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Staat im Staate

Freihandelszonen in Sri Lanka

Anton Markus ist Sekretär der Allgemeinen und Transportarbeiter-Gewerkschaft Sri Lankas, die Beschäftigte im Privatsektor organisiert. Außerdem ist er als Berater der Vereinigung der Arbeiter und Betriebsräte der Katunayake Freihandelszone bei Colombo tätig, in der rund 100.000 Arbeiterinnen und Arbeiter in zahlreichen Klein- und Mittelbetrieben arbeiten. LinX sprach mit ihm über Sri Lankas Freihandelszonen und über Gewerkschaftsarbeit in dem von einem Bürgerkrieg heimgesuchten Land.

(wop)

LinX: Herr Markus, seit wann gibt es in Sri Lanka Freihandelszonen und was bedeuten sie für die Arbeiter?

Anton Markus: Die ersten wurden bereits 1978 eingerichtet, d.h. es wurden massive Anreize für ausländische Investoren geschaffen, wie z.B. Steuererlässe, Infrastrukturmaßnahmen und dergleichen. Die Regierung versuchte, die Gewerkschaften draußen zu halten, doch das - so urteilten damals die Gerichte - war gegen die Verfassung. Wir haben also das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung. In der Praxis sieht es allerdings so aus, daß Gewerkschafter sofort entlassen werden. Nach 20 Jahren haben wir daher noch immer keine einzige Gewerkschaft in den Freihandelszonen.

LinX: Wie sind die Arbeitsbedingungen?

A.M.: Viele Arbeiterinnen und Arbeiter leben in Sammelunterkünften in der Nähe der Fabriken. Die Verhältnisse sind extrem primitiv: Die Wände unverputzt, manchmal teilen sich 20 Personen einen Raum, und die Dusche ist ein Wasserhahn im Freien. 90% sind Frauen. Die große Mehrheit ist sehr jung und kommt in die Freihandelszonen, um Geld für die Aussteuer zu verdienen. Nach fünf Jahren bekommen sie eine Abfindung und gehen dann, denn länger sind die Bedingungen in den Fabriken und Unterkünften kaum zu ertragen.

In den Zonen sind die Bedingungen in der Regel schlechter als in normalen Betrieben. Einige Fabriken arbeiten rund um die Uhr. Das Hauptproblem ist das sog. Ziel-System, eine Art Akkord. Die Arbeiter haben in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Menge herzustellen. Schaffen sie dies nicht, müssen sie länger arbeiten, ohne zusätzliche Bezahlung.

LinX: Wie hoch ist das durchschnittliche Einkommen?

A.M.: Der amtliche Mindestlohn beträgt 44 US-$ im Monat. Es gibt einige Lohnzusätze und Premien, aber im wesentlichen verdienen die Arbeiter 2.500 bis 3.000 Rupees d.h. 44 bis 50 US-$.

LinX: Und wie lange muß dafür gearbeitet werden?

A.M.: Neun Stunden inklusive Pausen, Samstags sechs. Der Sonntag ist eigentlich frei, doch werden in vielen Unternehmen zwangsweise Überstunden geleistet. Meistens wird die Mehrarbeit bezahlt. Es kommt allerdings vor, daß das Produktionsziel nicht erreicht wurde, und dann gibt es keinen Lohn für die Mehrarbeit.

LinX: Die Tatsache, daß die meisten nach fünf Jahren gehen, macht es schwer, nehme ich an, die Arbeiterinnen und Arbeiter zu organisieren?

A.M.: Ja. Die meisten sehen die Arbeit nicht als eine Langzeitarbeit an. Wir versuchen, sie zu überzeugen, daß sie, wenn sie die Bedingungen ändern, auch länger arbeiten können. Dafür müssen sie sich natürlich organisieren, auch wenn es keine Gewerkschaft gibt. Die neue Regierung hat Betriebsräte eingeführt. Die Arbeiter können jetzt ihre Vertreter in geheimen Abstimmungen wählen. Sie haben das Recht, Versammlungen abzuhalten und ihre Probleme mit der Geschäftsführung zu besprechen. Das ist kein Ersatz für Gewerkschaften, aber meine Gewerkschaft arbeitet mit diesen Räten, um den Arbeitern zu helfen, Erfahrungen im Organisieren zu sammeln. Deshalb haben wir diese Vereinigung der Arbeiter und Betriebsräte gegründet.

LinX: Und sie haben ein Frauenzentrum aufgebaut.

