KERNspalte

Die Versprechen der Atomlobby in Folge des Transportskandals wurden, wie zu erwarten war, nicht eingehalten. Der Störfall im AKW Grundremmingen ist ein Beweis dafür: Er wurde der Öffentlichkeit erst sechs Wochen später mitgeteilt. Im Oktober war durch einen 1 cm großen Riß in einer Leitung im Hauptkreislauf des Siedewasserreaktors Kühlwasser entwichen. AtomkraftgegnerInnen vor Ort verlangen nun von Seiten der Betreiber eine Erklärung zu den Vorfällen, u.a. dazu, warum das vollautomatische Leck-Erkennungssystem nicht funktionierte.

Ungeachtet dessen stehen schon die nächsten Brennelement-Transporte in Aussicht. Ab Januar dürfen im ehemaligen Kernforschungszentrum Rossendorf bei Dresden 17 Transportbehälter mit insgesamt 951 gebrauchten Brennelementen beladen werden. Zwar liegt bisher keine Genehmigung für den Abtransport ins Zwischenlager Ahaus vor, doch gilt diese als Formsache, da die Behälter trocken beladen werden.

Wenn schon die Transporte weitergehen, so liegt zumindest die in den Koalitionsvereinbarungen angekündigte Atomgesetznovelle bald vor. Im Januar sollen aber auch schon die ersten Konsensgespräche stattfinden (vorsorglich unter der Federführung des Bundeskanzlers Schröder statt unter jener des scheinbar entschlossenen Umweltministers Trittin; wen überrascht es?). Damit erledigt sich dann wohl der Streit, ob erst die Novelle in Kraft tritt oder erst Konsensgespräche stattfinden. In einem Schreiben an den Bundeskanzler fordern nämlich verschiedene Unternehmer den Aufschub der Novelle, da sie sonst den Verhandlungsspielraum bei den Konsensgesprächen eingeschränkt sehen. Für die besagten Verhandlungen hat Viag bereits den ehemaligen Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit, Gerald Hennenhöfer (der nach dem Regierungswechsel in Ruhestand geschickt wurde), als Generalbevollmächtigten für Wirtschaftspolitik angestellt. Teile der Regierung wollen allerdings am ursprünglichen Plan festhalten und zuerst die Novelle durchsetzen. In der umstrittenen Gesetzesänderung werden die Entsorgung auf die direkte Endlagerung beschränkt, die Haftungspflicht der Betreiber erhöht, die Sicherheitsvorschriften für AKW verschärft und die staatliche Förderung der Atomenergie gestrichen. So sehen es jedenfalls die Koalitionsvereinbarungen vor.

Allerdings ist im Koalitionsvertrag auch die Absicht vermerkt, man wolle sich für einen Nato-Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen einsetzen. Insbesondere Verteidigungsminister Scharping zeigt sich jedoch nicht gerade engagiert. Seiner Ansicht nach sollen tragende Elemente der Nato-Strategie nicht in Frage gestellt werden. V.a. die Atommächtigen Frankreich, Großbritannien und die USA weisen den Vorschlag des Außenministers Fischer, eine derartige Änderung in die neue Strategie aufzunehmen, zurück und wollen nicht auf ihr "Recht" verzichten. Auf einem Gipfeltreffen im kommenden April in Washington wird die seit 50 Jahren bestehende Nato anläßlich der veränderten politischen Lage eine eine neue Strategie entwickeln.

Nachdem der Koalitionsvertrag statt sofortigem Ausstieg nur Energiekonsensgespräche und einen Einstieg in den Ausstieg ohne konkrete Terminierung vorgesehen hat, droht nun die Praxis des neuen Umweltministers Jürgen Trittin von diesen Willenserklärungen noch weiter abzurücken: Zunächst mal sollen neue Atomanlagen genehmigt werden. Einerseits ist da die beantragte Genehmigung eines atomaren Zwischenlagers auf dem Gelände des AKW Lingen (Betreiber: RWE). Zu diesem Antrag war der Betreiber durch die Konsensgespräche geradezu gedrängt worden. Das Hauptanliegen der Grünen scheint zunächst zu sein, die Castor-Transporte vom Tisch und von der Straße zu bekommen, und zwar, um den Castor-Gegnern den Angriffspunkt zu nehmen. Der drohende Entsorgungsengpaß soll dagegen dadurch abgewendet werden, daß möglichst viele Betreiber die Genehmigung für den Bau von Zwischenlagern auf ihren Werksgeländen beantragen. Wenn die Abklingbecken vollgelaufen sind, könnte man dann die abgebrannten Brennelemente innerhalb der Anlage in Behälter packen und auf unbestimmte Zeit in der benachbarten Halle zwischenlagern. Ohne daß auch nur einem einzigen AKW bisher das Auslaufen der Betriebserlaubnis in Aussicht gestellt wurde, zeigte sich das Bundesumweltministerium von dem Vorstoß der RWE begeistert. Damit scheint der Weiterbetrieb unter Rosa-Grün erstmal gesichert, und das Klima der Konsensgespräche wird locker und kameradschaftlich. Allenfalls, und da haben die Betreiber schon Kompromißbereitschaft signalisiert, kann mittelfristig mit der Abschaltung der über 22 Jahre in Betrieb befindlichen Uraltmeiler Stade, Biblis A und Obrigheim gerechnet werden - nicht, weil "unser starker Arm es will", sondern weil die technische Nachrüstung der Veteranen-AKWs auf die Dauer einfach zu teuer würde.

