Betrieb & Gewerkschaft

Positionen zum Existenzgeld

Vorweg: Die Kenntnis des Konzepts der BAG-SHI (BundesArbeitsGemeinschaft der SozialHilfe-Initiativen) zum Existenzgeld muß hier (aus Platzgründen) vorausgesetzt werden. Alle Materialien dazu sind in der ArbeitslosenInitiative Kiel e.V. (Iltisstr.34) erhältlich.


Gruppe Blauer Montag, Hamburg:

Gegen die Hierarchisierung des Elends

Die Forderungen nach Existenzgeld und Arbeitszeitverkürzung sollten nicht "losgelöst von der ursprünglich in ihnen enthaltenen Kritik an der Lohnarbeit" diskutiert werden. Vielmehr gehe es darum, den umfassenden Anspruch des Kapitals auf die bedingungslose und grenzenlose Verfügbarkeit über die Ware Arbeitskraft zurückzuweisen.

Die Erwerbslosenaktionstage im Frühjahr 1998 brachten keine politische Bewegung hervor. Sie beschränkten sich auf Forderungen an die Regierung nach Arbeit und nach Rücknahme der letzten Verschärfung. Ein solcher Protest kann bestenfalls die Festschreibung auf erreichtem schlechten Niveau sichern: "Reduziert auf eine Geldforderung an den Staat, deren Höhe dann allemal von politischen Kräfteverhältnissen bestimmt würde, werden all die weitergehenden Vorstellungen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum ausgeblendet". Vorstellungen, wie praktische Teilhabe wirklich auszusehen habe, würden dabei gleich mit aus dem Blick geraten.

Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung ist (wie die nach Existenzgeld) fast unumstritten, aber ohne klaren Inhalt. Seit den Debatten um den Standort Deutschland machen die Beschäftigten die Probleme ihres Chefs zu ihren eigenen und sich selbst erpressbar. Die Arbeitszeitverkürzung entwickelte sich zu Lohnkürzung und Arbeitsverdichtung. Flexible Verfügbarkeit wird zur Normalität, und Arbeitszeitverkürzung wird zur Anpassung an die Auftragslage, Verlängerung erfolgt ohne Überstundenzulagen. Die unterschiedliche Situation in den verschiedenen Betrieben und die zunehmenden "atypischen" Arbeitsverhältnisse sind allein mit tarifpolitischen Mitteln nicht zu steuern.

Der Weg zu einem besseren Leben geht nicht allein über Re-Regulierungsforderungen wie Arbeitszeitverkürzung und Existenzgeld. Wenn wir über diese Forderungen streiten, sollten wir uns zunächst den gesamten Umfang der Idee ins Gedächtnis zurückrufen ...


Andreas Schmidt, Gruppe Kritik und Diskussion, Hamburg:

"Ansprüche entwickeln den gesamten Umfang der Idee"

1. Lob für Blauen Montag, weil dort weder das "Recht auf Arbeit" eingeklagt wird, noch die Entfremdung der Arbeit bejammert und Arbeit als ein Grundbedürfnis "des" Menschen beschworen wird.

2. Kritik: Dem Blauen Montag fehle der Blick über den nationalen Tellerrand.

3. Zweifel, daß die Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung und Existenzgeld geeignet sind, die Lohnarbeit generell in Frage zu stellen.

4. Empfehlung gegen "schleimige Bettelei um Arbeitsplätze": Parolen der appd: "Arbeit ist Scheiße, Nie wieder Arbeit, Für ein Recht auf Arbeitslosigkeit bei vollem Lohnausgleich, Einführung der Jugendrente, Abschaffung der Altersrente, Hemmungslose Bereicherung nicht nur für eine Handvoll Parasiten, sondern für ALLE!"


Walter Hanser, Bündnis gegen Arbeit, Freiburg:

(Vorstellung des Bündnisses als Wertformkritiker, Antinationale, Wildcats, Sozialrevolutionäre)

Strikte Ablehnung der Forderung nach Existenzgeld. Vorwurf: "Blick von Sozialarbeitern".

Raul Zelik von FelS plädiere dafür, "das Recht auf Arbeit mit dem Recht auf Faulheit zu versöhnen" und bringe damit "das ganze Elend der Existenzgeldforderung auf den Punkt".

