Internationales

30 Jahre Totschweigen

Die Opfer der Atomtests auf Mororoa klagen an

Roland Oldham arbeitet für die kleine Demokratische Gewerkschaft Tahitis, die sich mit einem klaren antikolonialen und antinuklearen Kurs von den alten, etablierten Arbeiterorganisationen absetzt. Anfang März war er in Kopenhagen, um mit dänischen Gewerkschaftern über eine internationale Kampagne für die Freilassung tahitianischer Atombomben-Gegner zu sprechen, die 1995 im Zusammenhang mit Protesten während der letzten Tests in der französischen Kolonie verhaftet worden waren. (wop)

LinX: Rund 200 Atomwaffentests hat es seit den 50ern in französisch Polynesien gegeben.

Roland Oldham (R.O.): 120 waren sogar oberirdisch. Erst 10 Jahre nach den Amerikanern haben die Franzosen mit den Tests in freier Atmosphäre aufgehört. Und anders als die Amerikaner und auch die Engländer in Australien behaupten die Franzosen immer noch, die Versuche hätten keine Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit der Menschen. Aber wir wissen, daß unsere Leute, die Arbeiter auf Mororoa, an den Folgen sterben.

LinX: Gibt es wissenschaftliche Untersuchungen der Auswirkungen?

R.O.: Wir haben nicht einmal Zugang zu unseren medizinischen Daten. Die werden als militärisches Geheimnis behandelt. Das macht die Versorgung von Strahlenopfern ziemlich schwer. Wenn sie mit Beschwerden nach Neuseeland fliegen, können die Ärzte dort meist nur noch Krebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostizieren. Das ist meistens so mit Krebs: Wenn du ihn spürst, dann ist es oft schon zu spät.

Deshalb ist es für uns so wichtig, daß Frankreich seine Verantwortung anerkennt und zugibt, daß die Bomben Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben. Dann könnten wir ein medizinisches Programm starten und vielleicht noch einige Menschen retten.

LinX: Hat man je die Auswirkungen der Tests untersucht?

R.O.: Die einzige Untersuchung, die es bisher gab, wurde von der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO) durchgeführt, die bekanntlich nicht gerade neutral ist. Deren Leuten wurden einige Plätze auf Mororoa gezeigt, die zuvor dekontaminiert worden waren. Dennoch belegen sie in ihrer Studie, daß es eine gefährliche Verseuchung in der Lagune gibt und daß der Untergrund an einigen Stellen eingestürzt ist. In ihren Schlußfolgerungen heißt es allerdings, daß es keine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung in der Region gibt.

LinX: Sie fordern also Zugang für unabhängige Wissenschaftler zum Testgelände?

R.O.: Das ist das mindeste. Es gibt einfach zu viele Widersprüche in der Pariser Haltung. Sie sagen, es ist sicher, aber lassen keinen auf die Insel. Die ist immer noch militärisches Sperrgebiet, obwohl keine Tests mehr stattfinden. Wir wollen, daß unabhängige Wissenschaftler das Gelände anschauen können, damit es zumindest einen zweiten Bericht gibt.

LinX: Was ist aus den 15.000 Arbeitern geworden, die im Laufe der Jahre auf Mororoa gearbeitet haben?

R.O.: Das Problem ist, daß wir keinerlei Statistik haben. Es ist, als ob sie vom Erdboden verschwunden wären. Wir haben vor zwei Jahren eine Befragung begonnen und zum ersten Mal mit einigen von ihnen gesprochen. Aber das war nicht einfach. Es fing damit an, daß es keine Liste der ehemaligen Mororoa-Arbeiter gab. Wir fragten rum und bekamen schließlich 2.000 Namen zusammen. Wir suchten die Leute zuhause auf, aber nur 700 waren bereit zu reden. Auf Mororoa hatten sie einen Vertrag unterschreiben müssen, der sie zum Schweigen über die Arbeit verpflichtete.

