Herr, send' Hirn!

Die beiden am häufigsten von Gerhard Schröder strapazierten Adjektive sind "vernünftig" und "pragmatisch". Daß dies beim "Kanzler aller Autos" zumeist Synonyme für arbeitnehmerfeindlich, rassistisch und neoliberal sind, war eigentlich nicht anders zu erwarten. Wäre er wirklich vernünftig und pragmatisch, hätte er sich an die Autonomen gehalten und deren weise Devise "Kein Alk auf Aktionen!" befolgt. Bewahrt hätte ihn dies nach Kanzleramtszaungerüttel, Köpf-Heirat und Wetten-das?-Auftritt vor einer weiteren Peinlichkeit. Als ob markiges, selbstgefälliges und v.a. populistisches Gequatsche auf einer dieser unsäglichen Politischer-Aschermittwoch-Veranstaltungen nicht schon grausam genug wäre - nein, Schröder konnte beim Maß-Halten offensichtlich kein Maß halten und gab lattenstramm den Jelzin für Sozis. Ob er dies in einem pre-pissed Armani-Anzug tat oder nicht, kann wegen der vorteilhaften Kameraführung nicht beantwortet werden.

Auch ein Spezialdemokrat mit Hang zum Größenwahn ist der Kieler OB Norbert Gansel. Als wäre Mettenhof Wye-Plantation, die Förde der Genfer See und er selbst die norddeutsche Antwort auf Madeleine Albright, muß er mit seinem fast pathologischen Zwang, alles zur Chefsache zu erklären, zu wirklich jedem Thema seinen Lokalpolitikersenf dazugeben. Kaum protestierten überall auf der Welt Kurdinnen und Kurden gegen die Verhaftung Abdullah Öcalans, ist Gansel schon wieder am verhandeln. Erstaunlich nur, daß der Löschtrupp auf dem Asmus-Bremer-Platz zur Verhinderung von Selbstverbrennungen aus Polizisten und nicht aus Gansel nebst RatskollegInnen bestand. Gansels letzte Vorort-Erfahrungen sind ja noch recht frisch. Unvergessen, wie er am 30. Januar anläßlich des Widerstands gegen den Nazi-Aufmarsch heldenhaft inmitten der Barrikadenkämpfe den Städtischen Müllwerkern eine Sonderschicht befahl.

Die eben erwähnten Proteste der KurdInnen - nach der zynischen, auf Video festgehaltenen Inszenierung von Öcalans Gefangennahme durch eine türkische Spezialeinheit eigentlich für jeden Menschen nachvollziehbar - führten offenbar zu einer neuen Sprachregelung der Medien. Unter "Terror" und "Krawalle" geht nichts mehr in Deutschlands Headlines. In dieses Klima paßt dann auch hervorragend ein Beitrag des Knaller-TV-Magazins Akte 97 über Selbstverbrennungen, in dem "wissenschaftlich geklärt" werden soll, warum gerade "der Kurde" ("gesteuert, hörig, fanatisch") zu dieser Art politischen Protests "neigt". Weniger zum Kotzen, sondern eher skurril war dann der darauf folgende Beitrag desselben Magazins mit dem schönen Titel "Von Kugel durchsiebt und noch 10 km gelaufen - warum Schwerverbrecher neun Leben haben".

Durch derart viel Blödsinn mürbe gemacht, fällt es leicht, die letzten Prinzipien über Bord zu schmeißen und sich die neueste "Computer-Bild" zu kaufen. Bei dieser Lektüre wird man um die Erkenntnis reicher, daß selbst Artikel mit Tips zum PC-Kauf als Rahmen für die Absonderung biologistischen Geseieres herhalten können. O-Ton Computer-Bild: "Der Kampf im Computer-Handel ist beinhart wie Männersport: Schwächlinge lassen Federn. Damit Sie bei der Suche nach dem besten Computer nichts abbekommen, hat sich Computer-Bild ins Gefecht geworfen." Mit der Uzi zu Vobis, Erstschlagsoption bei Brinkmann und beim Media-Markt keine Gefangenen machen - oder was?!

(C.S.)