Betrieb & Gewerkschaft

Vollbeschäftigung gefordert

800 Gewerkschafter und Erwerbslosenvertreter kamen am 4. und 5.2. in Brüssel zu einer "Versammlung für Vollbeschäftigung" zusammen. Eingeladen hatten der Europäische Gewerkschaftsbund, das Erwerbslosen-Netzwerk ENU und einige linke EU-Parlamentarier. "Die Zeit des Achselzuckens ist vorbei", so Frieder-Otto Wolf, der für die deutschen Grünen im Straßburger Parlament sitzt. Mit dem Antritt der neuen Regierung in Bonn scheint endlich der Weg frei für eine Beschäftigungsinitiative der Europäischen Union. Wohin die Reise geht, ist noch offen, aber, so Wolf, "nun geht der Streit zumindest um Konzepte". Und da will man dabei sein, auch wenn einige skeptisch bleiben: "Wir waren sehr schockiert", so ein Gewerkschafter aus dem britischen Birmingham, "daß die Blair-Regierung, kaum daß sie an der Macht war, amerikanische Flexibilisierungskonzepte einführte".

Zur Einstimmung gab Reagan Scott von der britischen Transportarbeitergewerkschaft einen Überblick über die gegenwärtige Situation in der Union. 18 bis 20 Mio. Arbeitsplätze würden nach offizieller Lesart fehlen, die registrierte Arbeitslosenrate beträgt 10,9%. Doch selbst diese hohen Zahlen seien untertrieben. 25 Mio. Arbeitsplätze müßten geschaffen werden, bevor von Vollbeschäftigung die Rede sein könne. Wachstum alleine kann kein Ausweg sein, so Scott, denn das müßte langfristig über 3% liegen, um einen substantiellen Abbau der Arbeitslosigkeit zu erzielen. Das wäre allerdings deutlich über dem, was in der EU im vergangenen Jahrzehnt erzielt wurde, und angesichts der sich abzeichnenden Rezession, vor der mehrere Redner warnten, vollkommen illusorisch.

Dennoch werden in der abschließend verabschiedeten "Europäischen Konvention für Vollbeschäftigung" vor allem keynesianische Rezepte zur Ankurbelung der Wirtschaft aufgelistet: Die Zinsen müßten gesenkt und die rigide Sparpolitik beendet werden. Öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Bildung sowie Lohnerhöhungen sollen die Nachfrage in Gang bringen. Unterschiedliche Meinungen klangen nur bei der Frage an, was von dem Programm der Transeuropäischen Netzwerke zu halten ist, das von manchem wegen der eingeschlossenen Straßenbauvorhaben kritisiert wird. Einig war man sich allerdings darin, daß es einer koordinierten EU-Politik bedürfe, damit die Maßnahmen nicht durch einen Steuersenkungswettbewerb unterlaufen werden. Eine solche gemeinsame Politik müsse auch der Europäischen Zentralbank Vorgaben machen können sowie Steuern auf Kapital und Gewinne harmonisieren. Nicht zuletzt wurde eine Verkürzung der Arbeitszeit gefordert, wobei man sich jedoch nicht auf die Form festlegte, sondern 20% weniger Lebensarbeitszeit als Richtschnur vorgab. Auf die Forderung nach einem Mindestlohn konnte man sich nicht einigen. Zu groß scheint noch die Kluft zwischen mitteleuropäischen Gewerkschaftern, die v.a. ihre Facharbeiter-Klientel im Auge haben, und irischen Erwerbslosen, die täglich mit der Armut konfrontiert sind.

(wop)