Internationales

Föderation oder Superstaat?

In kaum einem anderen Mitgliedsland der EU ist die Bevölkerung so skeptisch gegenüber der Union wie in Dänemark. Anders als in Deutschland ist der Widerstand gegen die europäische Integration eine Domäne der Linken. Erst in jüngster Zeit versuchen auch rechte und rassistische Gruppen das Feld zu besetzen. LinX sprach mit Keld Albrechtsen von der Einheitsliste über die Gründe der EU-Ablehnung. Albrechtsen sitzt seit 1994 für das linke Parteienbündnis als Abgeordneter im Folketing, dem dänischen Parlament, und ist Fraktions-Sprecher für EU-Angelegenheiten.

(wop)

LinX: Herr Albrechtsen, die Einheitsliste gehört zu den entschiedensten linken EU-Gegnern in Europa. Weshalb?

Keld Albrechtsen (K.A.): Für uns ist die EU ein kapitalistisches Projekt. Ihre Gesetze und Regeln basieren auf den Prinzipien des kapitalistischen Marktes. Das gilt insbesondere für den Euro und die Regeln für Preisstabilität. Mit der EU werden sich in Zukunft noch mehr konservative und liberale Konzepte durchsetzen. Die Armut wird sich vergrößern, unter den Tisch fallen nicht nur Themen wie Umweltschutz, sondern auch die Interessen der kleineren Nationen. Es entwickelt sich eine Art Lobbyisten-Regime, in dem Konzerne die Poltik der EU diktieren. Das kann man z.B. an der Rüstungsindustrie, der Atomkraft oder der Gentechnik sehen.

Für uns gibt es keinen Grund zu glauben, man könne dieses System demokratisch reformieren, denn seine ganze Struktur basiert auf der Philosophie des kapitalistischen Marktes. Diese grundlegende Struktur muß erst einmal beseitigt werden, bevor man daran denken kann, eine neue, auf fortschrittlichen Ideen basierende europäische Architektur zu errichten. Deshalb sprechen wir davon, daß die EU aufgelöst werden muß.

LinX: Aber was käme danach?

K.A.: Zum Beispiel der Europarat. Wir sind dafür, daß er mehr Gewicht bekommt, nicht zuletzt in Menschenrechtsfragen. Außerdem sollte er Instrumente und Mittel bekommen, in den ärmeren Gebieten, besonders denen außerhalb der EU, Wirtschaftshilfe leisten zu können. Desweiteren muß die OSZE als ein Forum für Sicherheit, nukleare und generelle Abrüstung und Friedenserhaltung gestärkt werden. Die NATO gehört hingegen aufgelöst. Und wir sind eindeutig gegen solche Ideen, wie sie z.B. Joschka Fischer formuliert, der der EU eine militärische Dimension verleihen will. Unser Widerstand richtet sich also gegen alle wichtigen Felder der EU, wie sie heute existiert.

LinX: Während in Deutschland Föderalismus allgemein sehr positiv gesehen wird und die PDS z.B. eine Europäische Föderation fordert, ist die Einheitsliste vehement gegen eine Föderalisierung der EU. Weshalb?

K.A.: Föderalismus ist für uns ein Synonym für einen europäischen Superstaat. Ich verstehe natürlich die deutschen Argumente. Auch in Südeuropa haben unsere Genossen in den 70ern und 80ern oft argumentiert, die EU könnte einen Schutz gegen die Wiedererrichtung faschistischer Diktaturen darstellen. Ich verstehe diese Motive, wie ich auch nachvollziehen kann, daß man sagt, Deutschland muß in eine europäische Struktur eingebunden sein, um nicht eine neue Militärmacht zu werden.

Aber auf der anderen Seite betritt gerade die EU als eine neue militärische Macht die Weltbühne. Und wenn die Entwicklung so weitergeht, wird sie zu einer Supermacht werden. Tatsächlich wären die Unterschiede zwischen einer neuen deutschen Militärmacht und der sich jetzt abzeichnenden europäische Militärmacht gering. Frankreich, Großbritannien und Deutschland werden ihre militärischen Kräfte vereinigen, und was wir fürchten ist, daß alte imperialistische Ambitionen im neuen Gewande wiederauferstehen. Keines der drei Länder wäre in der Lage, zur Weltmacht zu werden. Aber zusammen könnten sie in der Zukunft diese Rolle einnehmen. Das ist es, wovor wir am meisten Angst haben.

