Anti-Militarismus

Grüne:

Vor der Spaltung?

Bei den Grünen knarrt es wegen des Kriegs gegen Jugoslawien heftig im Gebälk. Am 13.5. soll es im westfälischen Hagen einen Sonderparteitag geben, und manches deutet darauf hin, daß es dort zum offenen Bruch kommen wird.

In Nordrhein-Westfalen wird geschätzt, daß etwa die Hälfte der Kreisverbände gegen den Krieg eingestellt ist. Besonders weit geht der Verband Kaiserslautern-Stadt, der in Hagen beantragen will, daß Außenminister Fischer zum Rücktritt und zur Niederlegung seines Bundestagsmandats aufgefordert wird. Das in Magdeburg beschlossene Bundestagsprogramm habe das Motto "Grün ist der Wechsel" gehabt, heißt es in dem Antrag der Kaiserslauterner. Damit sei nicht der Wechsel auf die Seite der Kriegspartei gemeint gewesen.

Ähnliche Anträge gibt es von einer ganzen Reihe grüner Gliederungen, z.B. auch aus dem schleswig-holsteinischen Lübeck. Dort beschloß der Kreisverband auf einer Mitgliederversammlung, sich nicht am Europawahlkampf zu beteiligen. Die dafür vorgesehenen Gelder sollen stattdessen in die Unterstützung der Antikriegsbewegung fließen. Die grünen Mandatsträger und Regierungsmitglieder werden zum Rücktritt aufgefordert. Sollte der Sonderparteitag keine Kursänderung bringen, wird überlegt, mit dem Kreisverband aus der Partei auszutreten. Derzeit werde geprüft, heißt es aus der grünen Ratsfraktion der Hansestadt, ob das statuarisch möglich ist. Außer einem sofortigen Stop der Angriffe wird auch "Wiedergutmachung der angerichteten Schäden" gefordert, und zwar "sowohl durch die jugoslawische bzw. serbische Regierung im Kosovo wie durch die NATO-Staaten in Serbien und Montenegro". Die Mittel für deutsche Reparationszahlungen sollen vom Etat des Kriegsministeriums abgezogen werden. Vom Landesvorstand in Kiel war zu den Lübecker Beschlüssen keine Stellungnahme zu bekommen. In einer Erklärung des Landesvorstands vom 22.4. wird die NATO lediglich aufgefordert, eine Friedenslösung "durch ein einseitiges Moratorium bei der Bombardierung Jugoslawiens" zu unterstützen. Der LaVo unterstützt ansonsten die Initiative von Fischer und Beer zu einer Friedenslösung auf Basis der UN und unter Beteiligung Rußlands. Die "sichere Rückkehr der Vertriebenen und Flüchtlinge" solle durch die Stationierung einer "internationalen, handlungsfähigen (!) Friedenstruppe im Kosovo" gewährleistet werden. Diese solle mit einem UN-Mandat ausgestattet sein und "unter Führung der UN oder der OSZE stehen", was "eine tragende Rolle von NATO-Einheiten (!) innerhalb der Friedenstruppe nicht ausschließe".

Etwas deutlicher fordete die Kieler Ratsfraktion der Grünen in einem Antrag an die Jahreshauptversammlung des Kieler Kreisverbandes am 23.4. "die sofortige Unterbrechung (!) der Luftangriffe der NATO auf Restjugoslawien" und "die umgehende Aufnahme von Verhandlungen der Konfliktbeteiligten unter Federführung der UNO". Dem Antrag wurde, so verlautet aus Beobachterkreisen, bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen zugestimmt. Ferner fordern die Kieler Grünen u.a., daß "Deserteure aus der jugoslawischen Armee in EU-Staaten Schutz und Aufnahme finden", sowie eine Unterstützung für die Initiative von Innenminister Wienholtz, "das z.Z. bestehende Kontingent von 10.000 Flüchtlingen zu erhöhen".

