Frauen

Für einen Neuen Gesellschaftsvertrag

Über die Frage "Arbeitsgesellschaft in der Krise - Frauenpolitik am Ende?" diskutierte die Autorin Mechthild Jansen im Rahmen einer Veranstaltung zur Vorstellung des "Neuen Gesellschaftsvertrages" mit Kieler Frauen. Frauenbeauftragte Annegret Bergmann und Waltraut Siebke von der Landeszentrale für Politische Bildung hatten die Verfasserin des Buches "Das Claudia-Nolte-Phänomen" und Mitinitiatorin des Neuen Gesellschaftsvertrages nach Kiel eingeladen.

Mechthild Jansen vertritt die These, daß Männer keinen Anlaß sehen, freiwillig das Geschlechterverhältnis auf eine gleichberechtigte Basis zu stellen. Sie würden damit von ihrer jetzigen Macht abgeben. Andererseits, so Jansen, gibt es Frauen, die um den Preis des Scheins eigener Macht die Männer in der Erhaltung der bestehenden Ungleichheit unterstützen. Beispiel an höchster Stelle ist Frauen- und Familienministerin Claudia Nolte, die als willigste Erfüllungsgehilfin konservativer Sozialpolitik in Bonn gilt. Sie steht jedoch nicht allein.

Gegen diesen Trend stellen sich bundesweit Frauen aus allen gesellschaftlichen Bereichen, aus Frauenorganisationen und Parteien. Am 4. März verabschiedeten sie in Bonn den Entwurf eines Neuen Gesellschaftsvertrages. Zu den Initiatorinnen und Erstunterzeichnerinnen gehört neben bekannten (SPD- und bündnisgrünen - die Red.) Politikerinnen, Künsterinnen und Frauen aus den Medien auch die Kieler Frauenbeauftragte Annegret Bergmann.

Die Initiatorinnen sehen in der zwischen Männern und Frauen ungleich verteilten Macht eine Ursache für das aus den Fugen geratene Sozialgefüge. Der Gesellschaftsvertrag, auf dem es beruht, wird nicht mehr eingehalten. Gegen diese Entwicklung wenden sie sich mit ihrem "Aufruf zur Selbstverpflichtung", so der Untertitel des Neuen Gesellschaftsvertrages.

Grundlage des Vertrages bilden drei Prinzipien:

Diese Prinzipien sehen die Verfasserinnen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Deutschland bisher nicht erfüllt. Sie streben nach einer breiten Diskussion der Inhalte des Neuen Gesellschaftsvertrages unter Beteiligung aller gesellschaftlicher Gruppen. Gleichzeitig werden auf breiter Basis Unterschriften gesammelt. Jede Unterzeichnerin und jeder Unterzeichner verpflichtet sich, persönlich für die Prinzipien des Neuen Gesellschaftsvertrages einzutreten.

Exemplare des Neuen Gesellschaftsvertrages und der Unterschriftenlisten sind erhältlich im Referat für Frauen der Landeshauptstadt Kiel, Tel.: 901-2056.

(Presseerklärung der Frauenbeauftragten Annegret Bergmann)

 


Dokumentiert:

Frauen wollen eine andere Politik

Selbstverpflichtungserklärung für einen neuen Gesellschaftsvertrag

Deutschland ist ein reiches Land - reich an Frauen und Männern mit Begabungen, Qualifikationen und Kreativität. Sie wollen Verantwortung übernehmen und ihre Fähigkeiten einbringen, um unser Land zu gestalten. Sie wollen sich frei entwickeln und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen. Sie wollen das Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands fördern. Sie wollen eine moderne Demokratie, die ihren Bürgerinnen und Bürgern gleiche Rechte und gleiche Chancen gewährt. Sie wollen Partnerschaft, Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Toleranz. Dazu müssen die Erfahrungen von Frauen und Männern gleichberechtigt in alle gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse einfließen. Erst dann ist Demokratie verwirklicht.

Die Zeit ist reif, die Verhältnisse in unserer Gesellschaft umzugestalten! An der Schwelle zum 21. Jahrhundert muß der Anspruch der Frauen auf gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft, in allen sozialen Beziehungen, im Erwerbsleben und in der Politik endlich eingelöst werden.

Wir wollen etwas tun, damit dies Wirklichkeit werden kann. Deshalb schließen wir Bürgerinnen und Bürger unseres Landes miteinander einen Gesellschaftsvertrag, um gleiche Chancen und soziale Gerechtigkeit für Frauen und Männer herbeizuführen.

Ich will mich an diesem Gesellschaftsvertrag beteiligen. Ich will damit eine Atmosphäre des Vertrauens und ein politisches Klima schaffen, in dem unser Ziel - eine Gesellschaft emanzipierter Bürgerinnen und Bürger - verwirklicht wird.

Deshalb werde ich mich - gemeinsam mit vielen anderen Menschen dafür einsetzen, daß

Ich werde mich in Beruf, in der Familie, im Freundeskreis, in Verbänden, Organisationen und im politischen Leben dafür einsetzen, daß sich viele Frauen und Männer diesem Gesellschaftsvertrag anschließen. Wenn wir in unserem persönlichen Umfeld ein anderes Klima schaffen, wird eines Tages eine Landschaft entstehen, in der es sich besser, zufriedener und demokratischer leben läßt.

In meinem Lebens- und Arbeitsbereichen werde ich für die Verwirklichung folgender Grundsätze eintreten:

1. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern ist ein demokratisches Grundrecht. Ich setze mich für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an allen Entscheidungspositionen ein. Auf dem Weg dorthin sind positive Maßnahmen für Frauen einschließlich Quotierung unverzichtbar, damit die politische Kultur und Entwicklung der Demokratie gefördert wird.

