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Kurdistan:

„Es wird weiter gefoltert“

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein hat in der Woche vor Ostern einen Abschiebestopp für kurdische Flüchtlinge gefordert und auf Unterdrückung und Verfolgung hingewiesen, die nach wie vor im türkischen Teil Kurdistans an der Tagesordnung sind. Unter anderem berichteten Mitarbeiterinnen der Nordelbischen Kirche auf einer Pressekonferenz von den unhaltbaren, von täglichem Terror beherrschten Bedingungen, unter denen die im letzten Jahr aus Schleswig-Holstein in einer  Nacht- und-Nebel-Aktion abgeschobene Familie Özdemir leben muss. Wir sprachen über die Lage der hier lebenden Flüchtlinge und die Situation in Kurdistan mit Astrid Willer, die für den Flüchtlingsrat arbeitet, und während des kurdischen Neujahrsfest Newroz um den 21. März herum in der Türkischen Republik war. (wop)

LinX: Unter den hier lebenden kurdischen Flüchtlingen aus der Türkei herrscht derzeit große Verunsicherung. Wie akut ist die Gefahr von Abschiebungen?

Astrid Willer (A.W).: Für diejenigen, die nur eine Duldung haben, ist sie sehr groß. Sie sind ausreisepflichtig, und nach Einschätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gibt es keine asylrelevanten Abschiebehindernisse mehr in der Türkei, weil sich dort die Verhältnisse verbessert hätten. Bundesweit sind davon 14.000 Personen betroffen. In Schleswig-Holstein gibt es derzeit insgesamt 2.800 Menschen, die mit einer Duldung leben müssen, was bedeutet, dass ständig das Damoklesschwert der drohenden Abschiebung über ihrem Kopf hängt. Davon sind ungefähr ein Drittel türkische Staatsangehörige, die ganz überwiegend Kurden sind. Hinzu kommt, dass zunehmend gegen türkische Staatsangehörige, deren Asylantrag anerkannt worden war, Widerrufsverfahren eingeleitet werden. Die Begründung: Die seinerzeit vorgetragenen Fluchtgründe seien zwischenzeitlich entfallen.

LinX: Das heißt, Menschen, die hier seit zehn oder gar zwanzig Jahren leben, müssen damit rechnen, dass ihnen der Asylstatus aberkannt wird?

A.W.: Ja. Derzeit wird das schon massiv gegenüber Flüchtlingen aus dem Irak und Afghanistan praktiziert, weil die dortigen Regime, vor denen viele flohen, gestürzt wurden. Auch in der Türkei, so die Argumentation des Bundesamtes, habe sich die Lage aufgrund der Annäherung an die EU grundlegend verbessert. Einige türkische und kurdische Flüchtlinge sind daher bereits im Widerrufverfahren. Solch ein Bescheid heißt noch nicht, dass die Betroffenen damit automatisch ihr Aufenthaltsrecht verlieren, da es verschiedene Möglichkeiten gibt, den Aufenthalt zu verfestigen, wie es im Amtsdeutsch heißt. Allerdings wächst das Risiko. Zum Beispiel kann für diese Menschen künftig Arbeitslosigkeit zum Verlust des Aufenthaltsrechts führen. Die Sicherheit, die der Flüchtlingsstatus bot, ist weg, und daher ist die Verunsicherung groß.


Für die Zeit der Newroz-Feiern hatte die Guerilla einen Waffenstillstand erklärt, aber das Militär hat unmittelbar nach Newroz eine Operation gegen Guerillastellungen in den Bergen durchgeführt und dabei auch Giftgas eingesetzt.


LinX: Du warst vor einem knappen Monat zur Zeit der Newroz-Feiern mit einer Delegation in Nordwestkurdistan. In der Vergangenheit wurden diese Feiern oft unterdrückt. Was war Dein Eindruck? Hat sich die Lage tatsächlich verbessert?

A.W.: Oberflächlich konnte man diesen Eindruck haben, denn die Repressalien gegen die Newroz-Feiern waren wesentlich geringer als in den Jahren zuvor. Es wurde wenig kontrolliert, und man ließ die Feiernden zunächst in Ruhe. Wir konnten allerdings mitbekommen, dass anschließend Veranstalter mit Verfahren überzogen wurden, weil auf den Feiern Poster vom PKK-Vorsitzenden Öcalan gezeigt oder Reden auf Kurdisch gehalten wurden. Für die Zeit der Newroz-Feiern hatte die Guerilla einen Waffenstillstand erklärt, aber das Militär hat unmittelbar nach Newroz eine Operation gegen Guerillastellungen in den Bergen durchgeführt und dabei auch Giftgas eingesetzt. 14 Kämpfer wurden getötet. Bei der Beerdigung gab es in Dijabakir Provokationen der Polizei, die schließlich zu schweren Unruhen führten, die auch auf andere Städte übergriffen. Die starken Proteste gegen das Vorgehen der Polizei sind eines der Anzeichen für die große Frustration, die in Kurdistan herrscht. Das soziale Elend ist nach wie vor groß und nicht nur eine Folge der politischen Unterdrückung, sondern auch der permanenten Benachteiligung der ganzen Region. Hinzu kommt eine große Enttäuschung, da die im Zusammenhang mit der Annäherung an die EU gemachten Versprechen nicht eingehalten wurden.

LinX: Was haben Eure Gesprächspartner über den politischen Alltag in Kurdistan berichtet?

A.W.: Es gibt nach wie vor Verhaftungen und Folter Oppositioneller. Wir haben unter anderem mit den Bürgermeistern in Sirnak und Silopi gesprochen, die von der DTP (Devlet Toplum Partezi - Partei für eine demokratische Gesellschaft) sind, die erheblichen Teil der Kurden vertritt und Nachfolgepartei der kürzlich verbotenen DEHAP ist. Von Meinungsfreiheit könne kaum die Rede sein, erfuhren wir. Außerdem würden die kurdischen Kommunalverwaltungen von Ankara nicht als gleichberechtigte Gesprächspartner anerkannt.