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Hartz IV-Optimierung

Koalition beschließt weiteren Sozialabbau

BezieherInnen des Arbeitslosengeldes II müssen künftig mit schärferen Überprüfungen rechnen. Das Bundeskabinett verab-
schiedete  letzten Mittwoch in Berlin das so genannte Hartz IV-Optimierungsgesetz. Links-Fraktion und Grüne kritisierten die Pläne als Bespitzelung und Schnüffelei. Die FDP begrüßte die Maßnahmen, Arbeitgeber und Kommunen forderten weitergehende Regelungen.

Das Gesetz soll schon am 1. August in Kraft treten und im laufenden Jahr Einsparungen von rund 400 Millionen Euro für den Bund und etwa 100 Millionen Euro für die Gemeinden erbringen. Ab 2007 werden für den Bund jährliche Einsparungen von insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro und für die Gemeinden von rund 300 Millionen Euro erwartet. Das Arbeitsministerium geht davon aus, dass derzeit in etwa 80.000 Fällen zu Unrecht Arbeitslosengeld II, das nur Bedürftigen zusteht, kassiert wird. Worauf Herr Müntefering diese Annahme stützt, bleibt allerdings sein Geheimnis. Die Arbeitsagentur geht da von wesentlich niedrigeren Zahlen aus, denn bisher wurden an rd. 5% der BezieherInnen von ALG II Rückforderungsbescheide versandt. Erfahrungsgemäß reduziert sich diese Zahl nach Überprüfung der Ansprüche im Widerspruchs- oder Klageverfahren noch erheblich.

Der Entwurf mit seinen mehr als 50 Einzelmaßnahmen sieht unter anderem eine Beweislastumkehr bei eheähnlichen Gemein-
schaften vor. Die Arbeitsgemeinschaften gehen künftig von einer eheähnlichen Gemeinschaft aus, wenn etwa zwei Erwachsene länger als ein Jahr zusammenwohnen oder gemeinsame Kinder haben. Der Gesetzgeber vermutet, dass eheähnliche Gemein-
schaften derzeit oft verschwiegen werden, um sich den vollen Regelsatz zu sichern. Tatsächlich wissen auch die Jobcenter bis heute nicht, wie sie eheähnliche Gemeinschaften definieren sollen. Deshalb wird oftmals nach der Devise verfahren: ‚Wir unterstellen erstmal eine eheähnliche Gemeinschaft; die Betroffenen können dann ja dagegen klagen’.

Um Leistungsmissbrauch besser aufzudecken, will die Regierung zudem den Datenabgleich zwischen den Behörden verstärken. Auch sollen Außendienstmitarbeiter die Haushalte stärker überprüfen. Ein solcher Außendienst wird den Behörden gesetzlich vorgeschrieben. Wenn jemand Arbeitslosengeld II beantragt, ohne vorher Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe erhalten zu haben, sollen für diese Person sofortige Hilfen eingeleitet werden, damit es gar nicht erst zum Bezug der Sozialleistung kommt. Außerdem sollen neue ALG-II-AntragstellerInnen mit einem Sofortangebot auf ihre Arbeitsbereitschaft geprüft werden. Die Regierung vermutet, dass sich so viele Neuzugänge abschrecken lassen.

Die Sozialexpertin der Links-Fraktion, Katja Kipping, kritisierte die „Verschärfung von Repression und Überwachung“. Der Staat erhöhe die „Zahl der Sozialspitzel, die den Erwerbslosen bis in die Schlafzimmer hinterher schnüffeln sollen“. Stattdessen solle die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Agenturen den Beratungsbedarf überhaupt decken könnten, sagte Kipping.

Auch Brigitte Pothmer (Grüne) forderte, statt der „Bespitzelung von Arbeitssuchenden“ müssten die vorhandenen Mittel auf Beratung und Förderung konzentriert werden.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel unterstrich hingegen, mit den Maßnahmen werde kein Anspruchsberechtigter geschädigt, sondern es würden Betrugsfälle leichter aufgedeckt.

Die drei kommunalen Spitzenverbände erklärten gemeinsam, die Richtung des Gesetzes stimme. Hartz IV sei aber an vielen Stellen noch zu großzügig ausgestattet, um einen wirklichen Anreiz zur Arbeitsaufnahme zu bieten. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) schloss sich dieser Einschätzung an. Abgeschafft werden müsse vor allem, dass es beim Übergang vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II noch „systemwidrige Zuschläge“ gebe.

Die Ziele der so genannten Arbeitsmarktreformen waren weniger Arbeitslose und damit weniger Kosten für die  Bundesanstalt. Großkotzig hatten Hartz und Schröder eine Halbierung der Arbeitslosenzahlen versprochen. Offenbar haben sich die Regierungen und Kommunen (Fachidioten) völlig verkalkuliert, da sie die Mehrkosten beim ALG II für Langzeitarbeitslose nicht genau beziffern konnten.

