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Gegen den Ausverkauf der Stadtwerke:

Nicht nachgedacht?

Nachfolgend veröffentlichen wir eine Rede, die im Namen von ATTAC Kiel am 16. Mai auf einer Podiumsdiskussion über Privatisierung öffentlicher Einrichtungen in Kiel gehalten wurde (siehe vorstehenden Bericht).

Die Ankündigung, dass die Kieler Ratsversammlung möglicherweise weitere Anteile der Stadtwerke Kiel an den Mannheimer Energieversorger (MVV) verkaufen will, schreckt uns erneut auf.

Was ist der Grund?

Es wird immer wieder die hohe Verschuldung des städtischen Haushaltes angeführt. Eine Neuverschuldung von 111 Mio. Euro in diesem Jahr treibt den Schuldenberg auf über 300 Mio. Euro.

Die MVV-AG würde die restlichen Anteile, die noch in städtische Hand sind für ca. 120 Mio. kaufen. Im Jahre 2004 hatten sie die 51% Anteile der insolventen TXU zu einem Spottpreis von ca. 125 Mio. übernommen. Der Wert der Stadtwerke Kiel ist zwar stark gesunken, beträgt aber schätzungsweise immer noch ca. 600 Mio. (Geschäftsbericht 2005 ein Anlage- und Umlaufvermögen von 457 Mio.!) Mit dem Verkauf wäre gerade mal die diesjährige Neuverschuldung der Stadt ausgeglichen.

Geld wie Heu

Diese Situation der Stadt ist nicht neu! Den höchsten Schuldenstand hatte die Stadt Kiel im Jahre 1998 (470 Mio. Euro). Um diesen zu senken wurde das Tafelsilber der Stadt geopfert. Im Jahre 1999 wurden die Kieler Werkswohnungen verkauft und 2001 die Anteile der Stadtwerke an die TXU. Die Verschuldung des Kieler Stadthaushaltes verringerte sich gerade mal über 5 Jahre. Seit 2005 steigt der Schuldenstand der Stadt Kiel wieder. Es hat also eigentlich gar nichts gebracht!

Was ist die Ursache der Stadtverschuldung?

1. Der Rückgang der Einnahmen vor allem aus der Gewerbesteuer sowie.

2. Ein ständig sinkender Anteil an der Einkommensteuer, die die Stadt vom Land erhält und

3. die Abwälzung von Aufgaben auf die Kommune. Wie z.B. die Folgen der Arbeitslosigkeit und die Hartz IV-Gesetzgebung.

Dies bedeutet insgesamt ein Aushungern der Kommunen.

Unserer Meinung nach, und ich spreche hier für Attac, ist dies eine Folge der verfehlten Steuerpolitik, die das Vermögen der Konzerne schont und den Staat zum größten Teil aus dem Lebensunterhalt der Werktätigen finanziert. (Also von denen, die sowieso immer weniger besitzen.) Demgegenüber ist es wichtig zu wissen, wie sich das private Vermögen des reicheren Teils der Bevölkerung entwickelt hat: Es ist in den letzten 10 Jahren auf 4,4 Billionen Euro gewachsen! Gerade mal 1% der Bevölkerung besitzen 3,658 Billionen Euro. Und da sagt man, es wäre kein Geld da? (Zusatzinformation: Während dessen betrug das Haushaltsdefizit aller Städte und Gemeinden im letzten Jahr 5,5 Mrd. Der Investitionsbedarf aller westdeutschen Kommunen 2000-2009: 929 Mrd. - Ostdeutschland 413 Mrd. Euro)

Gerechte Steuer

Die Politik hat es „vergessen“ die Vermögenden zu besteuern. Die Senkung des Spitzensteuersatzes und der Ausfall der Körperschaftssteuer verursachte in den letzten 5 Jahren einen Steuerausfall von 150 Mrd. Euro. Machen sich die Ratsparteien darüber keine Gedanken? Es sind doch alle Ratsparteien an der bundesweiten Steuerpolitik beteiligt. Sie beschlossen Steuererleichterungen für Reiche und Konzerne und dulden Schlupflöcher.

