kurz & krise

Deutschland hatte 1998 mit 2,8% das höchste Wirtschaftswachstum seit dem Anschluß der DDR zu verzeichnen. Im zweiten Jahr in Folge vertiefte sich allerdings die Kluft zwischen West (+2,9%) und Ost (+2,1%). Stärkstes Zugpferd waren die Anlageninvestitionen, gefolgt vom Export. Beide beginnen jedoch mittlerweile zu lahmen: Vor allem bei den Investitionsgüterproduzenten ging die Zahl der Auftragseingänge aus dem Ausland stark zurück. Noch bewegt man sich allerdings auf hohem Niveau. Dennoch zeigt auch die Kurve der Kapazitätsauslastungen steil nach unten. Entsprechend mies ist die Stimmung bei den Kapitalisten. Die Mehrzahl der Betriebe beurteilte in einer IFO-Umfrage die Geschäftslage als schlecht. In Schleswig-Holstein ergab eine Umfrage der IHKs, daß nur 8% der Unternehmen einstellen aber 30% entlassen wollen.

Ende Januar stellte der Internationale Währungsfond (IWF) seine Zahlungen an Moskau ein. Das im Sommer 1988 vereinbarte Programm über Kredite in Höhe von insgesamt 22,6 Mrd. $ "ist tot", hieß es, da es bisher nicht gelungen sei, die Schulden abzubauen und der Inflation von 10% monatlich beizukommen. Außerdem wurden die Forderungen des Fonds nach Haushaltskürzungen nicht erfüllt. Mit der IWF-Entscheidung wird fraglich, ob Moskau seine Tilgungsraten zahlen kann, die sich in diesem Jahr auf 17,5 Mrd. $ belaufen. Größte Gläubiger Rußlands sind deutsche Banken.

Heinz Joachim Neubürger ist guter Dinge: Liberalisierung der Märkte und Privatisierung der Staatsunternehmen seien in Lateinamerika unumkehrbar, frohlockte der Siemens-Finanzchef letzte Woche auf dem 4. Deutschen Weltbankforum. Auch ansonsten war man mit der Lage auf dem Subkontinent zufrieden, der - siehe da - auf einmal als Vorbild für Asien gilt. Fürs Gemüt war auf der hochkarätigen Tagung ebenfalls gesorgt: Königin Sylvia von Schweden berichtete von der elenden Lage der Kinder südlich des Rio Grande del Norte. "Haben sie sich bei ihren Reisen vor Ort jemals mit Kindern getroffen, die zur Prostitution gezwungen wurden", soll sie gefragt haben. Wir wissen nicht, ob sie sich der Doppelsinnigkeit ihrer Frage bewußt war, aber das Agenturfoto zeigt eine strahlende Sylvia umringt von feist grinsenden Herren.

Valdir dos Santos ist weniger guter Dinge: Er gehört zu den 2.800 Arbeitern, die Ford in Sao Paolo kurz vor Weihnachten vor die Tür gesetzt hat. Mit 39 Jahren stehen seine Chancen schlecht, noch einmal einen vergleichbar gut qualifizierten und bezahlten Job zu bekommen. Seine beiden Kinder wollen trotzdem was zu essen. Ford nutzt die Krise zur Umstrukturierung. In dem vergleichsweise unproduktiven Werk mit starker Gewerkschaft wird entlassen, vielleicht bald schon ganz dicht gemacht. Ein neues Werk mit modernsten Robotern und vierfacher Produktivität entsteht dagegen in Guaiba im Bundesstaat Rio Grande do Sul. Dort sind die Gewerkschaften weniger gut organisiert.

(wop)