LinX-EXTRA zur Welthandelskonferenz in Seattle

Proteste rund um den Globus

Seattle am Eröffnungstag der WTO-Konferenz: Tränengasschwaden ziehen durch die Straßen, Polizisten - mit Helm, Gasmaske und Plastikpanzerung wie kleine Ein-Mann-Festungen anmutend - treiben Demonstranten vor sich her, hier und da brennende Müllcontainer, umgeworfene Zeitungsboxen und zerbrochene Schaufensterscheiben. Am Abend ruft der Bürgermeister den Notstand aus. Die ganze Innenstadt wird zum Sperrgebiet erklärt. Ab 19 Uhr dürfen Tausende von Anwohnern und Hotelgäste die Häuser nicht mehr verlassen. Selbst die Nationalgarde wird in die Stadt gerufen.

Dabei hatte alles ganz friedlich angefangen. Schon am frühen Morgen zogen Tausende auf die Straßen und v.a. die Kreuzungen rund um das Seattle Convention Center, wo die Welthandelsorganisation tagte. Junge Aktivisten fesselten sich Hände und Unterarme in Röhren mit Handschellen zusammen, um so die Kreuzungen zu blockieren. Ziel: Den Delegierten soll der Weg zum Tagungsort versperrt werden.

Überdimensionale Fingerpuppen werden durch die Straßen getragen, "Mutter Erde" z.B. oder ein Gerippe, das die Gier der großen Konzerne darstellt. Auf leeren Eimern und Kanistern werden heiße Rhythmen getrommelt. Einige tanzen.

Es sind v.a. jungen Menschen aus Umweltschutz- und Bürgerrechtsgruppen, die sich schon am frühen Morgen aufgemacht haben. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen, einige sprechen von 6.000, andere gar von 10.000. Auch Ältere mischen sich unter die Demonstranten. John z.B., Handwerker, Vietnamveteran und Mitglied der amerikanischen Grünen. "Für mich ist corporate fascism (Konzern-Faschismus) das gleiche wie politischer Faschismus", drückt er die Ängste vieler Demonstranten aus. Ein Transparent sagt es in anderen Worten "No Globalisation without Representation", keine Globalisierung ohne demokratische Vertretungen. Eine Anspielung auf den Unabhängigkeitskrieg gegen England. Die Befürchtung, dass eine unkontrollierbare Weltorganisation nationale Parlamente entmachten könnte, ist an diesem Tag von vielen Demonstranten zu hören.

Die Polizei ist nur in geringer Mannschaftsstärke aufgefahren, dafür aber in martialischer Ausrüstung, die nichts Gutes erwarten lässt. Und richtig. Schon bald versucht man hier und da, den Weg frei zu machen. Die Beamten versuchen gar nicht erst, die z.T. auf dem Boden Sitzenden wegzutragen oder die Menge mit sanftem Druck abzudrängen. Nach kurzer Räumungsaufforderung wird Tränengas in die friedlich Menge geschossen. Aus nächster Nähe wird Menschen CS-Gas ins Gesicht gespritzt. Mit langen Holzknüppeln stechen Polizisten gezielt in Nieren und Unterleib der am Boden Sitzenden.

Bei einigen wenigen Geschäften gehen die Scheiben zu Bruch. Ziel der Wut einiger Dutzend Maskierter: McDonalds und Starbucks Café, eine Kette, die kleine Familienbetriebe verdrängt. Gegen 13 Uhr treffen die Demonstrationszüge des Gewerkschaftsverbands AFL/CIO, der Studenten und der Farmer in der Innenstadt ein. Von 35.000 bis 50.000 reichen die Schätzungen der Teilnehmerzahl. Jetzt wird es auch internationaler: Französische Kleinbauern sind dabei, Filipinos, Umwelt- und Verbraucherschützer aus Südkorea, indische Kirchenvertreter, lateinamerikanische Aktivisten. Seattles Hafenarbeiter, die berühmten Longshoremen streiken an diesem Tag genauso wie die Arbeiter bei Boeing, um an der Kundgebung teilzunehmen.

Rund um den Globus fanden an diesem 30.11.99 Proteste gegen die WTO statt. Entlang der US-amerikanischen Westküste streikten die Hafenarbeiter. In zahlreichen Städten der USA und Kanada gab es kleinere Aktionen, wie etwa in Toronto, Salt Lake City, Boston, Nashville und Washington. In Frankreich hatten bereits am Samstag zuvor 75.000 Menschen in 80 Städten gegen Neoliberalismus demonstriert. Am 30.11. gab es wiederum in einigen Städten, darunter Toulouse und Dijon, Aktionen. Desgleichen in Prag und Telaviv. In Deutschland fanden zumeist witzige Happenings in Berlin, Krefeld, Braunschweig, München, Bad Oldesloe und anderen Städten statt. Zum Teil richteten sie sich auch gegen die Weltausstellung EXPO 2000. In Manila belagerten 8.000 Menschen die US-Botschaft. In Genf ketteten sich Menschen am WTO-Zentrum an, andere kappten die Stromversorgung des Bürogebäudes. In Italien wurden in verschiedenen Städten Biotech-Institutionen besetzt, um gegen Gentechnik zu protestieren. Hier und da wurden auch McDonalds-Läden Ziel von Protesten. Weitere Aktionen gab es in Irland und den Niederlanden. In Indien fanden in mehrerer Städten Demonstrationen gegen den Gentechnik- und Saatgut-Multi Monsanto und gegen Staudammprojekte statt. Mehr Infos unter http://come.to/n30.de