Internationales

Bilder wie im Krieg

"Plötzlich fuhren Panzerwagen auf das Feld. Maskierte Spezialeinheiten, bewaffnet mit Maschinenpistolen, stürmten auf die friedlich feiernden Menschen zu und schossen in die Menge. Wir sahen, wie drei Menschen durch Schüsse schwer verwundet wurden. Es waren Bilder wie im Krieg."

Nicht aus dem Kosovo, sondern aus der türkischen Millionen-Stadt Istanbul schickte eine niederländische Menschenrechtsdelegation diesen Bericht. Die Holländer waren in die Türkei gereist, um die Feiern zum kurdischen Neujahrsfest Newroz zu beobachten, das am 21.3. begangen wurde. Für die meisten Kurden sind diese Feiern ein Ausdruck ihres Freiheitswillens. Der türkischen Regierung, die die Existenz der kurdischen Sprache und Kultur leugnet, sind sie hingegen seit jeher ein Dorn im Auge. Die geschilderten Szenen spielten sich im Stadtteil Gazi ab, der schon in der Vergangenheit öfter durch blutiges Vorgehen der Polizei gegen Demonstrationen Schlagzeilen machte.

Wie die Niederländer waren Delegationen aus zehn weiteren europäischen Ländern in die Türkei gereist, darunter auch mehrere aus Deutschland. Doch die türkischen Behörden lassen sich nicht gerne zuschauen. Die meisten Delegationen wurden an der Weiterreise in den Osten der Türkei, nach Kurdistan gehindert. Oder sie wurden an den Flughäfen abgefangen und in den Westen des Landes zurückgeschickt. So erging es z.B. einer Delegation aus Sachsen-Anhalt, an der auch die PDS-Landtagsabgeordnete Gudrun Tiedtke teilnahm. Gerade in der kurdischen Erdöl-Stadt Batman angekommen zwang man sie, nach Istanbul zurückzufliegen. Die Dolmetscher mehrerer Delegationen wurden verhaftet und ausgewiesen.

In mindestens zwei Fällen verhaftte man gar die ganze Beobachtergruppe. In Naybin, einem kleinen Städtchen an der Grenze zu Syrien, wurde am Sonntagmorgen eine sechsköpfige Delegation unter der Leitung des thüringischen PDS-Landtagsabgeordneten Steffen Dittes festgenommen und den ganzen Tag über festgehalten. Am härtesten traf es eine neunköpfige Gruppe aus Schleswig-Holstein, die schon am Samstagabend (20.3.) in der Mittelmeerstadt Adana in ihrem Hotel verhaftet wurde. Über 24 Stunden wurden sie im Staatssicherheitsgefängnis von der Außenwelt abgeschirmt, nicht einmal der deutsche Honorarkonsul konnte mit ihnen sprechen. Erst am Montagmorgen konnten sie mit ihren Freunden in Deutschland telefonieren. Nachdem es zunächst hieß, sie sollten dem Haftrichter vorgeführt werden, wurden sie schließlich am Dienstag abgeschoben.

Die Anspannung war den Acht, darunter auch einige Kielerinnen und Kieler, noch anzusehen, als sie am Dienstag letzter Woche auf einer Pressekonferenz über ihre Erlebnisse berichteten. Über 60 Stunden waren sie in der Gewalt der türkischen Polizei gewesen. "Zu keiner Zeit wurde uns der offizielle Grund für unsere Festnahmen mitgeteilt. Die Vorwürfe wechselten von Beamten zu Beamten. Mal sollen wir PKK-Propaganda gemacht, dann wieder mit Drogen gehandelt haben oder mit falschen Papieren eingereist sein", so ein Sprecher der Gruppe. Mit stundenlangen Verhören sollten sie mürbe gemacht werden.

Der wahre Grund für ihre Festnahme liegt für sie auf der Hand: "Was uns passiert ist, ist nichts im Vergleich zu dem, was kurdische Demonstranten und Menschenrechtler erlebt haben. Wir sollten nicht sehen, wie gegen die Newroz-Feiern vorgegangen wird." Am Sonntag, die Menschenrechts-Beobachter waren bereits in Polizei-Gewahrsam, gingen Polizei und Militär mit äußerster Brutalität gegen Feiernde vor. 60 Menschen mit Schußverletzungen gab es allein in Adana. Ein Mensch starb durch Polizeikugeln. An die 600 Menschen wurden bei Demonstrationen und Versammlungen festgenommen. Insgesamt könnten es an diesem Tag und im Vorfeld 10.000 in der ganzen Türkei und Türkisch-Kurdistan gewesen sein.

Was mit ihnen geschah, konnten die Deutschen im Polizeigefängnis beobachten: "Wir hatten keinen Kontakt zu den kurdischen Gefangenen, aber auf dem Hof konnten wir sehen, wie Uniformierte die Festgenommenen, die die Hände auf dem Rücken gefesselt hatten, in die Gebäude trieb. Sie hatten lange Stöcke, mit denen sie ihnen immer wieder auf den Kopf oder sogar ins Gesicht schlugen."

Auch von den Verhörmethoden der türkischen "Sicherheitskräfte" bekamen die Acht und ihre Dolmetscherin einen Eindruck, den sie nicht so bald vergessen werden: "Als ich in eine Dusche kam", berichtet ein Delegations-Mitglied, "sah ich an der Decke Blutspritzer. In der Ecke lag ein armlanges Schlauchende. Die Verhörzimmer waren alle gefliest und hatten im Boden einen Abfluß."

In den Gesprächen, die sie vor ihrer Festnahme führen konnten, verschafften sie sich einen Überblick über die Lage in Adana und Umgebung, wo mehrere Hunderttausend kurdische Flüchtlinge leben. Das Ergebnis: "Es gibt keine inländische Fluchtalternative für Kurden. Auch in den Städten außerhalb Kurdistans sind sie massiver Unterdrückung ausgesetzt." Dafür sprechen nicht zuletzt auch die unzähligen Festnahmen von Funktionären und Kandidaten der (kurdischen) Demokratischen Volkspartei (HADEP), deren Teilnahme an den Parlamentswahlen in zwei Wochen damit massiv in Frage gestellt wurde.

Auf dem Polizeigelände, so ein Teilnehmer, standen deutsche Schützenpanzer, ihre Bewacher waren mit G3-Gewehren und der MP5, beides deutsche Fabrikate, ausgerüstet. Die Polzisten hätten sogar NVA-Stahlhelme getragen. "Mehrere unser Gescprächspartner haben ganz klar erklärt, daß der Schlüssel zur Lösung des Konflikts in Deutschland und bei der NATO liegt."

Deutschen Zeitungen waren die Verhaftungen und Toten, die vielen Hunderttausend, die trotz der Repression sich nicht vom Newrozfeiern abhalten ließen, kaum eine Notiz wert. Kurdistan ist schließlich nicht Kosovo und die Türkei Mitglied der westlichen Wertegemeinschaft, die dort gerade Freiheit und Menschenrechte herbeibombt.

(wop)