Einige haben 30 Jahre mit diesem Schweigen leben müssen. Sie wußten, daß etwas nicht stimmen konnte. Man verbot ihnen, Fisch zu essen und aus den Kokosnüssen zu trinken. Mancher hat das nicht ausgehalten, immerzu Kartoffeln und Steak aus Europa. Also haben sie heimlich Fisch gefangen und gegessen. Aber das bekam ihnen schlecht. Sie bekamen Durchfall oder ähnliches und wurden ins Militärhospital gebracht. Die Ärzte merkten sofort, was Sache war, d.h. die Franzosen haben sehr wohl von der Verseuchung gewußt, die sie offiziell leugnen.

LinX: Das haben sie von den Arbeitern erfahren?

R.O.: Von einigen ihrer Kollegen. Was nach dem Krankenhaus aus den Leuten geworden ist, wissen wir nicht. Sie sind verschwunden oder haben den Mund gehalten. Es war sehr schwer für uns, an die Informationen heranzukommen.

Als wir diese Liste mit den 2.000 Ex-Arbeitern hatten, kam die Polizei und zwang uns, sie auszuhändigen. Sie warnten uns, daß es gefährlich sei, was wir tun. Sie behandelten uns wie Spione und überwachten alle unsere Bewegungen. So konnten sie, als wir die Gespräche mit den Arbeitern aufnahmen, immer vor uns da sein, um sie einzuschüchtern. Das ist der Grund, weshalb von den 2.000 auf unserer Liste nur 700 über Mororoa reden wollten. Wir stellten fest, daß einige von ihnen bis dahin nicht einmal mit ihren Frauen darüber gesprochen hatten. Die saßen bei unseren Gesprächen mit großen Augen dabei. So groß war der Druck. Manchmal waren die Arbeiter sogar zu ängstlich, auch nur zu zugeben, daß sie dort gearbeitet haben.

LinX: Während der letzten Tests 1995 hatte es auf Tahiti einiges an Widerstand gegeben.

R.O.: Ja. Wir hatten viel internationale Unterstützung. Aus aller Welt kamen die Leute nach Tahiti. Zum ersten Mal in unserem Kampf hatten wir das Gefühl, daß wir die Tests stoppen könnten. Es gab viele friedliche Demonstrationen. Aber als am 5. September die Bombe hoch ging, gab es eine Menge Frustration. Alle Hoffnung war mit einem Schlag weg. "Was können wir jetzt noch tun?", war das allgemeine Gefühl. Im Fernsehen sah ich, wie hohe Militärs in ihren schnieken Uniformen mit Champagner auf die Zündung der Bombe anstießen. Sie zeigten eine Luftaufnahme von der Explosion. Man konnte sehen, wie das Wasser der Lagune schäumte. Es war das erste Mal, daß ich das gesehen habe. Es war schrecklich. Ich war geschockt.

Ich ging also ins Stadtzentrum und hörte dort, daß die Polizei eine Kundgebung von Japanern zusammengeschlagen und die Leute festgenommen hatte. Und das war eine andere schreckliche Sache. Erst zünden sie die Bombe, trotz unserer Proteste, und dann schicken sie unsere eigene Polizei, tahitianische Polizei, um die Leute, die uns unterstützen wollen zu verprügeln.

An diesem Nachmittag war eine Demonstration angemeldet, eine kleine friedliche Demonstration. Wir waren zunächst nur 15 Leute von unserer Gewerkschaft, und natürlich war die französische Polizei da, mit ihren Maschinenpistolen. Die Leute waren voller Wut. Einige begannen, mit Steinen nach den Polizisten zu werfen. Immer mehr kamen dazu, und alle waren sie voller Verzweiflung und Wut. Ich drehte mich um und merkte, daß die Sache zu eskalieren drohte, und löste die Demonstration auf, die wir angemeldet hatten. Die Leute waren sehr sauer auf mich, aber wenn ich es nicht getan hätte, wäre an diesem Tag meine Stadt vielleicht in Flammen aufgegangen, wie es in einem Nachbarort passiert ist.