So weit wie die Lübecker will sonst in Schleswig-Holstein also kaum einer gehen. Aber immerhin gehört die grüne Landesminisetrin Angelika Birk zu den Unterzeichnern der Anti-Kriegsinitiative. Die beiden grünen Bundestagsabgeordneten des Landes zwischen den Meeren hingegen, Angelika Beer und Klaus Müller, gehören zu den eifrigen Befürwortern des Angriffs. Die ehemals engagierte Antimilitaristin und verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Beer bekam erst ein wenig kalte Füße, als der Anhang B des Rambouillet-Vertrags bekannt wurde, der den NATO-Truppen freie Bewegung und Immunität in ganz Jugoslawien garantieren sollte. Hätte sie davon vorher gewußt, hätte sie dem Bombardement nicht zugestimmt, ließ sie verlauten. Die Forderung nach einem bedingungslosen Ende der Angriffe mag sie allerdings daraus nicht ableiten.

Auch sonst ist es eher unwahrscheinlich, daß nördlich der Elbe weitere Kreisverbände dem Lübecker Beispiel folgen. Die Lübecker sind seit jeher im Landesverband links verortet und haben vor drei Jahren auch zu den eifrigsten Kritikern der Koalition mit der SPD auf Landesebene gehört. Ralf Henze, der vom schleswig-holsteinischen Neumünster aus das parteiinterne Oppositions-Netzwerks Basis-Grün koordiniert, hat wenig Hoffnung, daß sich andere Parteigliederungen ähnlich eindeutig äußern. Anders sehe es schon auf Bundesebene aus. Viele haben ihren Austritt bis zum Sonderparteitag zurückgestellt. Eine Spaltung sei durchaus wahrscheinlich. Entweder würde die Opposition gehen, oder Fischer verläßt die Partei. Über die von dem Neumünsteraner betriebenen elektronischen Verteiler (Mailinglist) wird jedenfalls schon mal zu Treffen der Parteiopposition vor und nach der Bundesdelegiertenkonferenz aufgerufen. Unterdessen bemüht sich die grüne Anti-Kriegsinitiative, die bei der GAL in Hamburg-Bergedorf untergekommen ist, die diversen Anträge der Kriegsgegner zu koordinieren.

Alle werden jedoch kaum unter einen Hut zu bekommen sein. Bundestagsmitglied Christian Ströbele, einer der wenigen Grünen, die im Parlament gegen den Krieg gestimmt haben, versucht den Spagat zwischen Ablehnung des Krieges und Festhalten an der Koalition: "Wir wollen weder aus der Koalition raus, noch unseren Außenminister in Frage stellen", äußerte er gegenüber der Frankfurter Rundschau. Gleichzeitig bereitet er jedoch mit einigen anderen MdBs einen Antrag auf sofortigen Stop der Bombardements vor.

Auf dem anderen des parteiinternen Spektrums gibt es inzwischen die ersten Stimmen für den Einsatz von Bodentruppen. Auf einer Mitgliederversammlung in Köln, bei der die Kriegsgegner knapp scheiterten, sprachen sich immerhin 20 Anwesende für den Einsatz von Bodentruppen aus. Der Bundestagsabgeordnete Werner Schulz meinte vergangene Woche, es sei ein Fehler gewesen, Milosevic nur mit Luftangriffen zu drohen. Und auch der bundesweite Frauenrat der Grünen konnte sich nicht mehrheitlich auf die Ablehnung von Bodentruppen verständigen.

Unterdessen regt sich in Schleswig-Holstein auch in Gewerkschaftskreisen Widerstand. In einem offenen Brief an die Mitglieder der Regierungsparteien fordern Betriebsräte und Vertrauensleute aus Norderstedt ein sofortiges Ende der Angriffe und eine friedliche Lösung des Konflikts. Unrecht könne nicht mit Unrecht bekämpft werden.

(wop, jm)