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Kommentar:

Warm anziehen

Der Keynsianismus, das heißt, jene ökonomische Lehre, die davon ausgeht, dass es der Wirtschaft erst richtig gut geht, wenn sie genug zahlungskräftige Konsumenten hat, erlebt derzeit ein gewisses Revival. In Gewerkschaftskreisen bringt man derartige Theorien traditionell gerne in Stellung, wenn es darum geht, sich gegen Lohndrückerei und die Verlängerung der Arbeitszeiten zu wehren. Besonders populär ist diese Denkschule in der Linkspartei.PDS und bei ihrem etwas unwilligen Juniorpartner WASG. Weshalb das an den realen Interessen jener vorbei geht, die im Lager der Kapitalisten das Sagen haben, belegten dieser Tage die Zahlen der Statistiker. Deutschland hat es mal wieder zum Exportweltmeister gebracht. Das heißt, dieses Land mit seinen 82,5 Millionen Einwohnern exportiert mehr als die 288 Millionen US-Amerikaner, die 1,3 Milliarden Chinesen oder die 127 Millionen Japaner. Oder anders ausgedrückt: Die tonangebenden Branchen (Auto, Chemie, Anlagenbau) interessiert die Inlandsnachfrage nicht, weil sie ihren Profit jenseits der Landesgrenzen realisieren. Vielmehr interessiert den exportierenden Kapitalisten, dass seine Gestehungskosten möglichst gering, das heißt, die Löhne niedrig sind. Diesbezüglich hat man in Deutschland einiges erreicht: In den letzten zehn Jahren sind die Reallöhne hierzulande um 0,9% gefallen, aber in Frankreich um 8,4, in den USA um 19,6 und in Großbritannien um 25,2% gestiegen. Und es hat sich, Keynes zum Trotz, für die deutsche Industrie ausgezahlt: Die anderen können mit der deutschen Konkurrenz in Sachen Absatz offenbar nicht mithalten.

Das alles soll nicht heißen, dass man eh nichts machen kann. Es sollte lediglich ein Hinweis darauf sein, dass wir uns künftig wohl noch etwas wärmer anziehen müssen. Die Klassenauseinandersetzungen werden härter, wie man unter anderem derzeit im Streik des öffentlichen Dienstes sehen kann. In Osnabrück wurden Mitte Februar Streikposten in einem nahezu beispiellosen Polizeieinsatz aus dem Weg geknüppelt. Streikbrechern sollte der Weg gebahnt werden, die als  Ein-Euro- Jobber zwangsverpflichtet worden waren. Gegen derlei werden wir uns nur wehren können, wenn sich beide Gruppen solidarisieren, und auch von außen reichlich Unterstützung erhalten. Und ob die einzelnen Kollegen es dabei nun mit Keynes, Marx oder sonst wem halten, ist übrigens ziemlich zweitrangig.  Hauptsache, man findet Wege, gemeinsam gegen derlei Schweinereien vorzugehen.

(wop)