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Wer muckt der fliegt

Gérard Filoche ist hauptberuflich als Arbeitsinspektor tätig und gehört damit zu einem besonderen Beamtenkorps, das über die Einhaltung der geltenden Arbeitsgesetze zu wachen hat und dazu notorisch zu schwach mit Personal ausgestattet ist. Im Sommer vorigen Jahres hatte Filoche in der Zeitschrift des linken Parteiflügels der französischen Sozialisten, D&S (Démocratie et socialisme), über das neue Gesetz einen beeindrucken Artikel verfasst. Darin schildert er die längerfristig zu erwartenden Konsequenzen wie folgt:

"Wenn ein abhängig Beschäftigter unbezahlte Überstunden verweigert, dann kann er ‘gefeuert’ werden. Wenn ein abhängig Beschäftigter sich vor Ablauf der zwei Jahre zur Wahl der betrieblichen Vertrauensleute (Anm.: Diese Vertrauensleute werden in den Betrieben mit mindestens zehn Beschäftigten durch das Personal gewählt) bewirbt, dann kann er ebenfalls ‘gefeuert’ werden. Wenn er seinem Patron missfällt, dann kann er von heute auf morgen ‘rausfliegen’, ohne dagegen klagen zu können.

Missfallen erregen, das kann aus allen möglichen Gründen erfolgen - aber in den meisten Fällen deswegen, weil jemand seine Rechte geltend macht, auf den geltenden Tarifvertrag hinweist, auf den gesetzlichen Arbeitsbedingungen besteht, auf seine Würde besteht, nicht Gewehr bei Fuß steht. Was ist, wenn der Patron ihn seinen Kaffee kochen lässt, ihn um die Erledigung von Arbeiten bei ihm zu Hause bittet oder Arbeiten, für die er nicht ausgebildet ist, um Samstags- oder Sonntagsarbeit, ihn zwölf Stunden am Stück am Arbeitsplatz bleiben lässt, ihn auffordert, Spesen nicht abzurechnen oder nicht in die Gewerkschaft einzutreten, keine Politik zu machen und nicht an der Wahl zum Arbeitsgericht teilzunehmen...? Wenn der Beschäftigte sich beschwert, ist er draußen. Keine schriftliche Angabe von Gründen ist erforderlich, also kann es auch keinen Prozess geben (...).

Der Villepin-Vertrag eröffnet also eine ‘rechtsfreie Zone’, da der Beschäftigte während zwei Jahren, zwei mal 365 Tagen, jeden Abend beim Zu-Bett-Gehen nicht weiß, ob er am nächsten Abend noch eine Arbeit hat. Und am Vorabend des 730. Tages wird er erst recht zittern: Selbst wenn er sich zwei Jahre lang mächtig ins Zeug gelegt hat, kann der Arbeitgeber ihn feuern und einen anderen (‘Neubeschäftigten’) nehmen...”