LinX: Deutschlands neue Regierung möchte gerne, daß künftig im Ministerrat in mehr Bereichen per Mehrheitsbeschluß entschieden werden kann. Diskutiert man das in der deutschen Linken, so sehen die meisten darin kein Problem, weil sie es für demokratisch halten, wenn die Mehrheit entscheidet. Auch an der Tatsache, daß Deutschland 99 Parlamentarier stellt, während Dänemark z.B. nur 16 Vertreter nach Strasbourg schickt, stört man sich kaum.

K.A.: Ich denke, wenn es eines Tages möglich sein sollte, sich über eine föderale Architektur Europas zu unterhalten, dann müßte man zunächst einmal einen Blick auf die fundamentalen Prinzipien des demokratischen Föderalismus werfen. Die sehen nämlich vollkommen anders aus als das, was wir heute mit der EU haben. In einer föderalen Republik müssen die kleinen Saaten geschützt werden. In den USA ist das z.B. mit einem Zwei-Kammer-Parlament realisiert. Im US-Senat haben alle Staaten unabhängig von ihrer Größe zwei Stimmen. In der EU hingegen haben wir ein System, in dem kleine Staaten keinerlei Einfluß haben. Außerdem hat man in den USA ein sog. checks-and-ballance-System, das gewährleistet, daß die Staatsmacht aufgeteilt wird. Im Gegensatz dazu wird in der EU die Macht immer mehr konzentriert. Und wenn wir erst eine europäische Regierung und eine europäische Verfassung haben werden, was eine logische Konsequenz der gemeinsamen Währung wäre, dann wird es eine europäische Polizei und vielleicht sogar eine europäische Armee geben, beides kontrolliert von einer Zentralregierung. Das EU-Parlament wird nicht in der Lage sein, irgendeine wirklich demokratische Kontrolle dieses zentralistischen Systems durchzusetzen. Es hat keinerlei Verbindung zum Volk. Uns droht also ein Staat der Konzerne, in dem Lobbyisten und Bürokraten der Zentralbank und der Brüsseler Administration die zentrale Rolle spielen; ohne jede Gewaltenteilung.

Ähnliches gilt für den Europäischen Gerichtshof, der in Wirklichkeit eine politische Institution ist. In Dänemark haben wir andere Vorstellungen von einem Gericht. Dänische Gerichte richten sich nach den Gesetzen, sie machen sie nicht. Aber in der EU setzt dieser sog. Gerichtshof Recht. Die Richter sind nicht gewählt, aber sie machen Gesetze und verändern die Verfassung. Sie kümmern sich nicht um den Vertrag. Wenn sie andere Vorstellungen haben, fällen sie einfach eine Entscheidung, und dann ist der Vertrag geändert. Für mich zeigt das, daß es keine wirklichen föderalistischen Prinzipien in der EU gibt. Die neuen Vorschläge, die Stimmengewichte der Staaten zu ändern und die Fälle auszuweiten, in den Stimmenmehrheit reicht, werden die Macht weiter konzentrieren und den kleinen Staaten jeden Einfluß nehmen. Genauso wird es übrigens den Gewerkschaften und den Umweltschutzbewegungen ergehen.

LinX: Was ist mit dem EU-Parlament? Könnte das nicht ein Gegengewicht bilden?

K.A.: Das EU-Parlament ist eine bloße Illusion. In Dänemark wird das jeder bestätigen. Selbst die Pro-EU-Parteien sind strikt gegen Föderalismus. Sie verteidigen die EU in ihrer jetzigen Form, weil sie sich Vorteile für Dänemarks Wirtschaft erhoffen, z.B. die dänischen Exporte nach Deutschland. Aber kein dänischer Politiker würde es wagen, seinen Wählern zu sagen, daß er eine föderalistische EU will. (Außer vielleicht die Zentrumsdemokraten, die mit acht Abgeordneten im Parlament sitzen.)

LinX: In Deutschland wird unter Linken etwas anders diskutiert. Die PDS spricht über Föderalismus und meint etwas, was Sie anhand der USA beschrieben haben. Aber die Frage ist natürlich immer, welche Durchsetzungschancen soetwas hat.

K.A.: Sicher. In Dänemark glaubt kaum einer, daß wir eine demokratische föderale Struktur bekommen können. Und die jüngsten Vorschläge zeigen in eine andere Richtung.

LinX: Würde die Auflösung der EU nicht eine neue Welle nationalen Protektionismus nach sich ziehen?

