Aus dem Kieler Rat

Im Zweifel für die Wirtschaft

Kieler Rat beschließt neuen Flächennutzungsplan

Zu fast jeder Ratssitzung liegen sie auf dem Tisch, die Änderungsanträge der Verwaltung zum Flächennutzungsplan (F-Plan, FNP). In der Ratsversammlung vom 22.4. stand die 138. Änderung an. Und die wurde, nachdem die Verwaltung wie üblich mit einem kurzen und bündigen "Vorlage!" auf Erläuterungen verzichtet hatte, wie ebenfalls üblich "durchgenickt". Ein eingeübtes Verfahren, denn in der Regel werden solche Änderungen des FNP bereits vorher in den Ausschüssen beraten, die Ratsversammlung gibt nur noch ihr endgültiges Placet. Dennoch, der bislang geltende FNP stammt, abgesehen von den Änderungen, aus dem Jahre 1970. Und da sich in fast 30 Jahren so manches ändert, mußte nun auch ein neuer FNP her.

Der sollte eigentlich schon in der März-Ratsversammlung beschlossen werden. Doch wegen eines Formfehlers, die Stellungnahme des Hauptausschusses lag nicht vor, mußte auf den April vertagt werden. Vorausgegangen sind dem Beschluß des neuen FNP eine sechsjährige Planungs- und eine mehrmonatige Anhörungsphase. Schon im Februar 1998 war dem ersten Entwurf der Verwaltung zugestimmt worden, zu dem dann diverse Einwendungen von Ortsbeiräten und Interessenverbänden erfolgten. Anfang März '99 stimmten Bau-, Wirtschafts- und Umweltausschuß dem FNP nach geringen Änderungen zu. Die Veränderungsvorschläge der Ortsbeiräte wurden fast sämtlich abgelehnt. Der Hauptausschuß lieferte seine fehlende Begründung für die Zustimmung einen Tag vor der Ratsversammlung nach, indem er sich der Begründung des Bauausschusses anschloß.

Flächen-Nimmersatt Wirtschaft

Der FNP war also imgrunde schon beschlossene Sache, in der endgültig beschlußfassenden Ratsversammlung wurde jedoch nocheinmal eine Generaldebatte geführt, nachdem von der SPD ein Änderungsantrag zur Ausweisung eines Gewerbegebiets an der Boelckestraße, von den anderen Fraktionen jeweils ein knappes Dutzend weitere eingereicht worden waren. Der kommissarisch amtierende Stadtbaurat (und Umweltdezernent) Schirmer begründete noch einmal die Notwendigkeit für einen neuen FNP mit dem Knappwerden von Baugrund. Insbesondere der Ansiedlungswunsch von Ikea habe eine erneute Überarbeitung des Entwurfs vom Februar '98 notwendig gemacht. Damit sprach Schirmer auch schon eine der Hauptkonfliktlinien an, den "Flächenbedarf für den großflächigen Einzelhandel", in der Regel zu Lasten des Naturschutzes. Cai-Uwe Lindner, baupolitischer Sprecher der SPD, gab dazu zu bedenken, daß es bei der Förderung des Einzelhandels "mit Flächenausweisungen alleine nicht getan" sei. Im übrigen solle man nicht immer nur auf die Gewerbeflächen schauen, auch Flächen für Natur- und Landschaftsschutz seien wichtig. Gleichwohl schrieb er den Grünen ins Stammbuch, daß deren "Zurück zur ökologischen Basis die Stadt nicht voran bringen" werde. Ratsherr Hartmuth Kluth (Grüne) konterte, es sei ja wohl kein Wunder, daß sich die Grünen eher für den Naturschutz als für Gewerbeflächen einsetzten. Insbesondere wolle man am Friedrichsorter Braunen Berg kein neues Gewerbegebiet ausweisen.