Was brauchen wir um die Situation aufzufangen? Was wir wirklich brauchen ist eine gerechte Einkommensteuer, eine Vermögenssteuer sowie die Besteuerung von Konzernen, Finanztransaktionen und Börsenerlösen. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer lehnen wir ab, denn dies belastet vor allem die Verbraucher (jährl. 20 Mrd. = 600 Euro pro Haushalt). Attac hat konkret dazu ein Konzept für eine Gemeindesteuer. Dazu gibt es ein Faltblatt von attac über eine Gemeindewirtschaftssteuer zur Diskussion.

Aber kommen wir zu den Stadtwerken: Mit dem Verkauf der Stadtwerke hat die Stadt auch eine der größten Einnahmequellen aus der Hand gegeben, mit der in der Vergangenheit z.B. der gesamte Öffentliche Nahverkehr querfinanziert werden konnte. Es darf nicht sein, dass die Stadt alles was Gewinn bringt verkauft, aber auf den unprofitablen Diensten mit den Schulden hängen bleibt !

Aber da ist noch etwas Anderes: Das von der Belegschaft der Stadtwerke über Jahrzehnte geschaffene moderne Werk wurde von den Kieler Bürgern bezahlt. Es ist das Eigentum aller Bürger. Es dient der grundlegenden Versorgung der Bevölkerung und der Betriebe mit Strom, Gas, Fernwärme und Wasser. Dies sind elementare, zum Leben wichtige Güter, die nicht der Rendite oder dem Gewinnstreben einzelner Konzerne untergeordnet werden dürfen. Wenn wir es allein dem freien Wettbewerb überlassen, werden die Verbraucher und vor allem die Ärmsten zuerst die Verlierer und Leidtragenden sein. Daseinsvorsorge muss unserer Meinung nach für alle gleich erreichbar und nicht von der Dicke des Geldbeutels abhängig sein.

Die Lage wird immer bedrohlicher! Unsere Gesellschaft wurde in den letzten Jahren weiter aufgespalten in arbeitslos und überlastet, krank und gesund, gebildet und schlecht gebildet und in arm und reich. Dies ist auf Dauer nicht tragbar und gerade deshalb muss die Stadt ihrer Verantwortung für die Daseinsvorsorge nachkommen.

Privatisierung ohne Ende

An dieser Stelle möchte ich auch auf die anderen Privatisierungen in dieser Stadt hinweisen, durch die ebenfalls Arbeitsplätze und Lebensqualität der Menschen in Kiel bedroht sind, wie z.B. die beabsichtigte Privatisierung des Abwassers, des Seehafens, möglicherweise der Verkauf weiterer Anteile des Öffentlichen Nahverkehrs, der Müllverbrennungsanlage und des Abfallwirtschaftsbetriebes, die gerade vollzogene Privatisierung der Bäder und Strände in eine GmbH, Berufsschulen als Pilotprojekt für so genannte Öffentlich Private Partnerschaft, die Kommerzialisierung der Kulturbetriebe, des Theaters und der Kindertagesstätten, der Abbau der Stadtteilbüchereien und die haarsträubenden Personalkürzungen die uns in der Stadtverwaltung erwarten. Wir lehnen diese Kommerzialisierung zu Lasten der Bürger ab. Es ist nötig, sich mit den Aktuellsten zu näher zu beschäftigen.

Es geht um Wasser und Energie! Wasser und Energie sind grundlegende Güter, für die unsere Gesellschaft sorgen muss und deshalb konzentrieren wir uns von Attac vor allem auf die Stadtwerke. Angeblich hätte die Stadt erstmalig im November eine sogenannte „Put-Option“.  Das bedeutet, dass sie weitere Anteile verkaufen darf. Diese „Put-Option“ ist Teil des bisher geheimen Vertrages (Konsortialvertrag), der 2004 beim Weiterverkauf an die Mannheimer Stadtwerke (MVV) abgeschlossen wurde und der bis heute nicht einmal den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat vorliegt. Danach hat die MVV-AG angeblich die Pflicht, weitere Anteile zu kaufen.

