Aus dem Kieler Rat

Roulette ums Kulturviertel

Zu einem Dauerbrenner im Rat entwickelt sich der Streit um das Neue Rathaus. Ausgelöst worden war dieser durch eine einsame Entscheidung des OB Norbert Gansel während der Sommerpause. Gansel wollte entgegen bereits beschlossenen Plänen das Bürgeramt im alten Rathaus belassen und dafür andere Ämter im Neuen Rathaus, dem ehemaligen Postgebäude an der Andreas-Gayk-Straße, ansiedeln (LinX berichtete). Zusätzlichen Zündstoff bekam die Debatte durch Gansels Plan, das Kulturviertel im Sophienhof ins Neue Rathaus umzusiedeln. Für die Ratsversammlung am 17.9. legte Gansel nun sein fertiges Nutzungskonzept vor, um es mit der SPD-Mehrheit beschließen zu lassen.

Doch dazu kam es nicht. Drei Fraktionsmitglieder der SPD waren beruflich verhindert, so daß die SPD keine absolute Mehrheit mehr im Rat hatte. Deshalb beantragte sie kurzerhand Vertagung. (Anmerkung: Dazu bedarf es keiner absoluten Mehrheit, sondern nur eines Drittels der Stimmen). "Entschuldigung" von Fraktionsvorsitzendem Jürgen Fenske: "Leider gibt es in diesem Rat kein Pairing (Anm. d. Red.: Freiwillige Übereinkunft, bei Fehlen von Ratsmitgliedern einer Fraktion auch die Stimmen der anderen Fraktionen paritätisch zu verringern). Deshalb müssen wir leider zu diesem Mittel greifen."

Dieser allzu durchsichtige Geschäftsordnungstrick erzeugte bei den anderen Fraktionen Befremden bis Empörung. So rechnete CDU-Fraktionsvorsitzender Arne Wulff der SPD ihre Inkonsequenz vor. Im Hauptausschuß hatte die SPD einen Tag vorher Gansels Plänen mit einer knappen Mehrheit von 8:7 zugestimmt und Anträge der CDU auf Vertagung zurückgewiesen. Die CDU hatte im Hauptausschuß Vertagung beantragt, weil andererseits der Kulturausschuß - mit den Stimmen der SPD - im Hinblick auf den Umzug der Stadtgalerie ein Abwarten bis zur Erhebung näherer Daten beschlossen hatte. Norbert Gansel nahm seinen Fraktionsvorsitzenden in Schutz: "Weil nicht alle da sind, kann leider nicht entschieden werden, was notwendig ist." Da sich die Ratsversammlung "hier solchen notwendigen Beschlüssen" verweigere, müsse eben vertagt werden. Mit scharfen Worten griff SUK-Fraktionsvorsitzender Wolfgang Kottek dieses seltsame Demokratieverständnis Gansels und "seiner" SPD an: "Die Mehrheitsfraktion läßt sich hier zum Büttel des OB machen."

In der Tat entsteht dieser Eindruck. Offenbar gegen einige interne Widerstände in der Fraktion hat Gansel seine Mehrheitsbeschaffer auf Kurs gebracht. Auch im Kreisverband der SPD, so wird gemunkelt, gebe es Widerstand v.a. gegen den Umzug des Kulturviertels. Doch auch hier hat Gansel vorgebaut. Ohne daß dies im Rat diskutiert wurde, nennt er in seinem Entwurf ganz offen auch den "denkbaren Verzicht auf die Stadtgalerie" als mögliche Alternative. Das scheint sowieso seine eigentliche Zielrichtung zu sein, nämlich durch eine quälende Dauerdiskussion über die Zukunft des Kulturviertels dessen MitarbeiterInnen zu zermürben und schließlich eine komplette Schließung zumindest der Stadtgalerie zu erwirken. Daß diese Taktik ziehen könnte, zeigte nicht zuletzt ein offener Konflikt zwischen Kulturamtsleiter Knut Pfeiffer-Paehr und Stadtgalerieleiter Knut Nievers bei einer Podiumsdiskussion zu Gansels Umzugsplänen am 15.9. im Kulturviertel (siehe Artikel in dieser LinX).

Vorerst bleiben Gansels Pläne bezüglich des Neuen Rathauses jedoch Papier. Eine Entscheidung steht voraussichtlich in der nächsten Ratsversammlung erneut an - wenn die Stimmschafe der SPD wieder vollständig versammelt sind. Doch inzwischen haben sich neue Sachzwänge ergeben, die jede weitere Debatte ohnehin überflüssig machen könnten. Wie die "Kieler Nachrichten" berichteten, hat inzwischen die DEGI, der Eigentümer des Sophienhofes, auf die Umzugsdiskussion reagiert. Sophienhof-Centermanager Jürgen Steinacker teilte den KN mit, daß die DEGI den bis 2008 laufenden Pachtvertrag für das Kulturviertel nicht verlängern wird. Steinacker hatte bis dato eine stillschweigende Verlängerung des Pachtvertrages zugesagt. Darauf pocht auch weiterhin Ute Kohrs-Heimann, kulturpolitische Sprecherin der SPD-Ratsfraktion. Der Pachtvertrag enthalte "eine Option, die eine zweimalige Verlängerung des Mietvertrages um jeweils fünf Jahre zu den selben Bedingungen vorsieht". Deshalb könne der Pachtvertrag erst 2018 vom Centermanagement gekündigt werden. Allein die Stadt könne bereits vorher kündigen. Jürgen Steinacker, der für den Verbleib des Kulturviertels im Sophienhof plädiert, ließ indes gegenüber den KN durchblicken, daß die Entscheidung der DEGI-Zentrale hätte vermieden werden können, wenn die Politik einen möglichen Umzug des Kulturviertels in das Neue Rathaus gar nicht erst thematisiert hätte.

(jm)