Stellenabbau bei der Stadt:

“Welchen öffentlichen Dienst wollen wir?”

CDU und Grüne haben einen städtischen Haushalt der sozialen Grausamkeiten verabschiedet. Unter anderem will man auch mal wieder beim Personal einsparen. Wir sprachen darüber mit dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates der Stadt Kiel Volker Rudnik, der zugleich auch Vorsitzender des ver.di-Fachbereiches Gemeindeverwaltungen und Mitglied im ver.di-Bezirksvorstand ist.
(wop)

LinX: Mit dem beschlossenen Kahlschlag-Haushalt wird auch bei den städtischen Beschäftigten mächtig gekürzt. Was genau ist zu erwarten?

Volker Rudnik (V.R.): Zum einen sind im Stellenplan 2005 weitere 75 Arbeitsplätze gestrichen worden. Wiedereinmal sind es ausschließlich Stellen im Bereich der Arbeiter und Angestellten. Das läuft schon seit zehn Jahren so, das heißt, seit dem in Kiel mit dem Stellenabbau begonnen wurde. Beamte trifft es nie.
Zum anderen ist aufgrund des Eckwertebeschlusses damit zu rechnen, das der Arbeitsplatzabbau beschleunigt wird. Die Ratsversammlung hatte Anfang 2004 beschlossen, zehn Jahre lang jährlich zwei Prozent des Personals abzubauen. Also 20 Prozent in zehn Jahren. Mit den neuen Beschlüssen vom 17. Dezember will man versuchen, dieses Ziel bereits in fünf Jahren zu erreichen. Das erhöht natürlich den Druck, auch zu Maßnahmen zu greifen, die wir eigentlich durch frühzeitig abgeschlossene betriebliche Verträge ausgeschlossen hatten, nämlich betriebsbedingte Kündigungen, Einkommensverluste und ähnliches.
Die Prozentzahlen sind ganz pauschal, was ziemlich unsinnig ist. Das Ziel ist ja eigentlich Ausgaben zu kürzen, und da macht es einen großen Unterschied, ob man eine Stelle streicht, die mit A16 besoldet oder BAT1 vergütet wird, oder nur mit BMTG1, 2 oder 3, was im Arbeiterbereich wäre. (BAT1 ist die höchste Tarifgruppe der Angestellten.)

LinX: Was bedeutet das in Euro ausgedrückt?

V.R.: A16 ist bei der Stadt im Beamtenbereich die höchste Besoldungsstufe, da dreht es sich um ungefähr 4600 Euro brutto. Bei den Arbeitern hingegen geht es um zirka 1700 Euro. Daran kann man sehen, wie viele Arbeiterstellen man einsparen muss, um auf das Volumen zu kommen, das beim Einsparen einer hoch dotierten Stelle heraus kommt.

LinX: Und woran liegt es dann, dass nur bei den Angestellten und Arbeitern gestrichen wird? Ist das lediglich engstirnige Klientelpolitik?

V.R.: Dahinter steckt, dass man sich hauptsächlich von operativen Aufgabenbereichen trennt, da man glaubt, die am leichtesten privatisieren zu können. Zum Beispiel die Reinigungsdienste. Auch über die Müllabfuhr und Straßenreinigung, die Grünflächenpflege, die Stadtentwässerung oder die Straßeninstandhaltung, die Kindertagesstätten oder zum Beispiel die Schwimmbäder denkt man nach. Das sind halt die Bereiche, die auch von privaten Anbietern angeboten werden. Auf der anderen Seite ist es so, dass die hoch dotierten Stellen im Overhead-Bereich, also in der Verwaltung der Dienststellen angesiedelt sind. In der Kämmerei zum Beispiel oder in der Organisations- und Personalverwaltung, in Bereichen also, die eher nach innen wirken und keine direkten  Dienstleistungen für die Bürger erbringen.
Das ist der so genannte Overhead, über den wir uns immer wieder mit den Verantwortlichen streiten, weil wir meinen, dass der produktive Bereich und die Verwaltung in einem gesunden Zahlenverhältnis zu einander stehen müssen. Im Zusammenhang mit der Kosten- und Leistungsrechnung läuft diese Auseinandersetzung schon seit längerem.

LinX: Was hat es damit auf sich?

V.R.: Diese Rechnung soll uns ermöglichen, die Kosten der eigenen Arbeit zu ermitteln und den Vergleich mit privaten Anbietern ermöglichen. Dabei spielt es natürlich eine Rolle, ob wir in diese Vergleichsberechnung einen Riesen-Overhead mit einbeziehen müssen, der auch dann noch da sein wird, wenn die Leistung an private Anbieter vergeben ist. Es ist natürlich unseriös, in die Kosten von Reinigungskräften auch die Kosten von Dezernenten, Amtsleitern oder der Oberbürgermeisterin rein zu rechnen.