A.M.: Ja. Das liegt ganz in der Nähe der Katunayake Freihandelszone und dient v.a. den speziellen Anliegen der Arbeiterinnen. Aber wir haben da auch ein Büro der Vereinigung. Mehr als 15.000 Arbeiterinnen und Arbeiter leben in der Nachbarschaft in Gemeinschaftsunterkünften. Die können in das Zentrum kommen, sich treffen, Zeitung lesen, Fernsehen gucken, und wir nutzen die Gelegenheit für Bildungsveranstaltungen.

LinX: Sri Lankas Arbeitsgesetz gilt auch in den Freihandelszonen, aber nicht alle Investoren halten sich daran.

A.M.: Ja, das stimmt. Da gibt es z.B. die Firma Sky Sport. Der Direktor, Ulrich Kurrle, ist ein Deutscher. Die produzieren Fallschirme für den europäischen Markt. Den Arbeitern stehen in dieser Fabrik pro Woche 30 Minuten für den Gang zur Toilette zu. Die Behörden haben Kurrle aufgefordert, einen Betriebsrat zuzulassen, doch der kümmert sich nicht darum. Im Oktober '97 gab es einen Fall, daß eine Arbeiterin geschlagen wurde. Die Person, um die es geht, Frau M. G. Karunawathi, war zu Kurrle gerufen worden, der ihr einen fehlerhaften Fallschirm zeigte. Kurrle hat sie dann im Laufe der Auseinandersetzung mit dem Schirm geschlagen und sie aufgefordert, die Fabrik zu verlassen. Sie ging noch am gleichen Tag zur Polizei, um Anzeige zu erstatten, und später ins Krankenhaus, um sich behandeln zu lassen. Kurrle hat sie daraufhin entlassen, weil sie unentschuldigt der Arbeit fern geblieben sei. Unter den Arbeitern sorgte das für ziemliche Unruhe. Ende Dezember des gleichen Jahres gab es fünf weitere Entlassungen und als die fünf am 1. Januar dennoch zur Arbeit erschienen, kam es zum Streit, und Kurrle wurde erneut handgreiflich. Darauf trat die ganze Belegschaft in den Streik. Kurrle antwortete mit Aussperrung und schloß den Betrieb. Danach hat er einige wiedereingestellt, die seine Bedingungen akzeptierten, aber 127 Arbeiterinnen und Arbeiter verloren ihren Job. Die Polizei hat sich um die Anzeigen nicht gekümmert, aber die Vereinigung hat die Fälle schließlich vor Gericht bringen können, wo allerdings noch nichts entschieden wurde.

LinX: Welche Folgen hat der Bürgerkrieg für die Arbeiter?

A.M.: Die Behörden und die Kapitalisten nutzen ihn, um die Arbeiterklasse zu spalten. Sie sagen, LTTE sei der Feind und die Arbeiter sollten bescheiden sein und alles dem Kampf gegen den Feind widmen. Wenn sie sich organisieren und Forderungen stellen, heißt es, sie seien Veräter.

LinX: Versuchen Sie, nicht-nationalistische Überzeugungsarbeit zu leisten?

A.M.: Natürlich. Wir erklären den Arbeiten, die in der Katunayake Zone zu 99,9% Singhalesen sind, immer wieder, daß die Tamilen einen eigenen Staat fordern, weil sie große Probleme mit der Mehrheit haben. Viele Singhalesen sagen, daß sie gegen einen separaten Staat sind, aber denen halten wir entgegen, daß die Freihandelszonen auch eigene Staaten sind. Dort regieren die ausländischen Investoren und kümmern sich manchmal recht wenig um unsere Gesetze.

Die Tamilen kämpfen gegen den gleichen Feind, die Kräfte, die unser Land regiert haben. Das sind die Leute, die die Tamilen zu Opfern gemacht haben. Und die gleichen Leute unterdrücken auch die Arbeiterklasse. Deshalb versuchen wir, den Arbeitern die Sache der Tamil sprechenden Menschen verständlich zu machen, und betonen, wie wichtig es ist zusammenzuarbeiten.

LinX: Hat sich die Situation für die Arbeiter unter der neuen Regierung der Volksallianz, an der ja auch rechte Trotzkisten und die Kommunistische Partei beteiligt sind, verbessert?

A.M.: Ja. Im Vergleich zur Regierung der United National Party, die von '77 bis '94 an der Macht war, schon. Unter der war die Situation wirklich sehr schlecht. Es gab sehr viel Gewalt gegen Arbeiter und gewöhnliche Menschen. Das hat sich mit der neuen Regierung geändert. Ansonsten ist die Politik die gleiche. Die neue Koalition sagt z.B. genauso, daß der Privatsektor und die Investoren höchste Priorität genießen und die Arbeiter sich der Sache der Entwicklung unterordnen sollen.

LinX: Vielen Dank für das Gespräch.