Internationales

Kein Blairismus in Frankreich?

In vielen EU-Ländern steht die Verkürzumg der Arbeitszeit nach wie vor auf der Tagesordnung, trotz oftmals schlechter Erfahrungen mit der Flexibilisierung, die in den Abschlüssen hingenommen wurde. Auch in Frankreich, wo die 35-Stunden-Woche per Gesetz eingeführt werden soll, kündigt sich eine harte Auseinandersetzung um diesen Punkt an. In einer ersten Runde wurden Unternehmer und Gewerkschaften an einen Tisch gebracht, um die Bedingungen auszuhandeln. In einem zweiten Schritt sollen Ende des Jahres die Verhandlungsergebnisse gesetzlich fixiert werden. Was denken die Erwerbslosen westlich des Rheins darüber? LinX fragte Thierry Temime von der französischen Arbeitslosenbewegung AC!.

(wop)

LinX: Herr Temime, sind sie mit dem Gesetz zur Einführung 35-Stunden-Woche zufrieden?

Thierry Temime: Nein, ganz und gar nicht. Die ersten Verhandlungen haben bereits stattgefunden, aber es sieht nicht so aus, als ob für die Erwerbslosen viel dabei herauskommen wird. Wir haben immer die 35-Stunden-Woche gefordert, um die Arbeit zu verteilen, aber die Unternehmer wollen Verkürzung der Arbeitszeit ohne Neueinstellungen. Sie sagen: 35-Stunden-Woche ist o.k., aber nur wenn es mehr Flexibilität gibt und auch Überstunden gefahren werden dürfen.

LinX: Und die Gewerkschaften? Bestehen die nicht auf Neueinstellungen?

T.T.: Es gibt zwei Positionen innerhalb der Gewerkschaftsbewegung. Die einen sind bereit, Flexibilisierung der Arbeitszeiten zu akzeptieren, die anderen sind strikt dagegen. Das geht quer durch die Organisationen. Man kann nicht einfach sagen, CGT ist dagegen, und CFDT und FO sind dafür. Selbst der CGT-Kongreß hat vor kurzem beschlossen, daß Verhandlungen über Flexibilisierung akzeptiert werden müssen. Auf der anderen Seite hat die CGT aber in der Metallindustrie die Vereinbarungen über Flexibilisierung nicht mit unterschrieben, mit dem Argument, daß sie zu weit gingen und nichts über Neueinstellungen festgehalten wurde.

LinX: Diese Ergebnisse sollen demnächst in ein Gesetz gegossen werden?

T.T.: Ja. Die Regierung hat sich schon festgelegt. Im Dezember soll das Gesetzgebungsverfahren durch sein, weil sie, wie sie sagen, die 35-Stunden-Woche noch vor der Jahrtausendwende haben wollen. Aber wir sind nicht sehr optimistisch, daß viel für uns dabei herauskommt.

LinX: AC! ist auch am EuroMarsch-Netzwerk beteiligt. Erhoffen Sie sich von den sozialdemokratischen Regierungen weniger Arbeitslosigkeit in der EU?

T.T.: Ich kann noch keinen gemeinsamen Ansatz der nationalen Regierungen erkennen. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Jospin und Blair, und wir wissen noch nicht, was Schröder vorhat. Er sagt, daß es einen Beschäftigungspakt geben wird, aber wie der aussieht, ist noch die große Frage. Blairs Politik, Sozialhilfeempfänger zur Arbeit zu zwingen, gefällt uns jedenfalls überhaupt nicht.

LinX: Sie fürchten also, der "Blairismus" könnte sich in Europa durchsetzen?

T.T.: Ehrlich gesagt kann ich es mir nicht recht vorstellen, denn Jospin ist kein Freund einer solchen Politik. In Frankreich halten wir nicht viel von dieser neuen Art der Sklaverei. Der Arbeitsmarkt muß frei sein. Jeder muß das Recht auf freie Wahl seines Arbeitsplatzes haben.

In Perpignan hat man vor einiger Zeit versucht, ein solches System der Zwangsarbeit einzuführen. Sie haben Leute gezwungen, die Straßen zu reinigen und Gärtnerarbeiten zu machen. Wir haben sofort dagegen demonstriert und hatten die Medien und die Öffentlichkeit auf unserer Seite. Also haben sie es schnell wieder aufgegeben.

LinX: AC! beteiligt sich auch an der internationalen Mobilisierung gegen den Kölner EU-Gipfel.

T.T.: Auf dem Gipfel soll über europäische Beschäftigungspolitik diskutiert werden. Wir werden dort für die Schaffung sinnvoller Arbeitsplätze im sozialen Sektor und für ein gerechtes Einkommen demonstrieren. Wenn man die Arbeitslosigkeit reduzieren will, muß die Arbeitswoche substantiell verkürzt werden. Und je mehr wir am 29. Mai sein werden, die dies fordern, desto näher kommen wir dem toleranten, offenen und universellen Europa, das wir wollen.

LinX: Vielen Dank für das Gespräch.