Tatsächlich ist es das starke Interesse der MVV-Konzerns, möglichst komplett in den Besitz der Stadtwerke zu kommen. Dies würde ihre Bedingungen auf dem Energie- und Wassermarkt erheblich verbessern, um ohne kommunale Fesseln den weiteren Ausverkauf der Kieler Ressourcen Strom und Wasser zu betreiben. Die hemmungslose Ausnutzung des Betriebes und weitere Kündigungen wären die Folge. (16.5.2006 Heute lesen wir in den KN, dass die „Effizienz“ der Netzwerke  durch Ausgliederung in neue bundesweite GmbHs gesteigert werden soll. Und dies wird auch durch bundesweite Gesetze und Bundesnetzwerkagenturen vorangetrieben. Angeblich um die Preise zu senken. Bei dem Verbraucher kommen aber solche Preissenkungen nie an, sondern nur Gebührenerhöhungen und Entlassungen. Dazu wird der Betriebsrat noch einiges zu sagen haben.)

Und die Folgen?

Langfristig sind Preiserhöhungen und Wartungsmängel zu befürchten. Schon jetzt spekuliert der Konzern mit dem Vermögen aller Kieler auf dem Strommarkt. Er ist bereits der sechsgrößte deutsche Energieversorger und steht in Konkurrenz mit den Konzernen RWE und Vattenfall. Die Aktie des börsenorientierten MVV-Konzerns konnte innerhalb eines Jahres um 50% zulegen.  Noch ist er zu 75% in kommunalen Besitz der Stadt Mannheim und hat bereits an Stadtwerken in fünf weiteren Städten beteiligt.

Worin liegt die Gefahr?

Der Konzern ist bei Strafe des Untergangs gezwungen zu expandieren und zu rationalisieren, um die Renditen zu erwirtschaften. Wer garantiert uns, dass er in Zukunft nicht das selbe Schicksal wie die TXU erfährt und im Rahmen der Verschärfung des Wettbewerbs auf dem Energiesektor von Größeren geschluckt wird? Der eigenständig operierende Betrieb Stadtwerke Kiel wäre dann zerstört, mit unvorhersehbaren Folgen für die Stadtverwaltung, die Beschäftigten der Stadtwerke und für die Bürger.

Ich stelle Ihnen eine einfache Frage: Wenn MVV die 49% für 120 Mio. bekommen soll, dann könnte doch die Stadt genauso gut ihre Anteile für 125 Mio. zurück kaufen. Die langfristigen Kredite sind gerade sehr günstig. Durch die Gewinne der Stadtwerke auf dem Energiemarkt wäre der Betrag nach einigen Jahren wieder drin und von da ab auch wieder eine zuverlässige Einnahmequelle für die Stadt. Insbesondere wäre der Diebstahl des Allgemeinguts Wasser und des Eigentums der Kieler Bürger wieder rückgängig gemacht und die Kontrolle über die Daseinsvorsorge wieder in kommunaler Hand.

Daher fordert Attac-Kiel auch die vollständige Rekommunalisierung, d.h. den Rückkauf der Stadtwerke Kiel. Es ist notwendig und auch möglich, wenn der Wille da ist und das nötige Verantwortungsbewusstsein für das Leben der zukünftigen Generationen.

Wichtig ist zukünftig eine stärkere Kontrolle durch die Bevölkerung über die Betriebe der öffentlichen Daseinsvorsorge. Wir können dies nicht der wechselnden Interessenlage von Parteien überlassen. Nicht nur wegen der Bedeutung für die Versorgung der Menschen. Auch Entscheidungen wie z.B. über eine naturverträgliche Energieerzeugung dürfen wir nicht allein gewinnorientierten Konzernen überlassen.

In dem Zusammenhang fordern wir auch die Offenlegung aller Verträge. Was haben Verwaltung und Betriebe für eine Rechtfertigung, Angelegenheiten, die alle Bürger betreffen, zu verheimlichen?

In keinem Fall werden wir den Verkauf weiterer Anteile der Stadtwerke hinnehmen und eine breite Öffentlichkeit dagegen mobilisieren. Mit dem Bündnis Kielwasser werden wir möglicherweise auch ein Bürgerbegehren dagegen anregen.  Uwe Stahl (Attac-Kiel)