Frauen

FRAUEN - wo geht es denn nun nach links?

Die in der LinX 8/98 dokumentierte Initiative von Frauen "Für einen Neuen Gesellschaftsvertrag", die von ca. 200 Erstunterzeichnerinnen mit einer Selbstverpflichtungs-Erklärung quasi beeidigt wurde, beginnt mit einer Fiktion. Ein fiktiver Gesellschaftsvertrag, worauf "das aus den Fugen geratene Sozialgefüge" bisher beruht haben soll, sei (von wem auch immer) nicht eingehalten worden. Aber so einen Vertrag hat es in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit nie gegeben. Das Engagement für einen Neuen Gesellschaftsvertrag wirkt schon von daher nicht gerade realitätsnah, abgesehen davon, daß die der Privatwirtschaft angehörende, bürgerliche Gepflogenheit, Verträge zu schließen, kaum als vertrauenerweckende Grundlage für wirklich neue gesellschaftliche Verhältnisse dienen kann.

Den Frauen, die sich da "für eine andere Politik" selbstverpflichten, geht es, wenn sie von "unserer Gesellschaft" sprechen, offensichtlich um Deutschland. "Deutschland ist ein reiches Land", beginnt die Erklärung und meint hier reich an begabten, qualifizierten und kreativen Frauen und Männern. Diese "wollen Verantwortung übernehmen und ihre Fähigkeiten einbringen, um unser Land zu gestalten". "Sie wollen das Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands fördern", Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Toleranz. Die Motivation zum persönlichen Einsatz für Ausbildungsplätze und Aufstiegschancen für jede junge Frau und jeden jungen Mann lautet: "Gleiche Chancen in Beruf und Ausbildung sind Grundsteine für die Zukunft unseres Landes".

Welche aufrechte Deutsche möchte da nicht mittun, zumal sie sich auch "gemeinsam mit vielen anderen Menschen" dafür einsetzen kann, daß "das Zusammenleben mit Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland Zuflucht oder eine neue Heimat gefunden haben, von Verständnis für ihre Lage und von Toleranz gegenüber ihren kulturellen Eigenheiten geprägt ist". Über Abschiebungen, Asylrecht und Naziterror schweigt sich das Papier allerdings aus.

Jedoch blickt die jeweilige Unterzeichnerin durchaus auch mal über den Tellerrand der Bundesrepublik Deutschland hinaus: "Ich werde dazu beitragen, daß wir unseren Kindern und deren Nachkommen einen Planeten hinterlassen, auf dem sie gesund und friedlich leben können." Falls anderer Leute Kinder mit unseren Kindern auf deren ererbtem Planeten mal Zoff kriegen sollten, versprechen deutsche Mütter schon mal, "daß Konflikte zivil gelöst werden", denn "gewaltfreie Konfliktregelung, Toleranz, gegenseitige Rücksichtnahme, Solidarität und Gerechtigkeit sind Garanten für eine gewaltfreie Außen- und Sicherheitspolitik".

Die Frage ist allerdings, ob die Unterzeichnerinnen dieser Selbstverpflichtung auch selbst Garantinnen für die von ihnen postulierte Gewaltfreiheit sein werden. Immerhin spricht die politische Praxis der ein oder anderen grünen Unterzeichnerin nicht unbedingt dafür. Ihre Partei hat sich bekanntlich in der Tat längst von der einst als sog. Essential hochgehaltenen Gewaltfreiheit verabschiedet. Müßten sich die unterzeichnenden Politikerinnen, um glaubwürdig zu werden, nun nicht ihrerseits von ihren Parteien verabschieden?

Realitätsnähe zeigen die Initiatorinnen jenes Gesellschaftsvertrags, indem sie der Thematik von Wirtschaft und Arbeit relativ viel Aufmerksamkeit widmen, womit sie unter den zahlenreichen Autoren neuerer Zukunftsentwürfe nicht alleine stehen - was nebenbei gesagt nahelegt, daß die immer wieder gern verdrängte, auf Marx zurückgehende Erkenntnis über die entscheidende Rolle der Produktion bei der Gestaltung unseres gesellschaftlichen Lebens sich praktisch immer wieder Geltung verschafft. Leider bringen aber die diesbezüglichen Vorschläge des Neuen Gesellschaftsvertrags ganz und gar nichts Neues. Die Presseerklärung der Kieler Frauenbeauftragten und Mitinitiatorin des Neuen Gesellschaftsvertrags nannte als prinzipielle Grundlagen:

Wo sich so brav sozialdemokratisch um den Fortbestand kapitalistischer Produktion ("wirtschaftlicher Produktivität") auf Basis bürgerlicher Demokratie gesorgt wird, kommen Fragen auf: Reicht es uns Frauen, nicht mehr nur als Looser, sondern auch als Winner am kapitalistischen Konkurrenzkampf beteiligt zu sein? Wer räumt wem (auch noch unterschiedlich bemessene) Rechte ein? Welche Rechte sind existentiell? Ab welchem Mindestmaß beginnt die Menschenwürde? Über wen üben die beteiligten Frauen und Männer politische und wirtschaftliche Macht aus? Worin besteht wirtschaftliche Macht der einen und wirtschaftliche Ohnmacht der anderen? Werden wirtschaftliche Macht und Ohnmacht durch gleichberechtigte Beteiligung an der Erwerbsarbeit beseitigt?