Fakt ist allerdings das der Gesetzgeber davon ausging, dass ca. 3,4 Millionen KollegInnen Anspruch auf ALG II haben würden. Im April 2006 gab es jedoch 5,2 Millionen ALG-II-EmpfängerInnen. Bei der Konzipierung der Hartz-Gesetze mussten „Experten“ vorausberechnen, wie sich die „Reformen“ finanziell auswirken. Grundlage für die Berechnungen waren u.a. die Arbeitslosen- und Sozialhilfestatistiken. Nach Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) waren die Daten deshalb bereits überholt, als die Experten Anfang 2003 berechnet haben, wie viele Menschen Anspruch auf das neue ALG II haben würden. „Die Berechnungen basierten auf realen Werten des Jahres 2000“, so das IW. Damals sah die Lage auf dem Arbeitsmarkt aber noch  besser aus, als zum Start von Hartz IV Anfang 2005. Man habe die mögliche negative Entwicklung des Arbeitsmarktes „unterschätzt“, meint Helmut Rudolph vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das der Bundesagentur für Arbeit angeschlossen ist.

Außerdem sind bei der Zusammenlegung der bisherigen Sozialhilfe und der alten Arbeitslosenhilfe deutlich mehr ehemalige SozialhifeempfängerInnen als arbeitsfähig eingestuft, als ursprünglich kalkuliert wurde. Sie fielen damit nicht mehr unter die neue Sozialhilfe, die alleine von den Kommunen bezahlt wird, sondern unter das neue ALG II. Damit haben sich die Gesamtkosten für die soziale Absicherung der Arbeitslosen zwar nicht erhöht, wohl aber die Kosten des Bundes, der den Löwenanteil des ALG II bezahlt. Das ist übrigens eine Folge der Änderungen in der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente.

Außerdem sind viele KollegInnen, nach Schätzung der Bundesagentur für Arbeit sind es ca. eine Millionen, die Arbeitslosengeld II beziehen, überhaupt nicht arbeitslos. Sie „verdienen“ in ihrem Job nur so wenig, dass sie über das ALG II Zulagen erhalten. (Kombilöhne) Bereits am 1. April hat die Regierung die Regelungen für ALG-II-EmpfängerInnen unter 25 verschärft, da sie jetzt eine Genehmigung von der Behörde brauchen, wenn sie von zu Hause ausziehen wollen.

Eine schlimme  Rolle spielten in den letzten Wochen einige Wohlfahrtsverbände, AWO, Diakonie und DRK, die in einem gemeinsamen Papier mit den kommunalen Spitzenverbänden weitere Sozialkürzungen forderten. Dass die beteiligten Sozialverbände offensichtlich aus Eigennutz handelten ergibt sich auch aus einem Zitat der Wochenzeitung „Freitag“. „Was veranlasste nun gerade die Chefs von AWO, Diakonie und Rotem Kreuz – gegen den Protest von Caritas und Paritätischem Wohlfahrtsverband –, die trojanischen Esel abzugeben bei diesem neuerlichen Angriff auf diejenigen, die ihnen am Herzen liegen sollten? Von den Kürzungen der „passiven Leistungen“ profitieren doch nur die Kommunen und der Bund. Welches eigene Interesse haben die Wohlfahrtsverbände? Die Antwort ist banal: Den drei Verbandschefs ist ihr Hemd (die Wohlfahrt ihrer eigenen Organisationen) eben näher als der Rock (die Wohlfahrt der Arbeitslosen und Geringstverdiener). Sie befürchten nämlich, dass mit dem Anstieg der Bedarfsgemeinschaften weniger Geld für so genannte „Aktivierungsmaßnahmen“ übrig bleibt, also vor allem für die Ein-Euro-Jobs, die ein lukratives Geschäft geworden sind.“
 
 


Auch das Kieler Bündnis gegen Sozialabbau und Lohnraub war auf der Demonstration am 3. Juni
2006 in Berlin vertreten.

Die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze sind der größte Sozialabbau in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands. Die beschlossenen Gesetze und Verordnungen sind nicht nur unsozial sondern auch schlecht gemacht. Deshalb ist es auch fast unglaublich, dass die fehlenden Gelder nun zu Lasten der LeistungsempfängerInnen, durch Leistungskürzungen, wieder reingeholt werden sollen. Die Missbrauchsdiskussion ist ein großes Ablenkungsmanöver, die die eigene Unfähigkeit und sozialen Kälte der Neoliberalen verschleiern soll. Auf die Frage von Bundeskanzlerin Angela Merkel  „wie sichergestellt wird, dass der, der arbeitet, mehr Geld hat als der, der nicht arbeitet“ hat ja nicht nur der DGB die richtige Antwort gegeben.Genau deshalb brauchen wir, um weitere schamlose Ausbeutung vieler KollegInnen zu verhindern, einen gesetzlichen Mindestlohn. Hartz IV ist unsozial und hat keine neuen  sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. Hartz IV muss deshalb abgeschafft werden.Außerdem ist eine  Umverteilung der vorhandenen Arbeit durch massive Arbeitszeitverkürzungen notwendig. Nur dadurch können wirklich neue, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen werden. (hg, csk)