Kommentar

Die groß-albanische Frage

Die Heuchelei kennt keine Grenzen: "Mit der gemeinsam von allen Partnern getragenen Aktion verteidigen wir auch unsere gemeinsamen Werte von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten", verkündete Bundeskanzler Schröder, als die ersten NATO-Bomben auf Jugoslawien fielen. Ungefähr so, wie am Wochenende zuvor in der Türkei und Türkisch-Kurdistan, wo NATO-Partner Türkei mit deutschen Panzern gegen Demonstrationen und Newroz-Feiern vorging, wo an die 10.000 Menschen in den Folterzentralen der Polizei verschwanden. Oder wie auf Tahiti, wo NATO-Partner Frankreich den Protest gegen seine Atombombenversuche mit nacktem Terror bekämpft. Oder so wie auf deutschen Flughäfen, von denen Flüchtlinge in die Hände ihrer Folterer und Henker abgeschoben werden.

"Aber man muß doch den Menschen helfen!", hört man von vielen, auch von "in der Zivilgesellschaft angekommenen" Grünen, die es besser wissen. Sicher. Aber schlichtet man einen Streit, in dem man zwischen zwei Menschen, die mit Knüppeln aufeinander losgehen, eine Handgranate wirft?

Schauen wir ein paar Jahre zurück an den Golf von Persien. Mit enormem Militäraufwand verteidigte die westliche Wertegemeinschaft dort die Souveränität einer dekadenten, halbfeudalen, halbkapitalistischen Elite gegen die damalige Inkarnation des Bösen, Saddam Hussein. Der Krieg und das nachfolgende Embargo kostete zehntausende Zivilisten das Leben. Mehrere hundert Tonnen abgereicherten Urans bilden seit dem eine strahlende Zeitbombe in weiten Teilen des Landes, doch das Regime in Bagdad sitzt fester im Sattel denn je. Mehr noch, der Krieg verschaffte ihm die Gelegenheit, die Opposition auszuschalten.

Ähnliches wird man in Jugoslawien erleben. Für das chauvinistische Regime in Belgrad ist die Aggression die Gelegenheit, den Nationalismus ordentlich hochzukochen. Milosevic wird man erst los werden, wenn Jugoslawien vollends zerschlagen und Serbien zum Protektorat wird. Wer allerdings nur ein bißchen über die Geschichte des Balkans weiß, wird auch wissen, daß dann über die Hinterlassenschaft das Hauen und Stechen erst richtig losgehen wird. Auch Mazedonien hat eine große albanische Minderheit, Albanien dafür eine griechische, Griechenland eine türkische, Bulgarien auch und hält Mazedonien zudem eher für einen abtrünnigen Stamm. Mazedonien hingegen hat Anspruch auf Teile Griechenlands.

Während man in Frankreich und den USA die zahlreichen Skeptiker im bürgerlichen Lager damit zu besänftigen versucht, es gehe darum, ein friedliches Zusammenleben von Serben und Albanern in den Grenzen Jugoslawiens durchzusetzen (mit Bomben!), macht man in Bonn kaum einen Hehl daraus, daß nach den Bomben nur eine Grenzrevision kommen kann. Angelika Beer (!) in NDR 4: "Kosovo kann nach so einer Intervention nur noch unabhängig sein. (...) Ein Balkan-Konzept ist in aller Munde, und es wird sich wohl auch die groß-albanische Frage stellen."

Die deutsche Frage haben die Grünen jedenfalls bereits beantwortet.

(wop)