Der CDU-Ratsherr Gerd Rogacki ließ sich zu einem "Ich räume ein: Es sind auch Belange des Naturschutzes zu berücksichtigen" herbei. Scharf kritisierte er jedoch, daß der FNP "trotz Gewerbeflächenmangels in diesem Bereich keine angebotsorientierte Nutzung" anbiete. Rogacki mutmaßte, daß der Wirtschaftsdezernent Rethage nicht sagen dürfe, was er denke. Warum habe er sich beim FNP nicht eindeutig für die Wirtschaft ausgesprochen? Fraktionskollege Jens Moriz assistierte, die ausgewiesenen 118 ha Gewerbefläche seien nicht genug, "das sagt sogar die IHK". Daß es sich bei letzterer eher um eine Lobbyistin handelt, denn eine Sachverständige für Flächennutzungspläne, sparte er bewußt aus. Rogacki plädierte, ebenso wie die SUK, ferner für die "Südspange Gaarden", eine Straßenanbindung für den Ostuferhafen. Glücklicherweise konnten CDU und SUK für dieses naturzerstörende Projekt keine Mehrheit finden. Der SUK-Fraktionsvorsitzende Kottek lehnte den FNP mit der Begründung ab, er sei "ein Weg zurück in die Steinzeit, wenn auch nicht so weit, wie die Grünen es wollen". Allianzen à la wirtschaftshörige New-SPD suchte Kottek beim OB Norbert Gansel. Ob der denn den FNP für gut halte. Doch Gansel ließ ihn rhetorisch nicht ungeschickt abblitzen: "Der F-Plan ist eine Planungsgrundlage, aber kein Dogma. Er ist ein positives Signal für die Wirtschaft, aber nur ein Schritt auf einem Weg, den wir noch vor uns haben."

Mit dieser Äußerung, in der man zwischenzeilig schon die zukünftigen Pro-Wirtschaft-contra-Naturschutz-Einzeländerungen des neuen FNP heraushören kann, gab er auch das "Go!" für die Einräumung seines Wirtschaftsdezernenten: "Kurz- und mittelfristig werden wir mit den ausgewiesenen Gewerbeflächen auskommen, später müssen wir uns nochmal zusammensetzen", ließ Rethage alles offen. Spätestens mit dieser Äußerung hatte sich die SPD bei der Wirtschaft wieder liebkindgemacht, ohne das Gesicht als "Naturschützer" zu verlieren.

Kiwi gegen Kleingärtner

Rückenwind erhielten die Wirtschaftslobbyisten einen Tag nach der Ratsversammlung noch einmal von der (stadteigenen) Kieler Wirtschaftsförderungsgesellschaft (Kiwi). Diese hatte ein "Thesenpapier zur Einzelhandelsentwicklung" erstellt, das am 23.4. im Kiwi-Aufsichtsrat beraten wurde. Gegen den "Kaufkraftabfluß" aus Kiel auf die Raisdorfer "grüne Wiese" fordert das Thesenpapier u.a. auch mehr Gewerbeflächen. Die Kiwi warnte davor, daß über freiwerdende Flächen allein die Bauverwaltung (und nicht der Wirtschaftsdezernent) entscheide. Eine "überproportional große Zahl von Schrebergärten" binde zu viele Flächen. Der Vorsitzende der Kleingartenvereine befürchtete darob, daß "das gute Verhältnis zwischen Stadt und Kleingärtnern durch die Kiwi zerstört" werde und beharrte auf den ausgewiesenen Gebieten, zumal man etwa bei der Ikea-Ansiedlung Kooperationsbereitschaft gezeigt und der "Inanspruchnahme von Kleingärten zugestimmt" habe.

SUK gegen Wagenburgen

Eine umweltfreundliche und menschenwürdige Flächennutzung steht aber nicht nur den Interessen der Wirtschaft und ihrer Lobbyisten im Rat entgegen, sondern auch dem Rechtsempfinden der SUK. Nachdem Ratsherr Kluth für die Grünen bekräftigt hatte, daß die Wagenburgen am Timmerberg und im Aubrook als "alternative Wohnformen" erhalten bleiben sollten, weil eine "weltoffene Großstadt wie Kiel sich auf soetwas einlassen sollte", wetterte SUK-Kottek: "Damit wird Kiel zum Pilotprojekt für rechtsfreie Räume", ein "eindeutiger Rechtsbruch" werde hier "nachträglich legalisiert". Die kleinbürgerlichen Ausfälle und Anträge der SUK gegen Timmerberg und Aubrook sind allerdings nichts Neues, und auch diesmal konnte die SUK sich nicht durchsetzen. Der Aubrook 100 ist jetzt, auch gegen den Widerstand der CDU, im FNP als "Sonderbaufläche alternatives Wohnen" ausgewiesen.

(jm)