argument. Die Verhältnismäßigkeit stimme da nicht, wo die Stadt 86.000 DM für Stühle ausgebe, aber bei sozialen Einrichtungen Beträge von wenigen Tausend DM wegsparen wolle. Damit mache sich die Stadt bei jenen unglaubwürdig, die auf soziale Hilfsmaßnahmen angewiesen seien. Der CDU-Antrag wurde dennoch mit der Stimmenmehrheit der SPD gegen die gesamte Opposition abgelehnt.

Ein Vor- und Nachspiel hatte die Debatte noch durch ein Flugblatt der ÖTV- und DAG-Betriebsgruppen der bei der LH Kiel Beschäftigten. Das Flugblatt wies darauf hin, dass der OB die Ledersessel angeschafft, gleichzeitig aber die Installation von Rettungsstühlen für gehbehinderte BürgerInnen und im Rathaus Beschäftigte abgelehnt hatte. Die Rettungsstühle seien "dringend erforderlich, soll es bei Feuer und Rauch nicht zur Katastrophe für gehandicapte Menschen kommen". Auf der Rückseite des Flugblatts konnten BürgerInnen eine Unterschrift leisten, dass sie lieber auf preiswerteren Stühlen Platz genommen hätten, um für das gesparte Geld die Rettungsstühle anzuschaffen. Gansel reagierte genervt. Soetwas sei "eine ausgesprochen schäbige Tour". Die Verwaltung habe die Rettungsstühle nicht aus finanziellen Gründen nicht angeschafft. Vielmehr seien diese nicht erforderlich, das Rathaus sei schließlich kein Hochhaus.

Die LinX empfiehlt übrigens Obdachlosen und anderen Empfängern eingesparter "sozialer Hilfsmaßnahmen", Gansels Einladung in die "repräsentative Wartezone" zahlreich anzunehmen. Wärmer als im Bahnhof, auf dem Asmus oder vor dem Sophienhof ist es hier allemal. Also: Nummer ziehen, es sich im "sparsamen aber nicht ärmlichen" Sessel bequem machen und wenn die Nummer aufgerufen wird, den Zettel wegschmeißen und eine neue Nummer ziehen. Bei drohendem Rausschmiss angeben, den OB sprechen zu wollen, und dann hilfsweise auf der weitaus provisorischeren Ex-Wohnzimmergarnitur von Frau Gansel Platz nehmen. Wir wünschen angenehmen Aufenthalt im Rathaus.

(jm)