Andererseits ist da die Pilotkonditionierungsanlage (PKA) auf dem Gelände des atomaren Zwischenlagers in Gorleben. Die ist jetzt fertiggestellt und möchte gern den Probebetrieb aufnehmen. Dort würden abgebrannte Brennelemente für die Endlagerung (die es ja immer noch nicht gibt und auch nicht geben wird) in Glas verpackt werden, und zwar mit einem Jahresdurchsatz von zunächst nur 35 Tonnen. Das entspricht nicht zufällig ziemlich genau der Menge, die in 8 Behältern in der unmittelbar benachbarten Zwischenlagerhalle vor sich hin strahlt. Dabei aber entstehen radioaktive Abwässer, und die will die GNS (Betreibergesellschaft) in die Elbe leiten. Dazu braucht sie eine abwasserrechtliche Genehmigung. Gegen diese Genehmigung haben mehr als 3.000 Menschen Einwendungen erhoben. Wie es zu einem ordentlichen behördlichen Verfahren gehört, sollen die Einwender öffentlich angehört werden. Der Termin für die schon mehrmals verschobene öffentliche Anhörung wird nun im Januar oder Februar 1999 erwartet. Danach soll die Anlage im Rahmen der 3. Teilerrichtungsgenehmigung in Betrieb gehen. Wir können uns lebhaft vorstellen, wie Ex-KB-Mitglied Trittin die Eröffnungsrede hält, den Betreibern viel Glück wünscht und den Sekt aufmacht.

Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg - unterstützt von einigen norddeutschen Anti-AKW-Gruppen - will den Anhörungstermin zum Anlaß nehmen, um auf die Ausweitung des Atomprogramms, in diametralem Gegensatz zum Regierungsprogramm, aufmerksam zu machen. U.a. wurde eine Blockade der Zufahrt zur PKA oder eine Demo am Samstag nach Beginn der Anhörung in Betracht gezogen. Auch eine Aktion am Veranstaltungsort der Anhörung wurde vorgeschlagen. Im Januar soll ein neues Treffen über den Rahmen der geplanten Aktionen entscheiden. Die Teilnehmer des "Ratschlags" bedauerten die offensichtliche Castor-Fixiertheit der Bewegung, die sich in dem gedämpften Interesse niederschlug. Offensichtlich halten viele ehemals Aktive den Druck von der Straße erstmal für entbehrlich und warten (vielleicht vorübergehend) ab, ob sich die neue Bundesregierung nicht doch in ihrem Interesse betätigt.

Dafür, daß sie das nicht tut, wird vermutlich die französische (grüne) Umweltministerin Dominique Voynet sorgen. Während die deutschen Atomaufsichtsbehörden (wieder in schönem Einvernehmen mit den deutschen Stromkonzernen) aus Kostengründen liebend gerne auf die Wiederaufarbeitung in La Hague verzichten würden, hält Frau Voynet als Anwältin der WAA-Betreibergesellschaft COGEMA demonstrativ die Verträge hoch und droht mit einer "Castor-Orgie", falls die Deutschen ihren "illegal" in La Hague lagernden Atommüll nicht abholen. Wir dürfen uns das so vorstellen, daß mehrere Züge mit insgesamt über 150 Castor-Behältern z.B. bei Saarbrücken über die Grenze geschoben werden und Herr Trittin dann ein Problem hat.

Inzwischen hat die GAL Bergedorf (Hamburg) eine Broschüre "Akte X - die unheimlichen Risiken des AKW Krümmel" herausgebracht. Darin werden noch einmal die Argumente und Vorkommnisse zusammengefaßt, die das "KKK" (KernKraftwerk Krümmel) zu einem besonders pannenanfälligen Reaktor stempeln. Auf den Reaktordruckbehälter wird dort ebenso eingegangen wie auf das fragwürdige Genehmigungsverfahren, die Leukämie-Affäre, Störfälle, Niedrigstrahlung, Atomtransporte und Entsorgungsnachweis sowie auf den geplanten Einsatz von plutoniumhaltigen MOX-Brennelementen. Was fehlt, sind die erst kürzlich bekanntgewordenen Plutonium- bzw. Americium-Funde der Bremer Wissenschaftlerin Schmitz-Feuerhake in der Gemeinde Elbmarsch (am gegenüberliegenden Elbufer, ca. 5 km Umkreis des KKK). Die Broschüre kann bestellt werden bei der GAL Bergedorf, Chrysanderstr. 13, 21029 Hamburg (5 DM + Porto).

(us, B.G.)