Am nächsten Tag gab es eine Demonstration am Flughafen. Die Polizei feuerte sofort mit Tränengas-Granaten auf die Leute, die einen Sit-in abhielten. Aber anstatt wegzurennen, griffen sie die Polizei an. Es kamen sogar Leute von außen dazu und schlossen sich an, so aufgeladen war die Stimmung. Die Lage geriet vollkommen außer Kontrolle. Drei Tage dauerten die Zusammenstöße. Der Flughafen ging dabei in Flammen auf. Auch in der Stadt brannte es.

Einige Tage nach den Ereignissen wollte eine Gewerkschaft eine Pressekonferenz abhalten, um die Vorfälle zu erklären. Doch bevor es losgehen konnte erschien schwerbewaffnete Polizei und nahm 14 der Gewerkschafter in einer sehr gewaltsamen Weise fest. Sie benutzten elektrische Schlagstöcke. Im Gefängnis wurden die Festgenommenen zusammengeschlagen und einige mit Stromschlägen gefoltert.

LinX: Von der französischen Polizei?

R.O.: Ja. Die gleichen Einheiten, die am Flughafen gewesen waren. Sie wollten die Öffentlichkeit ausschließen. Zeitgleich mit den Verhaftungen auf der Pressekonferenz versuchten sie, die internationalen Journalisten zu zwingen, ihre Aufnahmen von den Demonstrationen herauszugeben, um Leute zu identifizieren. Das war ziemlich schrecklich für uns, denn bisher waren die Journalisten mit ihren Berichten eine wichtige Unterstützung gewesen. Nun sollten sie zu Bütteln gemacht werden. Die Franzosen spielten wirklich mit psychologischem Terror. Einige der Journalisten waren verängstigt, denn man drohte ihnen, daß ihre Pässe konfisziert würden, sollten sie nicht kooperieren. Sie verließen also so schnell wie möglich das Land. Einige gaben ihre Bänder heraus, andere versuchten sie zu verstecken. Danach waren wir alleine. Keine internationalen Medien, keine ausländischen Beobachter mehr.

Dann gab es eine Verhaftungswelle. Wieder sehr gewalttätig. Ganze Blocks wurden abgesperrt, der Verkehr gestoppt, und maskierte Polizisten mit Maschinenpistolen traten die Türen ein, verwüsteten die Wohnungen und verhafteten Leute, zumeist Jugendliche. Man muß sich das vorstellen: Die Eltern mußten mit ansehen, wie ihre Kinder, die Hände auf dem Rücken gefesselt, von Schwerbewaffneten abgeführt wurden. Und keine internationale Öffentlichkeit mehr, die das gesehen hätte. Die Menschen fühlten sich alleingelassen. Und dann noch der Prozeß letzten September, in dem die meisten verurteilt wurden.

LinX: Es war ein Massenverfahren für alle?

R.O.: Genaugenommen zwei. In einem ging es um die Plünderungen, im anderen um die politischen Fragen, die Demonstrationen. 64 Menschen standen im letzteren vor Gericht und wurden verurteilt. Vor diesem Gericht haben viele zum ersten Mal über unsere Wut gesprochen, über die Bombenversuche, über die Mißachtung unserer Rechte, die friedlichen Proteste, auf die nicht gehört worden war, usw.

In der Urteilsbegründung war von all dem allerdings keine Rede. Sie wurden als Krawallmacher verurteilt. Aber für uns haben die Leute, die da am Flughafen demonstriert haben, nur ihr Land verteidigt. Unserer Meinung nach gehört eher Jacques Chirac vor Gericht.

LinX: Wie fielen die Strafen aus?

R.O.: Die höchste war drei Jahre Gefängnis und bis zu fünf Jahre Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte. Außerdem gibt es eine Art Verbannung, d.h. die Verurteilten dürfen für eine bestimmte Zeit keinen Kontakt zu ihrer Familie haben.

LinX: Wie geht es weiter?

R.O.: Natürlich wurde Berufung eingereicht. Darüber wird im September entschieden werden. Wir wollen bis dahin versuchen, eine internationale Kampagne aufzubauen.