Anti-AKW

Konsens fürs Weitermachen?

Die Börse dankte es mit einem kräftigen Aufschlag. Einen Tag, nachdem Bundeskanzler Schröder in den sog. Energiekonsens-Gesprächen den AKW-Betreibern nachgegeben hatte, legten die Aktien der RWE um 13% zu. Bei der Veba AG waren es noch gut 7%, und die Papiere der Viag, zu der auch das Bayernwerk gehört, legten um 4,4% zu. Die Anleger wissen offensichtlich den Wert der Verabredungen zu schätzen, denn der Atomstrom ist für sie ein Bombengeschäft: Die meisten Anlagen sind längst abgeschrieben, und die Endlagerung steht erst in 30 Jahren auf der Tagesordnung. Dann wird man diese Kosten schon zu sozialisieren wissen. Daß die Atomkraftwerke so lange weiterbetrieben werden können, dafür stehen die Chancen seit Dienstag letzter Woche wieder gut. "Bis zum Erreichen des Ziels (des Ausstiegs) durch eine einvernehmliche Festlegung von Restlaufzeiten ist der Betrieb der Kraftwerke sicherzustellen", diktierte der Kanzler den Journalisten nach den Gesprächen. "Wichtig ist mir hier, daß es darum geht, Restlaufzeiten einvernehmlich festzulegen." Was er unter Einvernehmlichkeit versteht, hatte er soeben demonstriert: Nachdem die Energiewirtschaft mit dem Boykott der Verhandlungen gedroht hatte, pfiff er seinen Umweltminister und Koalitionspartner zurück, der die Wiederaufarbeitung bereits ab dem Jahr 2000 verbieten wollte. Die Betreiber sahen sich dadurch in die Enge getrieben, da sie nicht mehr gewußt hätten, wohin mit ihren abgebrannten Brennstäben. In einigen Kraftwerken wären noch in diesem Jahr die internen Lagermöglichkeiten in den Abklingbecken ausgeschöpft, hieß es auf der Tagung des Deutschen Atomforums, das sich ebenfalls letzte Woche in Bonn traf. Und den beiden Zwischenlagern in Gorleben und Ahaus traut man nicht - wegen des Widerstands der örtlichen Bevölkerung. "Mit dem Datum 1.1.2000 soll das Grüne Klientel zum Rabatz eingeladen werden", brachte Viag-Vorstandsvorsitzender Wilhelm Simson die Sicht der Atomgemeinde auf den Punkt.

Doch nun kann er mit den Ergebnissen der Kanzlergespräche ganz zufrieden sein. Nicht nur das schnelle Verbot der Wiederaufarbeitung ist vom Tisch. Zusätzlich gab es eine Zusage, daß zuerst Zwischenlager an den Kraftwerken gebaut werden können. Erst wenn die mit ausreichender Kapazität für die "Restlaufzeit" stehen und genehmigt sind, wird es nach den Worten Schröders ein Verbot geben. Damit nicht genug, sagte der Kanzler auch noch zu, daß die Bundesregierung alles unternehmen werde, diese Lager durchzudrücken, z.B. indem "Einsprüche Dritter mit Sofortvollzug bewehrt werden".

Die Anti-AKW Bürgerinitiativen an den Standorten sind von diesen Aussichten wenig begeistert. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sie sich parallel zu den Gesprächen im Kanzleramt gegen neue Zwischenlager aus, in denen sie v.a. einen Weg zum ungestörten Weiterbetrieb der Meiler sehen. Die Betreiber des niedersächsischen AKW Emsland (VEW, RWE und PreussenElektra) planen bereits ein Lager, daß für 30 Jahre reichen würde. Und in Schleswig- Holstein macht sich gar die Landesregierung den Kopf der Betreiber: Energieminister Claus Möller (SPD) schlug vor zwei Wochen vor, man könne für die AKWs des Landes ja ein gemeinsame Lösung in Brunsbüttel finden. Der dortige Meiler hatte in der Vergangenheit wiederholt wegen erheblicher technischer Mängel längeren Stillstand und steht daher auf der Ausstiegs-Wunschliste der Kieler Grünen ganz oben.

