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Klassenkampf im Internet:

„Forum der Ausgebeuteten“

Wenn der durchschnittliche Linke Klassenkampf hört, dann denkt er meist an starke Gewerkschaften, große Industriebetriebe, schwielige Arbeiterhände und ölverschmierte Blaumänner. Anders die Kieler Betreiber des Internetforums www.chefduzen.de, von einigen inzwischen mit dem Ehrentitel „Forum der Ausgebeuteten“ belegt. „Wir wollten helfen, zeitgemäße Formen des Klassenkampfes zu entwickeln“, beschreibt einer der Gründer gegenüber LinX die Idee, aus der heraus das Forum vor drei Jahren entstand. „In Zeiten von Subunternehmen, Leiharbeit und Ich-AGs kann man nicht die die gleichen Rezepte für Kämpfe anwenden, die für eine einheitliche Industriearbeiterschaft“ entwickelt wurden.

Also hat man eine Seite im Internet eingerichtet, die freien Meinungs- und vor allem Erfahrungsaustausch für Leih- und Normalarbeiter, für Callcenter-Agenten und Software-Profis, für Schweißer und Ingenieure, für studentische Jobber und Sexarbeiterinnen bietet. „Das Spektrum der User reicht von Leuten die kaum des Schreibens mächtig sind und in einer Notsituation nach Rat suchen, bis zu Leuten, die über Marx und Hegel diskutieren“, so Karsten Weber der als einer der Administratoren täglich im Forum nach dem Rechten sieht.

Der Erfolg der Seite überstieg schnell alle Erwartungen. Binnen kürzester Zeit fand, was als regionales Forum gedacht war, bundesweite Aufmerksamkeit. Maßgeblichen Anteil daran hatten jene, über die sich die Forumsteilnehmer nach Herzenslust ausließen: Windige Leiharbeitsfirmen, Callcenter und ähnliche, hetzten ihre Anwälte auf das Forum. Unterlassungsforderungen werden meist mit der Androhung hoher Strafgelder verbunden und verursachen nicht geringe Anwaltskosten. Mehrfach bangten die Betreiber um das Überleben ihres Projektes, das keine eigene Mittel erwirtschaftet und mit Spenden finanziert werden muss. Doch die Angriffe brachten der Internetseite enorme Publizität. Die betroffenen Firmen trugen damit im erheblichen Maße dazu bei, dass ihre ausbeuterischen Praktiken erst richtig bekannt wurden. Das führte schließlich dazu, dass das Handelsblatt vor einem Jahr betroffene Unternehmen öffentlich warnte, juristisch gegen das Forum vorzugehen.

Danach war ein wenig Ruhe, aber nicht alle haben die Warnungen des Zentralorgans der deutschen Wirtschaft gelesen. Derzeit macht das Callcenter-Unternehmen buw von sich Reden und dem Forum das Leben schwer. Einige Mitarbeiter hatten sich auf Chefduzen.de anonym über angeblich unhaltbare Arbeitsbedingungen und kreative Formen des Lohnraubs beschwert. Neue Mitarbeiter seien nicht darauf hingewiesen worden, dass sie ihre Arbeitszeiten über Stundenzettel dokumentieren müssen. Einige hätten das erst gemerkt, als auf ihrem Konto kein Gehalt einging. Die Firma habe sich geweigert, für die undokumentierte Zeit zu zahlen. Der Betriebsrat bemühe sich außerdem schon seit Monaten vergeblich, Einblick in den Geschäftsbericht zu bekommen. Kein gutes Zeugnis für das Osnabrücker Unternehmen, das in verschiedenen Städten Callcenter betreibt und sich selbst gerne als erste Adresse in Sachen Telefonmarketing sieht.

In Sache Kommunikationsfähigkeit ist man es jedenfalls nicht. Der Geschäftsführer der Firma hat sich zwar selbst als Mitglied im Forum eintragen lassen, aber anstatt die Vorwürfe argumentativ zu entkräften, droht er gleich im ersten Brief an die Betreiber mit der Staatsanwaltschaft. Die reagierten als gebrannte Kinder prompt und entfernen die beanstandeten Behauptungen, von denen der buw-Geschäftsführer Karsten Wulf in seinem Drohschreiben meint, sie seien frei erfunden. In der Natur des Internets liegt es allerdings, daß sich Texte nur schwer unterdrücken lassen. Die Forums-Moderatoren können beanstandete Beiträge löschen oder teilweise unleserlich machen, doch Nutzer können die Beiträge, sofern sie sie abgespeichert haben, wieder einstellen. Genau das geschieht derzeit bei Chefduzen.de, so daß sich die Geschichte zu einem Katz-und Maus-Spiel zwischen Moderatoren, Teilnehmern und buw entwickelt, die weitere Mahnungen und Drohungen schicken. Interessant ist derweil ein Blick auf die Interseite des Unternehmens. 30 Millionen Umsatz habe man 2004 gemacht, und zwar mit 1800 Angestellten, ist dort zu erfahren. Das sind nicht einmal 17 000 Euro Jahresumsatz pro Mitarbeiter, und man kann sich also an fünf Fingern ausrechnen, wie mickrig die Gehälter sein müssen, wenn das Unternehmen Gewinn machen will.

Unterdessen kommt Chefduzen.de zwar durch den Angriff in erneute Schwierigkeiten und bittet daher um Spenden für die Anwaltskosten, die sich bisher vermutlich auf rund 700 Euro belaufen. Andererseits zieht das Forum immer weitere Kreise. „An normalen Tagen haben wir inzwischen zirka 1000 Leser, vielleicht etwas mehr oder weniger, denn so genau läßt sich das an den Zugriffsstatistiken schlecht ablesen“, meint Karsten Weber. Wenn aber Chefduzen.de mal wieder unter Druck gerät, wie derzeit, dann verdoppele sich die Zahl. (wop)