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1.-Mai-Demo in Kiel fast ohne ver.di-Streik:

Von Würde und Würgen

Trotz des fast sinnfreien Mottos „Deine Würde ist unser Maß“ folgten rund 1500 Menschen dem diesjährigen Maiaufruf des DGB in Kiel. Wie üblich endete der Demonstrationszug vor dem Gewerkschaftshaus in der Legienstraße. Erstmals eröffnete der neu gewählte DGB-Vorsitzende Ralph Müller-Beck die Veranstaltung. Er hatte im November den langjährigen DGB KERN-
Vorsitzenden Horst Herchenröder abgelöst. Und die Anwesenden kamen in den Genuss einer weiteren Neuerung: Erstmals wurde die Veranstaltung in Teilen in Interview-Form durch den RSH-Moderator Andreas Otto moderiert. Dieser glänzte durch profunde Unkenntnis aller aktuellen politischen Debatten. Insbesondere dass er die Anwesenden penetrant mit „Meine Damen und Herren“ ansprach, stieß vielen aktiven Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern am ‚Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse’ bitter auf.

Im Mittelpunkt der politischen Reden standen viele der aktuellen Brennpunkte. Beispielsweise der gerade für die IG Metall Küste übernommene  Pilot-Tarifabschluss, welcher zwar eine Lohnsteigerung von 3%, den Erhalt der Zuschüsse für die Vermögens-
wirksamen Leistungen und einen Anspruch auf berufliche Qualifizierung beinhaltet, aber durch die Höhe der Einmalzahlungen nach betrieblicher Situation auch als Aushöhlung des Flächentarifvertrages verstanden werden kann. Schließlich entscheiden allein die Betriebsräte in Verhandlungen mit den Geschäftsleitungen über die Höhe der Zahlungen. Die IG Metall hat für sich kein Mitspracherecht durchsetzen können. Prompt bezeichnete Kanzlerin Angela Merkel freudig den Einstieg in ertragsabhängigen Lohn mit Einmalzahlungen als einen zeitgemäßen Ansatz.

Neben der anhaltend dramatischen Situation auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, der Rente mit 67 und der drohenden Einführung von Studiengebühren von 500 Euro pro Semester auch in Schleswig-Holstein wurde über den anhaltenden Streik der Landesbeschäftigten berichtet. Zunächst wusste allerdings Niemand so recht, worum es eigentlich geht. Andreas Otto führte in das Thema mit der Bemerkung ein, es gäbe da diese „Warnstreiks der Automeistereien und des  Hochschulpersonals“. Eine merkwürdige Beschreibung des längsten Streiks des Öffentlichen Dienstes. Teilweise seit Mitte Februar befinden sich Tausende von  Landesbediensteten in Behörden, Klinika, Straßenmeistereien, Hochschulen, Gerichten und Theatern im Ausstand, um sich gegen Arbeitszeitverlängerungen und den Erhalt eines Flächentarifvertrages einzusetzen. Wochenlang weigerte sich die Arbeitgeberseite, die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL), auch nur einen Verhandlungstermin anzubieten. Und das, obwohl sie sich binnen weniger Tage mit den ebenfalls streikenden Ärzten des Marburger Bundes an einen Tisch setzen konnten. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske bezeichnete die Bevorzugung der Ärzte auf einer Strategiekonferenz der Streikleitungen in Hannover am 5. Mai als „Klassensolidarität“ der Arbeitgeber.

Nachdem die Streikenden des Öffentlichen Dienstes es zwischenzeitlich geschafft haben, den Arbeitgebern einige empfindliche Nadelstiche zu versetzen (zum Beispiel musste das Saarland wegen des wochenlangen Ausstandes des Kassenbüros einen Kredit über rund 500 Millionen Euro aufnehmen, weil es kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand) hat die TdL zu einer Verhandlungsrunde am 18. und 19. Mai geladen.

Aber ob es dort wirklich zu einer Einigung kommt, erscheint fraglich. Viele Gewerkschafter vermuten, dass einigen der Bundesländer ein tarifloser Zustand am liebsten ist und es ihnen darüber hinaus um die Zerschlagung von Gewerkschaftsstrukturen geht. Vor diesem Hintergrund stellte der Schauspieler Rolf Becker auf einer Demonstration in Hamburg am 27. April fest, dass es sich hier nicht mehr nur um einen ‚normalen’ Streik handele, sondern es vielmehr um einen politischen Kampf gehe. Er forderte Solidaritätsaktionen der Schwestergewerkschaften der ver.di und aller weiteren fortschrittlichen Kräfte in diesem Land. (mk)


“Mayday-Demonstration für soziale Rechte weltweit”

Mayday in Berlin


In Berlin fand in diesem Jahr zum ersten Mal wie in einigen anderen europäischen Städten eine unabhängige “Mayday-Demonstration für soziale Rechte weltweit” statt. 6.000 Menschen kamen - mehr als zum DGB und wesentlich mehr als zu den beiden traditionellen “Revolutionären Maidemos”, die nur noch einige hundert Menschen anzogen.