Übrigens, früher hatten die Männer und die Frauen der Sozialdemokratie, wenn sie über eine neue Gesellschaft nachdachten, noch eine hellwache Skepsis gegenüber Erwerbsarbeit und befanden über diese Gesellschaft: "Die in ihr arbeiten, erwerben nicht, und die in ihr erwerben, arbeiten nicht." Konsequenterweise forderten sie damals mit Blick auf die, die erwerben, ohne zu arbeiten: "Gleicher Arbeitszwang für alle" (kommunistisches Manifest). Ob es das war, woran Mechthild Jansen dachte, als sie in Kiel bei der Vorstellung des beabsichtigten Neuen Gesellschaftsvertrages sagte, "jede und jeder würde einen Teil gesellschaftlich notwendiger Arbeit machen"? Immerhin brachte sie in diesem Vortrag einige Gedankenanstöße in dieser Richtung. So stellte sie beispielsweise in der Einführung ihres Vortrags u.a. das Ziel "radikale Arbeitszeitverkürzung" auf. Sie schlug vor, einen neuen Arbeitsbegriff zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen zu machen und Arbeit differenziert zu betrachten: "Welche hat privaten, welche gesellschaftlichen und gesellschaftlich notwendigen Charakter?" Diese etwas radikalere Variante suchen wir aber in der öffentlichen Erklärung vergebens. Sie ging offensichtlich in der Konsensbildung der Erstunterzeichnerinnen zugunsten von Allgemeinplätzen und frommen Wünschen verloren. Allerdings konnten diese wenigen zukunftsträchtigen Gedanken im Konsens der Initiatorinnen wohl auch deswegen wieder verloren gehen, weil sie sich auch in Mechthild Jansens Buch "Das Claudia-Nolte-Syndrom" eher wie nur zufällig eingestreut als systematisch entwickelt auffinden lassen, und weil der Autorin selber schließlich doch nichts anderes vorschwebt, als eine (wörtlich!) "Neugründung" der sozialen Marktwirtschaft (S. 177).

Erwähnt sei hier noch, daß etwas von der zaghaften Jansenschen Aufmüpfigkeit in Sachen Arbeit schon mal vor drei Jahren, ausgerechnet auf dem evangelischen Kirchentag, leicht angeklungen ist. Da legten Frauen ein Manifest zum Thema "Frauen und Arbeit" vor. Als notwendig erklärten sie u.a. "kürzere und flexiblere Arbeitszeiten für alle" und "einen gemeinsamen Unternehmenssektor (??), in dem Arbeit dem gesellschaftlichen Bedarf entsprechend geleistet wird, nicht unter Druck des privaten Profits". Sie wünschten "einen gesellschaftlichen Dialog über das 'gute Leben', dem die Arbeit dient und dessen Bestandteil sinnvolle und befriedigende Arbeit ist".

Mechthild Jansen erwartet, so sagte sie in Kiel, daß es zum Neuen Gesellschaftsvertrag Auseinandersetzung unter den Frauen geben wird und fand: "Das wäre gut so". Auseinandersetzung unter uns Frauen erscheint auch geboten, weil der Versuch, so etwas wie eine allgemeine deutsche Frauenvereinigung aufzumachen, außer diesem Entwurf zum Neuen Gesellschaftsvertrag noch eine weitere parteienübergreifende Frauenumarmung hervorgebracht hat. Bei dieser handelt es sich (laut EMMA, Mai/Juni 98) um ein Frauenbündnis unter Parlamentarierinnen, das von der frauenpolitischen Sprecherin der GRÜNEN, Rita Griesshaber, über Regine Hildebrandt und Frau Süßmuth bis zur CSU-Staatsministerin Ursula Männle reicht. Auch dieses Bündnis scheint zu parteilicher Unterscheidung zwischen hier und anderswo zu neigen. Während die mit Alice Schwarzer versammelten Spitzenpolitikerinnen erklären: "Auch die Bedrohung der existentiellen Menschenrechte, und in erster Linie der von Frauen, durch einen religiösen Fundamentalismus, der die Demokratie abschaffen und den Gottesstaat einführen möchte, beunruhigt gerade uns Frauen tief", empfinden sie bei der Umarmung mit der katholischen Fundamentalistin und fanatischen Abtreibungsgegnerin Männle weiter keine Beunruhigung. Gemeinsam sind beiden Initiativen darüber hinaus einige Unterzeichnerinnen und die strikte Ablehnung der Teilnahme von PDS-Frauen. Dazu kann frau der PDS aber nur gratulieren.

Daß Auseinandersetzung (nicht nur unter Frauen) angesagt ist, signalisiert auch die Tatsache, daß eine Zeitung wie die Linx diese eher rechtslastige Erklärung kommentarlos abdruckt (Anm. d. Red.: Den Kommentar dazu drucken wir hiermit ab), womit sie mal wieder dem X, als unbekannte Größe in ihrem Namen, alle Ehre macht. Andererseits: Jede linke Frau und jeder linke Mann kann sich in Linx zu Wort melden. Wo laufen sie denn ...?

(Eva Dockerill)