Aber genau dort wird er wohl erst einmal bleiben. Nachdem die Atomiker ihre erste Schlacht gewonnen haben, ist kaum damit zu rechnen, daß sie bei den Restlaufzeiten den kürzeren ziehen werden. Über die soll in späteren Gesprächen verhandelt werden. Schröder selbst hat bereits durchblicken lassen, daß er an 20 Jahre denkt, die Branche fordert 40 Jahre. Das, so Viag-Chef Simson, sei schon ein Entgegenkommen. Und natürlich will man auf Nummer sicher gehen und spricht von Vollastjahren, soll heißen, wenn ein AKW stillsteht, soll es nicht zum Schaden der Energiekonzerne sein. So versucht man, sich gegen eine Politik der Nadelstiche zu wappnen, wie sie einigen grünen Umweltministern vorschwebt. HEW-Chef Manfred Timm, der die Atombranche bei Schröder vertreten hat, geht davon aus, daß die Zeitpläne nicht vor Ende des Jahres festgelegt werden.

Trittins von Schröder ausgebremste Atomgesetznovelle soll jetzt am 3.3. im Bundeskabinett verhandelt werden. Bis dahin will man sich eine Umformulierung des Wiederaufarbeitungsverbots überlegen. Man müsse, meint Trittins Sprecher Michael Schroeren, eine Lösung für jede einzelne Anlage finden. Da wird Timm nicht viel dagegen haben können, hat doch z.B. das von der HEW betriebene AKW Krümmel schon von sich aus die Verträge gekündigt und dafür 40 Mio. DM Konventionalstrafe gezahlt. Genausogut könnte man für öffentliche Räume ein Rauchverbot für ehemalige Raucher erlassen.

Von der Unumkehrbarkeit des Ausstiegs, wie sie im Koalitionsvertrag festgehalten worden war, ist jedenfalls bisher nichts zu sehen. Vielmehr ist die Bundesregierung dabei, der Wirtschaft aus der Entsorgungsklemme zu helfen. Die Wiederaufarbeitung ist sowieso ein Zusatzgeschäft, auf das man gut verzichten kann, sobald der Müll anderweitig unterzubringen ist. Die zentralen Zwischenlager in Ahaus und Gorleben sind dafür nur bedingt geeignet, weil die Transporte dorthin immer mehr zu einem politischen Risiko werden. In den vergangenen Jahren führten sie zu einem regelrechten Revival der Anti-AKW-Bewegung und machten die Atompolitik noch unpopulärer.

Die Verhandlungen haben zudem den Vorteil, daß zumindest einem größeren Teil der Öffentlichkeit vorgegaukelt werden kann, daß etwas für den Ausstieg unternommen wird. So wird sie vielleicht eher bereit sein, die neuen Lager zu schlucken und sich auch mit der Wiederaufnahme der Transporte abzufinden, mit der in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen ist.

Derweil kann man in den Vorstandsetagen von Siemens oder Viag, PreussenElektra oder RWE ungestört Zukunftsträumen nachhängen. Einer davon heißt EPR, auf Deutsch: Europäischer Druckwasserreaktor, ein anderer Liberalisierung der Strommärkte. In Zukunft, so die Stimmung bei den Strommanagern, werden die Grenzen eine immer geringere Bedeutung haben. Man kann sich also durchaus vorstellen, Atomkraftwerke in eigener Regie auch in Nachbarländern zu errichten.

Unter anderem um dieses Terrain zu erkunden, wird seit 1991 bei Siemens/KWU in Zusammenarbeit mit der französischen Framatom am sog. Europäischen Druckwasserreaktor (European Pressurized Reactor, EPR) geplant. Immerhin 300 Ingenieure sind dafür im Einsatz, 700 Mio. DM wurden bisher ausgegeben, was in etwa dem doppelten Jahresetat des Bundes für die Erforschung erneuerbarer Energiequellen entspricht. An der Finanzierung beteiligten sich auch der französische Strommonopolist EDF und neun deutsche Energieversorgungsunternehmen.