LinX: So laufen die Rechnungen im Augenblick?

V.R.: Ja, das ist derzeit unser Streit mit der Verwaltung.

LinX: In welchen Bereichen ist aktuell Stellenabbau zu erwarten.

V.R.: Insbesondere im Bereich der Reinigungskräfte. Weiter hat es Stellenstreichungen im Bereich Straßenreinigung im Abfallwirtschaftsbetrieb gegeben. Dann werden Stellen im Verwaltungsbereich gestrichen, die bereits frei sind aber nicht wiederbesetzt wurden. Derzeit arbeiten bei der Stadt noch 5000 Menschen. Im Vergleich dazu sehen die 75 Stellen, die jetzt gestrichen wurden, nicht nach viel aus. Aber es sind immerhin weitere 75 Arbeitsplätze weniger im Raum Kiel in einer Zeit, wo überall entlassen wird. Und zirka 800 haben wir bereits in den letzten Jahren abgebaut und weitere 1700 privatisiert.

LinX: Wie sieht das bei den Reinigungskräften konkret aus? Wird da privatisiert?

V.R.: Ja, da gibt es einen Beschluss, der bereits aus den 1980er Jahren stammt, dass die Reinigung privatisiert wird. Und in dem Maße wie Kolleginnen ausscheiden werden die Stellen nicht wiederbesetzt, die Aufgaben zusammengefasst und die frei werdenden Bereiche dann an private Unternehmen vergeben.

LinX: Und was bedeutet das für die Betroffenen in Geld?

V.R.: Die privaten Unternehmen bezahlen ihre Beschäftigten deutlich schlechter als der öffentliche Dienst. Soweit ich den Überblick habe, sind es zwar Betriebe, die nach einem Tarif bezahlen, aber bei der IG BAU, deren Bereich das ist, gibt es Tarife, die um 300 bis 400 Euro pro Monat unter unseren liegen.

LinX: Und wie viel bekommen Reinigungskräfte im öffentlichen Dienst?

V.R.: Das hat natürlich ein bisschen was mit dem Alter und der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu tun. Das liegt so um die 1700 Euro brutto, bei Vollzeitkräften wohlgemerkt.

LinX: Wie sieht es bei den Büchereien aus? Wie viele Stellen werden dort gestrichen?

V.R.: Meines Wissens gibt es dort zehn nicht besetzte Stellen, die jetzt gestrichen werden. Aber darüber hinaus gibt es keine betriebsbedingten Kündigungen, wenn die Stadtteilbüchereien geschlossen werden. Die Kolleginnen und Kollegen werden umgesetzt. Einige haben bereits bevor sie in der Bücherei gearbeitet haben, andere Tätigkeiten ausgeführt und insofern auch noch andere Qualifikationen. Um für die internen Umsetzungen Hilfestellung zu geben, wollen wir eine Personalvermittlung einrichten. Geplant ist eine Art interner Jobvermittlung. Wenn sich irgendwo abzeichnet, dass Aufgaben wegfallen könnten, sollen frühzeitig die Kolleginnen und Kollegen Hilfe bei der Fortbildung bekommen, damit sie sich auf andere Aufgaben vorbereiten können.

LinX: Wir haben nun die ganze Zeit über die Seite des Personals gesprochen. Stellenabbau und Kürzungen im städtischen Haushalt haben aber noch eine andere Seite, nämlich die der Bürger, die von ihrer Kommune bestimmte Leistungen erwarten. Die gehen durch die Kürzungen im Haushalt entweder ganz verloren, wie einige der Stadtteilbüchereien, oder werden privatisiert. Und was das bedeutet, kennen wir von Post, Bahn und anderem inzwischen zur Genüge: Erheblicher Verlust an Service und Zuverlässigkeit. Wäre es nicht an der Zeit, dass Gewerkschaften und Personalräte an die Öffentlichkeit gehen und gemeinsam mit den Bürgern dieser Stadt gegen die Kürzungspolitik protestieren?

