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Arbeitskampf im öffentlichen Dienst:

Länder wollen Diktat

Die Streiks im öffentlichen Dienst bewegen seit Wochen die streikungewohnte Republik. In Kiel streiken Landesbedienstete zum Teil schon seit Ende Februar. ver.di kämpft für den Erhalt der 38,5- Stunden-Woche. Gestreikt wird in elf Bundesländern, außerdem streiken die kommunalen KollegInnen in Baden-Württemberg und Niedersachsen. In den Ländern stehen sich die ver.di und die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) gegenüber. Bei den Kommunen hat es ver.di mit den jeweiligen kommunalen Verhandlungsführern zu tun. Im öffentlichen Dienst der Länder wird seit Anfang Februar gestreikt. Zentraler Streitpunkt in dem Konflikt ist die Arbeitszeit, die die Arbeitgeber von 38,5 auf 40 Wochenstunden anheben wollen. Dagegen wendet sich ver.di, ebenso wie gegen Pläne der Länder, Abstriche beim Weihnachts- und Urlaubsgeld durchzusetzen.

Streik in Kiel, Uni

Bestehende Verträge

Der "Tarifertrag für den öffentlichen Dienst" (TVöD) gilt seit 1. Oktober 2005. Er löste den Bundesangestelltentarif (BAT) ab. Im Gegensatz zum BAT unterscheidet der TVöD nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten. Die Bezahlung nach Alter und Familienstand wurde abgeschafft. Ab 2007 soll eine leistungsorientierte Bezahlung eingeführt werden. Der TVöD regelt Arbeitszeit und Sonderzahlungen (Weihnachts- und Urlaubsgeld) und enthält eine Tabelle über die verschiedenen Gehaltsgruppen. Mit der Einführung des neuen "Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst" (TvöD) gilt für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes im Bund einheitlich die 39-Stunden-Woche. In den Kommunen wird in den alten Ländern 38,5 und in den neuen 40 Stunden pro Woche gearbeitet. Der TvöD wurde bisher nur von den Arbeitgebern des Bundes und den Kommunen unterzeichnet. Für die 900.000 Landesbeschäftigten gelten zunächst die alten Regelungen (38,5 Wochenstunden im Westen, 40 Wochenstunden im Osten).

Bei Neueinstellungen können die Länder ihre Bedingungen frei aushandeln, es gibt keinen gültigen Tarifvertrag. In einigen Ländern gelten bereits für 15 bis 20 Prozent der Verträge längere Arbeitszeiten. Die würden allerdings wieder angepasst, wenn sich die Tarifparteien auf einen Vertrag einigen. Genau das will ver.di erreichen: Die Länder sollen dazu gezwungen werden, dem TvöD beizutreten - ansonsten sieht die Gewerkschaft den Flächentarifvertrag in Gefahr. Der Streit entzündete sich auch am neuen TvöD, da für die westdeutschen Kommunen so genannte Öffnungsklauseln vorgesehen sind. Sie erlauben, Abweichungen nach oben oder nach unten zu vereinbaren. Dies haben die kommunalen Arbeitgeber in drei Bundesländern - Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hamburg - genutzt, und die alten 38.5 Wochenstunden-Verträge gekündigt. Sie wollen, dass ihre kommunalen Beschäftigten 40 Stunden arbeiten - wie im Osten. In Hamburg habe sich die Konfliktparteien bereits geeinigt, in Niedersachsen ebenfalls. Die Länder wollen den TvöD nur dann übernehmen, wenn die Arbeitszeiten entsprechend verlängert werden. Ver.di sieht dadurch 250.000 Arbeitsplätze gefährdet.

Streik in Kiel, FH

Im öffentlichen Dienst sind ca. vier Millionen KollegInnen beschäftigt (Bund, Länder und Kommunen). Davon haben ca. 1,1 – also mehr als ein Viertel – Teilzeitverträge. Ihr Einkommen würde gekürzt um den Prozentsatz, um den die Arbeitszeit Vollzeitbeschäftigter verlängert wäre. Ein Anstieg von 38,5 auf 40 Stunden pro Woche entspricht 3,9 Prozent. Entsprechend hoch wäre der absolute Einkommensverlust der Teilzeitbeschäftigten.

EXTRA-Blatt

In einer Auflage von neun Millionen Exemplaren erschien ein vierseitiges EXTRA-Blatt der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der dbb tarifunion und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Darin informieren die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes die Haushalte in allen deutschen Großstädten über die aktuellen Tarifauseinandersetzungen. Kritik übt EXTRA an der Mehrheit der Ländervertreter, die bisher "zu keinem Zeitpunkt eigene Vorstellungen für eine Lösung des Konflikts auf den Tisch gelegt" hätten. Deshalb seien die Streiks "Notwehr gegen die Arroganz der Macht". In einer gemeinsamen Erklärung der Gewerkschaftsvorsitzenden Frank Bsirske, Konrad Freiberg, Frank Stöhr und Ulrich Thöne heißt es, "die Mehrheit der Arbeitgeber bei den Ländern will keine Kompromisse. Sie setzt auf Diktat". Die Spitzengewerkschafter bitten die Bürgerinnen und Bürger um Verständnis und Unterstützung ihrer Position: "Nicht Diktat, von welcher Seite auch immer, sondern Interessenausgleich muss auch in Zukunft die Beziehungen zwischen Arbeitnehmer/innen und Arbeitgebern prägen." (hg)