Kraftwerksbauern wie -betreibern ging es dabei u.a. auch um den Erhalt von Know-how, was den Atomikern inzwischen erhebliches Kopfzerbrechen bereitet. An deutschen Hochschulen werden kaum noch Fachkräfte ausgebildet, und das letzte AKW wurde vor über zehn Jahren fertiggestellt. Junge Kernphysiker finden nur schwer einen Arbeitsplatz, und der Branche droht damit der technologische Fadenriß. Ein anderer wesentlicher Aspekt der Planungsphase war die Internationalisierung von Sicherheits- und Genehmigungsstandards in zumindest zwei wichtigen Ländern. Das dürfte die Exportchancen erhöhen.

Auf der Wintertagung des Atomforums, in dessen Verwaltungsrat übrigens neben Siemens auch Deutsche Bank und Allianz vertreten sind, konnte Hans-Ulrich Fabian von der PreussenElektra AG Vollzug melden. Ende letzten Jahres war die sog. basic-design-Phase abgeschlossen. Anfang Februar sollen die Pläne standortunabhängig sowohl den deutschen als auch den französischen Behörden übergeben werden. Hierzulande macht man sich allerdings wenig Hoffnungen. Statt dessen wird der französischen Markt ins Auge gefaßt. Es gäbe bereits Signale, berichtete Fabian in Bonn, daß man ein deutsch-französisches Projekt in Frankreich realisieren könne. Entsprechende Verhandlungen laufen seit längerem und scheinen bereits weit gediehen. Bei Bayernwerk und VIAG geht man jedenfalls davon aus, daß in Frankreich ein EPR schon im Jahre 2008 ans Netz gehen wird.

Sorgen bereitet allerdings die Wettbewerbsfähigkeit. Nach dem Abschluß einer ersten Planungsphase rechnete man nach und stellte fest, daß die Strompreise mit konventionellen Brennstoffen nicht konkurrieren könnten. Also wurde das Design noch einmal überarbeitet. Dabei verabschiedete man sich stillschweigend von den eigenen Vorgaben. Hatte es ursprünglich geheißen, der Meiler solle so ausgelegt werden, daß er auch im schlimmsten Fall die Folgen eines Unfalls auf jeden Fall auf das Reaktorgehäuse beschränken würde, so hat man sich jetzt wieder einer vertraut klingenden Sicherheitsphilosophie zugewandt: "Potentielle Ereignisse, deren Beherrschung nicht möglich erscheint, werden durch technische Vorkehrungen so unwahrscheinlich gemacht, daß ihr Eintreten praktisch ausgeschlossen werden kann", beschreibt Fabian die neue alte Prämisse. Der Faktor Wahrscheinlichkeit ist also wieder eingeführt. Im Ergebnis ist man bei einer etwas billigeren Variante (4,3 Mrd. DM soll es bei Siemens kosten) angelangt, kann aber immer noch nicht mit modernen Gaskraftwerken mithalten.

An den Anti-AKW-Initiativen ist diese Entwicklung nicht unbemerkt vorbeigegangen. Bereits seit einigen Jahren bemüht man sich um eine internationale Zusammenarbeit, nicht zuletzt mit Standortgruppen z.B. in La Hague. Im grenzüberschreitenden Kampf gegen Atomkraftwerke in der Tschechischen und der Slowakischen Republik, an deren Weiterbau westliche Unternehmen mitwirken, wurden bereits einige Erfahrungen gesammelt.

Auch in die Verhandlungsführung von SPD und Grünen setzt man wenig Vertrauen. So kamen denn zu einer "Störfallprozession" zum Auftakt der Schröder-Gespräche immerhin 600 Protestierer nach Bonn, obwohl es ein Wochentag war. Ende Februar soll die nächste größere Aktion folgen: In Gorleben steht die dritte Teilerrichtungsgenehmigung für die Pilotkonditionierungsanlage bevor. Die wendländischen Atomkraftgegner weisen darauf hin, daß dies die erste Genehmigung für eine Atomanlage durch die neue Regierung sein wird. Unter dem Motto "Konsens - nicht mit uns! Ausstieg sofort!" ruft die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg daher für den 27.2. zur Belagerung der Gorlebener Atomanlagen auf.

(wop)