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Bosse zur Weißglut gebracht:

“Gewalt und Schlimmeres”

Eigentlich sollte es nur ein Internetforum für unzufrieden Jobber aus Kiel sein. Doch schon bald wurde  www.chefduzen.de ein bundesweiter Erfolg. LinX sprach mit Karsten Weber, einem der Initiatoren.  (wop)

LinX: Euer Forum erfreut sich wachsender Beliebtheit. Was für Menschen schreiben auf Chefduzen.de?

Karsten Weber (K.W.): Das ganze Spektrum derjenigen, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde. Das reicht vom gut bezahlten  Fach- arbeiter bis zu Leuten, die sich in den finstersten Randbereichen bewegen. Wobei zu den Randbereichen nicht einmal mehr die Leiharbeit zählt – die steht ja heute schon fast im Zentrum der Lohnarbeit – sondern es geht um Menschen, die ihren Körper für Medikamentenversuche an die Pharmaindustrie verkaufen oder die in Drückerkolonnen arbeiten.

LinX: Und was für Geschichten werden da so geschrieben?

K.W.: Einfache Erlebnisberichte, oder auch einfach Anfragen, wie man aus seiner unerträglichen Situation herauskommt. Leser tauschen sich über rechtliche Fragen aber auch über Tricks und Kniffe aus. Die Berichte haben es zum Teil ganz schön in sich, insbesondere wenn es in die ganz extremen Bereiche wie Drückerkolonnen geht, wo die Arbeitskraft schon mal mit körperlicher Gewalt und Schlimmerem erpresst wird.

LinX: Bei den Chefs ist das Forum weniger beliebt.

K.W.: Ja, inzwischen schießen sich die kritisierten Firmen und Chefs nicht mehr so sehr auf uns ein, sondern auf ihre Mitarbeiter, die bei uns posten. Da gibt es ein weites Spektrum an Fällen. Inzwischen haben so weit wir wissen vier Leute wegen Postings bei Chefduzen ihren Job verloren. Aus dem Milieu der Drückerkolonnen gab es zum Beispiel einen Menschen, der um sein Leben fürchtete und uns bat, ganz schnell seinen Beitrag wieder zu entfernen. In einem anderen Fall hat ein ehemaliger Mitarbeiter von Hugo Hamann seine Erlebnisse geschildert. Daraufhin hat der Geschäftsführer uns gebeten, den Beitrag zu entfernen. Das haben wir auch gemacht, nur haben wir ihn durch seinen Widerspruch ersetzt. Der war so detailiert, dass man indirekt sehr genau auf das Original schließen konnte. Das hatte der Autor etwas spät gemerkt, und konnte den Vorgang nun nicht mehr juristisch anfechten. Also hat er den ehemaligen Mitarbeiter massiv unter Druck gesetzt, so dass dieser schließlich uns bat, auch die Gegendarstellung raus zu nehmen. Ihm war  ange- droht worden, auf eine schwarze Liste des Kieler Einzelhandels gesetzt zu werden. Die Kieler Nachrichten, hatten über den Vorfall berichtet, aber verschwiegen den Namen des Unternehmens.

LinX: Wahrscheinlich ein größerer Anzeigenkunde.

K.W.: Ja, wahrscheinlich.

LinX: Vor einigen Monaten hat die Callcenter-Kette buw aus Osnabrück versucht, Euch das Leben schwer zu machen. Wie ist die Geschichte ausgegangen?

K.W.: Noch gar nicht. buw hat es nicht geschafft Chefduzen.de mundtot zu machen, aber wir mussten eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Jetzt müssen wir das Forum täglich nach gewissen Formulierungen über diese Callcenter absuchen, und wenn wir sie nicht rechtzeitig entfernen, kostet uns das 5000 Euro. Bei buw laufen derweil die Auseinandersetzungen weiter. Dort stehen Betriebsratswahlen an, und verschiedene Mitarbeiter suchen nach Wegen – zum Teil ohne sich zu kennen und recht subversiv – zu verhindern, dass es wieder einen Marionettenbetriebsrat gibt.

LinX: Was heißt in diesem Zusammenhang subversiv?

K.W.: Zum Beispiel gibt es schon seit langem den Internetauftritt www.buwsuckz.com. Der hat seinen Server offenbar im nichteuropäischen Ausland, so dass der Betrieb die Betreiber nicht ausfindig machen kann. Das hat die Geschäftsleitung zur Weißglut gebracht, so dass sie die Staatsanwaltschaft auf Mitarbeiter hetzte. Vier Wohnungen von Leuten, denen man vorwarf, mit der Internetseite in Verbindung zu stehen, wurden daraufhin in aller  Herrgottsfrühe durchsucht. Betriebsintern wurde außerdem ein Kopfgeld auf die Betreiber ausgeschrieben. Vor kurzem ist schließlich einem Mitarbeiter gekündigt worden, weil er angeblich mit hinter der Seite steckt. Der versucht gerade, sich wieder in den Betrieb zu klagen.