V.R.: Das sehe ich genauso. Mir wäre es ganz Recht, wenn in der Öffentlichkeit intensiver über die Rolle des öffentlichen Dienstes diskutiert würde. Wir begreifen uns ja eigentlich selbst eine Organisation der Bürgerinnen und Bürger. Bei vielen Leuten sitzt noch im Hinterkopf, dass der öffentliche Dienst irgendwie Obrigkeit ist. Aber so ist es ja schon lange nicht mehr. Selbst in den verknöcherten und verkrusteten Bereichen, die es gab und die in den letzten Jahren heftig unter die Lupe genommen wurden, hat sich inzwischen im Auftreten gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern viel geändert.
Man muss über das Thema öffentlicher Dienst auch mit den Bürgerinnen und Bürgern reden, und ich habe mich bereits seit Jahren bemüht, es im DGB auf die Tagesordnung zu setzen. Der muss sich diese Diskussion einmischen und festhalten, was denn eigentlich das Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kiel an ihrem öffentlichen Dienst ist. Denn eins ist klar: Die Einwohner dieser Stadt sind vor allem Arbeitnehmer. Die Stellen die überwältigende Mehrheit hier und nicht etwa Unternehmer oder Kaufleute. Also muss das Interesse maßgeblich aus der Sicht der Arbeitnehmer definiert werden: Was sollen unsere kommunalen Ämter und Betriebe in Zukunft noch für uns machen, was wollen wir für unser Steuergeld haben? Die Leistungen, die erbracht werden, müssen ja auch in einem Verhältnis zu dem stehen, was der Staat dem Bürgern abnimmt.

LinX: Dies im mehr oder weniger kleinen Funktionärskreis im DGB zu diskutieren ist das eine, aber diese Auseinandersetzung in die Gesellschaft zu tragen, ist das andere. Letzteres vermisse ich. Wäre es nicht an der Zeit, dass ver.di mit solchen Themen an die Öffentlichkeit geht?

V.R.: ver.di ist mit diesen Themen auch schon an die Öffentlichkeit gegangen, allerdings nur im sehr begrenzten Umfang. Das ist natürlich auch immer eine Frage der Kräfte, die man hat und der Resonanz, auf die man stößt. Und man muss sagen, dass leider in der Öffentlichkeit immer noch zu beobachten ist, dass eher applaudiert wird, wenn es im öffentlichen Dienst Einschnitte gibt, als dass die Leute begreifen würden, dass es sich gegen sie selbst richtet.

LinX: Das kann man bei den Stadtteilbüchereien nun aber nicht sagen. Da gab es doch Proteste.

V.R.: Da sind die Ausnahmen und die Proteste kamen hauptsächlich aus den Ortsbeiräten. Was die Bevölkerung selbst angeht, bin ich mir nicht so sicher, ob die deswegen auf die Straße gehen würden. Es wäre aber schön, darauf hinzuwirken. Ich würde gerne an solchen Veranstaltungen und öffentlichen Diskussionen teilnehmen. Es müssen wohl tatsächlich Organisationen wie ver.di oder der DGB machen. Meiner Meinung nach noch eher der DGB. ver.di unterstellt man eher, da seien diejenigen organisiert, die nur versuchen, ihre eigene Haut zu retten. Über den DGB könnten sich zum Beispiel auch die Leute artikulieren, die in den Industriebetrieben und auf dem Bau arbeiten.

LinX: Klar: Einerseits ist die Öffentlichkeit in Kiel nicht besonders politisch rege, aber andererseits ist es auch eine Frage, wie man die Dinge angeht. Bisher sind die DGB-Gewerkschaften noch immer sehr zahm. Denken wir nur an die letzte Kundgebung der HDWler, wo man zusammen mit den führenden Landespolitikern auftrat. Ich denke, wenn man heutzutage die Menschen mobilisieren will, dann muss man schon ein bisschen mehr Zähne zeigen.

V.R.: Das ist richtig. Ich denke, dass es tatsächlich zu wenig Öffentlichkeitsarbeit gibt und zu wenig Rückkoppelung mit der Bevölkerung gesucht wird. Personalräten sind da allerdings etwas die Hände gebunden. Das sind eher Gremien, die nach innen wirken. Es müsste also über die Gewerkschaften oder andere Interessensverbände laufen.

LinX: Wie sieht es eigentlich mit dem Organisationsgrad bei der Stadt aus, wie viele sind Mitglieder hat ver.di dort?

V.R.: Der lässt sehr zu wünschen übrig und ist von Bereich zu Bereich sehr unterschiedlich. Traditionell ist er bei der Abfallwirtschaft und im Grünflächenamt relativ hoch, also bei den Arbeitern, wobei dort die Mitgliedschaft auch schon deutlich zurückgegangen ist. Im Bereich der reinen Verwaltung haben viele Leute noch gar nicht begriffen, was sich tarif- und gesellschaftspolitisch abspielt. Dort haben wir den geringsten Organisationsgrad. Über alle Bereiche gerechnet liegt er bei ca. 25 Prozent, und damit kann man keine Bäume ausreißen.