K.A.: Das könnte passieren. Wir sollten daher auf jeden Fall eine Freihandelszone haben. Dänemark war früher Mitglied in der EFTA, was wir unterstützt haben. Wir denken, daß diese Freihandelszone ganz Europa umfassen sollte, auch die Ukraine und Rußland. Wir haben nämlich die große Befürchtung, daß es eine neue Teilung Europas gibt. Der hohe Grad der kapitalistischen Integration in der EU macht es unmöglich, eine größere Zahl neuer Mitgliedsstaaten aufzunehmen. Sicher: Polen, Ungarn, die Tschechische Republik werden beitreten. Vielleicht nicht so schnell, wie sie denken, aber sie werden. Aber danach wird es kaum noch möglich sein, neue Mitglieder aufzunehmen, da die Länder die draußen vor bleiben, sich in eine andere Richtung entwickeln.

Schon jetzt können wir die geschlossenen Grenzen sehen. Ungarn wurde gezwungen, seine Grenze zu Rumänien zu schließen, Polen muß strikte Grenzkontrollen an seiner Ostgrenze einführen. Wir bekommen einen neuen Eisernen Vorhang als logische Konsequenz der EU-Integration.

LinX: Ursprünglich war es Frankreich, das die gemeinsame Währung gefordert hat. Andernfalls, so die Befürchtung, wäre die D-Mark zur heimlichen Einheitswährung geworden. Wie kann man diesem Problem begegnen?

K.A.: Nach der Währungskrise Anfang der 90er wurde ein neues. lockereres Währungssystem etabliert, das ganz gut funktionierte. Die Währungen wurden nicht dem freien Fall überlassen, aber gleichzeitig gab es die Möglichkeit, die Kurse den sich ändernden Bedingungen schrittweise anzupassen. Natürlich gab es das Problem mit dem Übergewicht der D-Mark. Die dänische Krone war an sie angebunden, das war kein Geheimnis, aber das war mit keinerlei Verpflichtungen verbunden. Die deutsche Regierung hatte nicht die Möglichkeit, über unsere Finanz- und Sozialpolitik zu entscheiden. Was wir jetzt erleben ist, daß die EU in unsere Haushaltspolitik reinreden kann, und das ist für uns vollkommen unakzeptabel. Wir haben traditionell einen ziemlich umfangreichen Staatshaushalt. Wir hatten ein sehr gutes Gesundheitssystem, wir haben noch immer eine gute Altersversorgung, und wir haben ein passables System der sozialen Sicherheit, obwohl es sich bereits verschlechtert. Das alles wird mit der gemeinsamen Währung und dem Zwang zur Konvergenz in Frage gestellt. Deshalb ziehen wir das alte Währungssystem vor.

LinX: In der Vergangenheit wurde in Dänemark und anderen skandinavischen Ländern des öfteren eine Wiederbelebung des Nordischen Rates gefordert. Wäre das auch heute noch eine Alternative zur EU?

K.A.: Es könnte Teil einer Alternative sein. Aber wir verstehen es nicht als eine alternative Föderation. Warum sollten Dänen von Stockholm oder Schweden von Kopenhagen aus regiert werden? Keiner will so etwas in Skandinavien, und es gäbe auch keinen Grund dafür. In Skandinavien gibt es eine Tradition der gleichberechtigten Zusammenarbeit, und wir sehen darin ein Muster für ganz Europa, wie man kooperieren kann, ohne diese Machtstrukturen zu schaffen. Das ist der Grund, weshalb wir die OSZE und den Europarat gestärkt sehen wollen.

LinX: Der Widerstand gegen die EU beschränkt sich bisher auf Skandinavien, Griechenland und Großbritannien. Wie sehen also die Perspektiven aus, wie kann eine Bewegung aufgebaut werden?

K.A.: Auf zwei Ebenen: Das eine ist die Zusammenarbeit mit jenen, die die EU ablehnen. Das andere sind Menschen, die bestimmte Aspekte ablehnen wie die Militär-Union oder die gemeinsame Währung. Wir können ein Netzwerk jener Leute aufbauen, die gegen die konservative Politik, die mit dem Euro betrieben wird, opponieren. Nach unserer Ansicht wird eine solche Bewegung in einen allgemeineren Widerstand münden. Natürlich nicht von heute auf morgen. Aber wir haben diese Diskussionen seit vielen Jahren, und jedesmal wenn ich Genossen außerhalb Skandinaviens besuche, merke ich, daß die Kritik an der Richtung, die die EU nimmt, wächst. Wir sehen das als Prozeß. Das ist auch der Grund, weshalb wir solche Initiativen wie den Alternativgipfel in Köln im Juni unterstützen. Da geht es nicht generell gegen die EU, aber es ist ein Mittel, sich über spezifische Fragen zu einigen und so auch einer Alternative zur EU näher zu kommen.