2. Frauen, Männer und Kinder brauchen soziale Sicherheit. Ich setze mich für soziale Gerechtigkeit ein, damit Frauen und Männer in allen Lebensphasen über ein ausreichendes Einkommen verfügen. Deshalb müssen für Frauen und Männer Arbeitsplätze mit sozialer Sicherheit geschaffen werden, die eine eigene Existenzgründung, Selbstbestimmung und Chancengleichheit ermöglichen. Frauen und Männer müssen für gleichwertige Arbeit die gleiche Bezahlung erhalten. Das Zusammenleben mit Kindern, älteren Menschen und die Sorge für sie müssen von Staat und Gesellschaft abgesichert werden. Für jeden Bürger und jede Bürgerin ist eine soziale Mindestsicherung auch im Alter zu schaffen.

3. Mädchen und Jungen brauchen Chancengleichheit in Erziehung und Bildung. Ich will in meinem Bereich dafür sorgen, daß Mädchen und Jungen lernen, ihrer Kraft, Leistungsfähigkeit und ihrem Gefühl zu vertrauen. Ich werde dazu beitragen, daß Bildung und Erziehung nicht mehr die alten Bilder von weiblicher Unterordnung und männlicher Dominanz vermitteln, so daß Kinder in Achtung vor der Leistungsfähigkeit des jeweils anderen Geschlechts und Kenntnis der eigenen Möglichkeiten die Chance einer selbstbestimmten Lebensplanung erhalten.

4. Gleiche Chancen in Beruf und Ausbildung sind Grundsteine für die Zukunft unseres Landes. Ich setze mich dafür ein, daß jede junge Frau und jeder junge Mann einen Ausbildungsplatz erhält, und daß die Berufschancen durch ein breites und den modernen Erfordernissen entsprechendes Ausbildungsangebot gesichert werden. Zukunftsfähige Berufe müssen auch jungen Frauen offenstehen, denn die Orientierung auf die traditionellen Frauenberufe bedeutet in der Regel geringeres Einkommen und geringere Aufstiegschancen. Ich fordere gleiche Chancen bei Einstellungen und Beförderungen. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik muß selbstverständlich werden.

5. Die bezahlte und unbezahlte Arbeit muß zwischen Frauen und Männern gerecht verteilt werden. Ich setze mich dafür ein, daß nicht nur die bezahlte, sondern auch die unbezahlte Arbeit zwischen Frauen und Männern gerecht verteilt wird. Partnerschaftliche Arbeitsteilung hat positive Auswirkungen für Kinder, soziale Beziehungen, Freizeit, Kultur und Politik. Sie ist Voraussetzung für gleiche Chancen im Erwerbsleben. Deshalb müssen Bedingungen in unserer Gesellschaft geschaffen werden, die partnerschaftliche Arbeitsteilung ermöglichen. Dazu gehört eine Umgestaltung der Arbeitswelt ebenso wie ein ausreichendes Angebot an Kindertagesplätzen.

6. Ein gewaltfreier Umgang zwischen Frauen, Männern und Kindern muß praktiziert werden. Ich setze mich in meinem Bereich gegen jegliche Form von Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Jungen ein. Denn sie bedeutet nicht nur die Verletzung ihrer Menschenrechte, sondern fördert ein Klima von Angst und Gewalt in der gesamten Gesellschaft. Alle Menschen haben ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit und auf ein selbstbestimmtes Leben. Gewalttätigkeiten von Männern oder Jungen auch untereinander können nicht länger als "normal" hingenommen werden. Jungen brauchen Väter oder männliche Vorbilder, die anteilnehmend und fürsorglich sind und Verantwortung für andere übernehmen. Jede Form der körperlichen, seelischen und sexualisierten Gewalt gegen Frauen und Kinder muß geächtet, konsequent verfolgt und verhindert werden.

7. Eine gesunde Umwelt ist Voraussetzung für unser Leben. Ich setze mich für den Schutz der Umwelt, für eine nachhaltige und wirtschaftliche Entwicklung, für den Erhalt der natürlichen Ressourcen, für das ökologische Gleichgewicht und gegen weitere Umweltzerstörung und Ausbeutung der Natur ein. Ich werde dazu beitragen, daß wir unseren Kindern und deren Nachkommen einen Planeten hinterlassen, auf dem sie gesund und friedlich leben können.

8. Konflikte müssen friedlich geregelt werden. Ich werde dazu beitragen, daß Konflikte zivil gelöst werden. Frauen und Männer müssen gleichberechtigt bei Konfliktlösungen einbezogen werden. Gewaltfreie Konfliktregelung, Toleranz, gegenseitige Rücksichtnahme, Solidarität und Gerechtigkeit sind Garanten für eine gewaltfreie Außen- und Sicherheitspolitik und gewährleisten das friedliche Zusammenleben aller Völker.

Wir debattieren öffentlich über einen neuen Gesellschaftsvertrag. Wir machen ernst mit der Demokratie zwischen den Geschlechtern. Wir beraten seine Grundsätze und definieren, was sie für die künftige Wirtschaftspolitik, Innen- und Sicherheitspolitik, Arbeits-, Bildungs- und Sozialpolitik sowie Familienpolitik bedeuten. Der Schlüssel zur Verwirklichung eines neuen Gesellschaftsvertrages liegt bei uns selbst.

Wir fangen damit an. Wir stellen den Vorschlag in unserem persönlichen Umfeld vor, suchen Bündnisse und schließen untereinander den Vertrag. Wir setzen ihn in Initiativen, Gewerkschaften, Kirchen, Parteien, Institutionen auf die Tagesordnung.

Vergleiche zu diesem Text: LinX 9/98 - FRAUEN - wo geht es denn nun nach links?