Antifaschismus

Siemens:

Entschädigung ohne Entschuldigung

Nach VW hat sich nun auch Siemens entschlossen, einen "privaten Hilfsfonds" in Höhe von 20 Mio. DM für überlebende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter des Konzerns einzurichten. Rund 60.000 Kriegsgefangene, sog. Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge, etwa ein Drittel der Gesamtbelegschaft, waren allein 1943 zur Zwangsarbeit bei Siemens & Halske und den Siemens-Schuchert-Werken verpflichtet.

Anläßlich des 100-jährigen Firmenjubiläms in Hamburg haben Mitte September rund 30 Menschen für Entschädigungen demonstriert. Ein breites Aktionsbündnis, u.a. das Auschwitz-Komitee in der BRD und Teile der GAL-Fraktion, unterstützte die Kundgebung und forderte eine schnelle und unbürokratische Entschädigung. Besonders die Überlebenden in Mittel- und Osteuropa haben derartige Leistungen bisher kaum erhalten. Viele von ihnen leben heute in bitterer Armut. "Wir brauchen keine Denkmäler, wir brauchen Suppe und Brot", zitierte die Rednerin vom Auschwitz-Komitee eine Überlebende aus der Ukraine. Katharina Obens unterstrich weiter, daß Entschädigungen keine Almosen sein dürften und könnten. Die Betroffenen benötigten vielmehr eine Regelung, die ihre soziale Situation wirklich verbessere. "Firmen wie Siemens müssen gezwungen werden, ihren Teil dazu beizutragen." 20 Mio. DM werden aber kaum ausreichen, um diese Forderung zu erfüllen.

Bisher hat der Konzern erst in einem Fall gezahlt: Anfang der 60er Jahre richtete Siemens auf Druck der Jewish-Claims-Conference einen Fonds ein, aus dem 2.200 jüdische Überlebende mit durchschnittlich 3.300 DM entschädigt wurden. Alle weiteren Forderungen hatte das Unternehmen in der Vergangenheit kategorisch abgelehnt. Siemens sei zum Einsatz von Zwangsarbeitern gezwungen worden und habe von diesen nicht profitiert, beteuerte der Konzern immer wieder. Für Andreas Panten, Pressesprecher von Siemens Hamburg, spielt es dabei eine untergeordnete Rolle, ob das Unternehmen die Zwangsarbeiter selbst angefordert habe oder ihm diese von der SS zugeteilt wurden. "Die von den Nationalsozialisten vorgegebenen Produktionsziele waren nur mit Zwangsarbeitern zu erfüllen, die Firmenspitze hatte keine Wahl."

Dieser Darstellung widerspricht Ursula Krause-Schmitt, Historikerin im Studienkreis Deutscher Widerstand, und betont die Vorreiterrolle des Unternehmens bei der Rekrutierung von Zwangsarbeitern: "Spätestens seit dem Frühjahr 1940 haben die Siemensstädter Werke jüdische Menschen als billige Arbeitskräfte vom Berliner Arbeitsamt angefordert." An vorhandenen Produktionsstätten wurden Lager eingerichtet und neben KZs Fabriken gebaut, 1942 etwa beim Frauen-KZ Ravensbrück. "Dahinter stand die Logik, daß für Zwangsarbeiter, die in den KZs vegetierten, die Kosten für eine Unterbringung entfielen." Eine Erfindung von Siemens waren auch die sog. Judenabteilungen, in denen, so Krause-Schmitt, bewußt die Angst der Menschen vor der Deportation genutzt worden sei, um höhere Leistungen aus den Menschen zu pressen. Für die Hamburger GAL-Abgeordneten Andrea Franken und Peter Zamory steht ebenfalls fest, daß "der Siemens-Konzern während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft von der brutalen Ausbeutung der Arbeitssklaven profitiert hat." Das Unternehmen müsse sich zu seiner historischen Schuld bekennen und gemeinsam mit anderen Konzernen in einen Entschädigungsfonds einzahlen.

Über 50 Jahre nach Kriegsende wächst der öffentliche Druck auf deutsche Unternehmen, die im "Dritten Reich" von der Ausbeutung ihrer Arbeitssklaven profitiert haben. Führenden Konzernen drohen Sammelklagen vor amerikanischen Gerichten, darunter Siemens, Daimler Benz, Volkswagen und der BASF. Nach Versicherungen und Banken signalisieren jetzt v.a. die exportorientierten Industrieunternehmen ein Einlenken.

Offenbar scheint nach VW nun auch Siemens als zweites deutsches Großunternehmen bereit, von seiner starren Haltung abzurücken. Zur Hundertjahr-Feier in der Hamburger Börse drückte der Konzern "den Menschen, die zur Arbeit in Siemens-Betrieben verpflichtet wurden, sein tiefes Mitgefühl aus". Siemens bekenne sich zu seiner moralischen Verantwortung, sagte Pressesprecher Panten.

Der nun eingerichtete Entschädigungsfonds soll von unabhängigen Persönlichkeiten und Organisationen verwaltet werden. Ein Siemens-Sprecher kündigte an, die Mittel schnell und unbürokratisch an Hilfsbedürftige auszuzahlen. Man sei auch bereit, die Mittel aufzustocken, wenn das Geld nicht ausreichen sollte. Dabei habe der Entschluß zur Einrichtung des Fonds laut Siemens "absolut nichts" mit der Sammelklage zu tun, die Zwangsarbeiter Ende August in den USA gegen den Konzern eingereicht haben.

Die Überlebenden kämpfen seit Jahrzehnten für eine späte "Wiedergutmachung". Für sie drückt sich in der verweigerten Entschädigungen eine Verleugnung von Schuld und Verantwortung aus. Eine Schuld der damaligen Siemens-Leitung sieht Panten jedoch nicht. Allenfalls die, daß sich die Verantwortlichen nicht für eine Verbesserung der Lage "ihrer" Zwangsarbeiter eingesetzt haben. Eine Entschuldigung bei den Überlebenden für das erlittene Unrecht wird es bei dieser Haltung wohl auch künftig nicht geben.

(ph, dz)