Hanser vermißt daran die "(Neu-) Definition von gesellschaftlich sinnvoller Tätigkeit nach der Abschaffung der auf abstrakter Arbeit beruhenden Warengesellschaft". Der Kapitalismus subsummiere alle Lebensbereiche unter den Imperativ der Verwertung und: "Die fundamentale Kritik am Existenzgeld setzt eben auch hier an: daß man nicht mit dem Geld kalkulieren kann ..., dessen Quelle, die Arbeit, man versiegen lassen will." Konsequenterweise würden die Existenzgeldforderer daher auch gar nicht an die Abschaffung der Lohnarbeit denken und (vom Staat!) ein Recht auf Arbeit fordern (Nähe zu PDS, FDP u.a). Unser Interesse sei aber "die Entstehung einer Aneignungsbewegung", darum sollte FelS sich lieber nicht "realitätstüchtig auf Konsenssuche" begeben.


Anti-Neoliberalismus-Gruppe, Berlin:

Die Gruppe fordert eine gerechtere Verteilung von materiellem Reichtum, Entkoppelung von Arbeit und Einkommen: Grundsicherung 1.500 DM + Miete für alle, Radikale Arbeitszeitverkürzung, Umverteilung der Arbeit, Abschaffung des Arbeitszwangs.

Gruppe ALSO (Arbeitslosenselbsthilfe, Oldenburg):

Siehe LinX, Nr.25/26, 1998


Avanti, Kiel/Lübeck:

Die Existenzgeldforderung gehöre in ein umfangreicheres Programm von Teilforderungen, worin das gemeinsame Interesse von Beschäftigten und Arbeitslosen, Frauen und Männern, Deutschen und EinwanderInnen zur Geltung komme.

Radikale Arbeitszeitverkürzung (bei vollem Lohnausgleich).

Abschaffung des Zwangs zur Arbeit, bzw. Grundsicherung ohne Arbeitszwang. Volle Entlohnung der Reproduktionsarbeit, und um Frauen die Teilnahme an der Erwerbsarbeit zu ermöglichen, ausreichende Einrichtungen zur Kinderbetreuung und Änderung der geschlechts-spezifischen Arbeitsteilung.

Die Forderung nach Existenzgeld entspricht nicht dem Anliegen der Mehrheit der von Arbeitslosigkeit Betroffenen. Die Forderung nach Vollbeschäftigung darf nicht aufgegeben werden, weil die Masse der Arbeits- und Einkommenslosen sich heute einen Vollzeitarbeitsplatz wünscht. Die Gefahr der Mißgunst von Beschäftigten gegenüber sog. Sozialschmarotzern muß vermieden werden, weil Sozialleistungen und Steuern aus den Einkommen der Beschäftigten aufgebracht werden. Kritische aber konstruktive Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ist anzustreben.


Von der in Kiel am Einstieg in die Debatte beteiligten Gruppe Linksruck liegt noch keine Äußerung zum Existenzgeld vor. Ihr derzeitiges Aktionsprogramm fordert u.a. "Mit dem Geld der Millionäre sollen Vollzeitarbeitsplätze dort geschaffen werden, wo sie der Mehrheit der Menschen zu Gute kommen ..." und unter der Parole "Verstaatlichen statt Dichtmachen": "Der Staat muß eingreifen, um Belegschaften vor Entlassungen und Betriebsschließung zu schützen."

Für den FelS-Kongreß ist eine Arbeitsgruppe "Feministische Ökonomiekritik" in Vorbereitung.

In Kiel? Die BAG-SHI konzipiert das Existenzgeld als "bedarfsorientierte Grundsicherung, unabhängig von Nationalität, Geschlecht, Alter und Familienstand". An diesem Konzept springen zwei emanzipatorische Aspekte ins Auge: 1. Hier wird nicht unterschieden zwischen Menschen mit und Menschen ohne deutschen Paß. Das ist ein Ansatz, der sich gut mit dem Antirassismus verschiedener FrauenLesben-Projekte in Kiel verträgt. 2. Mit dem Existenzgeld wären Mütter und Väter mit einem Schlag der existentiellen Sorge für den Nachwuchs enthoben. Die Gesellschaft versorgt ihre Kinder! Das ginge an die Wurzel des Übels: an das Privateigentum, das die Frauen an den gesellschaftlichen Auftrag der Familienfürsorge kettet.

(Eva D.)