Herr, send' Hirn!

Gorm Grimm, der über die Stadtgrenzen Kiels hinaus als sogenannter Drogenarzt bekannte Mediziner, hat zwar einen einprägsamen Namen, dafür aber nicht alle Tassen Schrank: Daß er sich wehrt, wenn ihm bei seiner umstrittenen Substitutionstherapie - Codeinpräparate an Junkies - von Krankenkassen und Gesundheitsbehörden ständig Steine in den Weg gelegt werden, ist verständlich. Mit der Formulierung, diese Schikanen seien "Kriegsführung gegen die eigenen Kinder" begibt sich Grimm jedoch auf eine recht abenteuerliche Argumentationsebene. Richtig daneben wird es dann, wenn er für sein Lamento Vergleiche bemüht: "Meine Patienten können Sie als Fortsetzung von Schindlers Liste betrachten." Während der Industrielle Juden vor den Gaskammern bewahrte, rette er, Gorm Grimm, Drogensüchtige vor Verelendung und Tod. Aber seit der deutsche Außenminister die Bombardierung der gesamten Infrastruktur Serbiens als eine etwas größer angelegte Antifa-Aktion darstellt und dabei auch noch den Spanischen Bürgerkrieg und die Internationalen Brigaden bemüht ("No pasaran!"), scheint der Rekurs auf Faschismus, NS etc. wohl in ziemlich jedem Begründungszusammenhang wohlfeil zu sein.

Vor diesem Hintergrund zu sehen, ist dann auch die Umbenennung einer Staffel - so nennt man in Südwestdeutschland größere Treppen - in Georg-Elser-Staffel, die Mitte April in Stuttgart vorgenommen wurde: Der SPD-Bürgermeister distanziert sich von Walsers Schlußstrich-Forderung, betont die "bewährte Stuttgarter Linie des Erinnerns" und erklärt den Anwesenden, daß uns 2. Weltkrieg und Judenvernichtung erspart geblieben wären, wenn der Attentäter Elser sein Ziel, Hitler in die Luft zu sprengen, nicht um 7 Minuten verfehlt hätte. Der zweite Redner, ein grüner Kriegstreiber, nimmt diesen Ball dankbar auf, stimmt ein Hohelied auf die Legitimität von Gewalt an und - wie nicht anders zu erwarten war - schlägt den Bogen zu den seiner Meinung nach völlig gerechtfertigten NATO-Bomben im Kosovo-Krieg. Schade - seine interessante Gewalt-ist-legitim-Rhetorik hätte dieser Stuttgarter Lokalpolitiker mal 22 Jahre früher bei der Beerdigung der Stammheim-Häftlinge Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe bringen sollen - und zwar in der Hans-Martin-Schleyer-Halle.

Humor hat er ja, der Kollege ögyr (firmiert in dieser Zeitung als jm) - während hier noch sorgsam abgewogen wird, ob die Frau-im-Spiegel-Headline "Juliane Werding: Panische Angst vor der totalen Sonnenfinsternis - Astrologen warnen vor dem 11. August" Eingang in diese Kolumne finden soll, mailt er, ich solle doch etwas zum 1. Mai schreiben. Gerne dürfe ich auch das Spielmannszugritual an diesem Tag dissen. Prima Idee eigentlich, nur angesichts der vorhersehbaren Katastrophe, daß sich einige der Parolen der Nazikundgebung zum 1. Mai in Bremen vermutlich mit denen auf PDS-Veranstaltungen im Osten Deutschlands decken werden, zumindest wenn dort links-nationale Lokalmatadore wie Christine Ostrowski oder Harald Buttler sprechen dürfen, fällt mir auch nichts mehr ein. Zur Erinnerung: Ostrowskis Geißelung von Liberalkapitalismus, Egoistengesellschaft und westlicher Dekadenz erfreute die Jung-Faschos der Wiking-Jugend so sehr, daß sie 1994 mit dem Aufkleber "Unsere Stimme für Frau Ostrowski" deren Kandidatur zur Dresdener OB-Wahl unterstützten.

Doch was interessieren Nazi-Aufkleber von '94? Jutta Ditfuth ist vielmehr genervt über den Zeitpunkt der vierten Eheschließung des Außenministers ("eine echte Kriegshochzeit, übrigens", so ögyr, "der Frankfurter Gefreite kommt kurz heim vom diplomatischen Schlachtfeld, um zu ehelichen". Wenn andere sterben, dürfe man nicht fröhlich Hochzeit halten, so Ditfurth. Weitere Argumente gegen den Krieg gibt's an dieser Stelle in 14 Tagen.

(C.S.)