LinX-EXTRA zur Welthandelskonferenz in Seattle

Kommentar:

Wem nützen Sozial-Klauseln?

Europäische und nordamerikanische Gewerkschaften werben dafür, dass in die WTO-Verträge sog. Sozial-Klauseln aufgenommen werden. Mit ihnen sollen im Arbeitsrecht Mindeststandards international verbindlich festgeschrieben werden. Das ist zwar auch schon in Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und nicht zuletzt in der UN-Menschenrechtskonvention geschehen, doch von der Verknüpfung mit etwaigen Handelssanktionen versprechen sich die im Internationalen Bund Freier Gewerkschaften zusammengeschlossenen Verbände mehr Biss.

Die EU-Kommission und die Regierung in Washington haben diese Position übernommen. Seit Jahren drängen sie auf entsprechende Regelungen, stoßen allerdings auf erheblichen Widerstand. Nur fünf Länder haben in Seattle die Position Washingtons und Brüssels unterstützt: Die Schweiz, Ungarn, Chile, Südkorea, wo derzeit rund 400 Gewerkschafter in den Gefängnissen sitzen, und die Türkei, die in Kurdistan Gewerkschafter foltern lässt. Das allein sagt eigentlich schon alles.

Die Absicht der Regierungen in Europa und den USA ist offenkundig: Nachdem sie selbst oftmals nicht zimperlich im Umgang mit ihren Gewerkschaften sind und Jahrzehnte lang blutige Diktaturen in aller Welt unterstützt haben, sind sie keineswegs über Nacht konvertiert. Sie wollen vielmehr die heimischen Gewerkschaften frühzeitig einbinden, damit sie gar nicht erst auf die Idee kommen, die WTO grundsätzlich in Frage zu stellen.

Und sie benutzen die Sozial-Klauseln (wie auch die Umwelt-Klauseln) als Hebel in den Verhandlungen, um die Länder des Südens unter Druck zu setzen. Wann immer diese auf die Probleme hinweisen, die sie mit den bestehenden Verträgen haben, antworten ihnen die USA und die EU mit den Klauseln. Vor allem die EU nutzt die Klauseln darüberhinaus, die Tagesordnung für neue Themen zu öffnen. Aus diesem Grunde sind auch die meisten Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften aus dem Süden gegen diese Forderung, da sie zuerst die Nachteile beseitigt haben wollen, unter denen ihre Länder leiden. Vor allem verlangen sie, dass der Norden endlich seine Grenzen nennenswert für Produkte aus dem Süden öffnet. Angesichts des häufigen Rückgriffs auf Anti-Dumpingmaßnahmen halten sie die Klauseln für maskierten Protektionismus.

Amerikanische und europäische Gewerkschaften täten besser daran, sich um die Folgen der Exportpolitik ihrer Staaten für andere Länder zu kümmern. Nicht selten schafft diese erst die Bedingungen, die Menschen auf den Arbeitsmarkt treibt, die gezwungen sind, Arbeit zu den schlechtesten Bedingungen anzunehmen. Ob in Polen, Mexiko oder auf den Philippinen: Wo immer Staaten ihre Grenzen für die Waren der großen Handelsmächte öffnen (müssen), verderben die reichlich subventionierten Agrarexporte der EU und der USA den Kleinbauern die Preise und zerstören deren Existenzen. Die logische Folge: Die Bauern müssen ihr Land aufgeben, ziehen in die Städte und drängen als Billigst-Arbeitskräfte auf den Markt. An diesen simplen ökonomischen Fakten wird auch keine noch so schön formulierte Sozialklausel etwas ändern.

(wop)