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Hetze geht weiter:

Zwangsdienst für Arbeitslose

Der arbeitsmarktpolitische Obmann der Unionsfraktion im Bundestag, Stefan Müller (CSU), fordert im Rahmen der Hartz-IV-Reform einen "Gemeinschaftsdienst für Langzeitarbeitslose“. Er solle bundesweit eingerichtet werden und für alle verpflichtend sein, die  Arbeits- losengeld nach Hartz IV empfangen, sagte Müller der "Bild“-Zeitung. "Alle arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen müssen sich dann jeden Morgen bei einer Behörde zum ’Gemeinschaftsdienst’ melden und werden dort zu regelmäßiger, gemeinnütziger Arbeit eingeteilt - acht Stunden pro Tag, von Montag bis Freitag.“ Wer sich verweigere und nicht erscheine, müsse "mit empfindlichen finanziellen Einbußen rechnen“.

Müller begründet seine Forderung mit den Worten: "Die Langzeitarbeitslosen haben so nicht länger das Gefühl, überflüssig zu sein,  ge- wöhnen sich wieder an regelmäßige Arbeit.“ Ein positiver Nebeneffekt sei, dass sie in dieser Zeit nicht schwarzarbeiten könnten. "Arbeit, die getan werden muss, wird dann wieder nur von Sozialversicherten erledigt.“ Er könne sich vorstellen, „dass wir da gut zwei Millionen Menschen unterbringen können”, sagte er auf dpa-Anfrage. Viele der Bezieher von Arbeitslosengeld II wollten arbeiten, fänden aber keinen Job. Die „Gemeinschaftsdienst”-Tätigkeiten dürften keinesfalls sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gefährden. Als Beispiele nannte Müller Hausaufgabenbetreuung, Einkaufshilfen für ältere Menschen oder Essenausgabe für Bedürftige. Dies seien Aufgaben, die Menschen meist ehrenamtlich erledigten. Sein Vorstoß ziele nicht auf einen „Arbeitsdienst wie in den dreißiger Jahren”.

„Purer Populismus“

Der stellvertretende stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Ludwig Stiegler, sagte zu dem Vorschlag in der "Netzeitung", er empfehle Müller "baden zu gehen und sich abzukühlen". "Offensichtlich sind ihm die hohen Temperaturen, die derzeit herrschen, nicht bekommen." Müller schwebe offenbar vor, "eine industrielle Reservearmee aufzubauen, die Hauptmann Müller jeden Morgen die Stiefel poliert".

Der SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner nannte die Idee "puren Populismus". Müller unterstelle, "dass alle Arbeitssuchenden nicht arbeiten wollen". Zudem sei die Vorstellung, für fast drei Millionen Bezieher von Arbeitslosengeld II gemeinnützige Jobs zu schaffen, "vollkommen abwegig". Massive Verdrängungseffekte in der Wirtschaft wären die Folge. Brandner fügte hinzu: "Wir wollen die Menschen in eine richtige Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt vermitteln und nicht auf das Abstellgleis befördern." Auch Brandner meinte: "Mit Müller sind wohl die Gäule durchgegangen". Mit dieser Forderung werde das Prinzip des Forderns und Förderns auf den Kopf gestellt. "Wir wollen vermitteln. Das ist Aufgabe der Politik", sagte er. Wenn dann Angebote abgelehnt würden, blieben den Arbeitslosen Sanktionen nicht erspart. Jeder wisse aber, dass die überwiegende Mehrheit der Erwerbslosen wirklich arbeiten wolle.

Sogar der FDP-Parteivize Rainer Brüderle nannte Müllers Vorstoß "ein schäbiges Ablenkungsmanöver auf dem Rücken der  Langzeit- arbeitslosen: "Unser Land braucht keine neuen Zwangsdienste, die noch mehr reguläre Jobs verdrängen würden". Für das  "Hartz-IV- Desaster" seien nicht die Empfänger von Arbeitslosengeld verantwortlich, sondern Union und SPD. Mit absurden Forderungen wolle die große Koalition von den wirklich nötigen Reformen ablenken, kritisierte Brüderle. Links-Fraktionsvize Petra Pau sprach von einem "Rückgriff auf den Arbeitsdienst im dritten Reich". Ein solcher Dienst wäre "verfassungswidrig und ein Angriff auf Bürgerrechte". So heiße es im Grundgesetz, dass Zwangsarbeit nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig sei.

Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn sprach von einer "diskriminierenden Idee" Müllers. Statt zu Lasten der Arbeitslosen eine Debatte über Leistungsmissbrauch zu führen, müsse die große Koalition "Hartz IV" weiterentwickeln. Neben der Anwendung des vorgesehenen Förderinstrumentariums zählte Kuhn dazu auch eine gezielte Senkung der Lohnnebenkosten im unteren Einkommensbereich. Die  arbeits marktpolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, kritisierte scharf, Arbeitslose würden mit der Forderung zu "Faulenzern, Schwarzarbeitern und Abzockern" abgestempelt. Sie forderte die Unionsfraktion auf, sich von dem Vorstoß ihres Kollegen zu distanzieren. Für seine Rolle als arbeitsmarktpolitischer Obmann habe sich Müller disqualifiziert, sagte Pothmer. "Dieser Vorschlag zeigt deutlich, dass die Union nicht die Arbeitslosigkeit bekämpfen will, sondern die Arbeitslosen", erklärte PDS-Vizechefin Katja Kipping. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) sollten sich umgehend von "solchen barbarischen Vorstößen gegen die Menschenwürde" distanzieren.

Der Fraktionsgeschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Hartmut Koschyk, verteidigte Müller gegen die Angriffe. Die Kritiker vergriffen sich im Ton, sagte Koschyk. Mit Totschlagargumenten und Denkverboten werde aber kein einziger Arbeitsloser wieder an den ersten Arbeitsmarkt herangeführt.

Schikanen werden weitergehen

Der Vorschlag Müllers wird wohl (noch) nicht in die Praxis umgesetzt. Durch die Äußerungen führender Politiker der Koalition, der FDP und durch die beschlossene Verschärfung der Hartz IV-Regeln ist jedoch erst das Klima für derartige Vorstöße geschaffen worden. Müller ist mit Gewissheit kein Einzelkämpfer, der allein im stillen Kämmerlein über neue Schikanen nachdenkt. Die Reaktion seines Fraktionsgeschäftsführers zeigt, dass durchaus eine Basis, wenn auch z. Zt. noch keine Mehrheit für derartige Maßnahmen vorhanden ist. Möglicherweise wird als nächstes die Zwangskasernierung und Gemeinschaftsverpflegung für Langzeitarbeitslose angeregt. Der Gedanke, Arbeitslose möglichst rund um die Uhr zu ‚beschäftigen’, ist den Initiatoren von Hartz IV nicht unsympathisch. Schließlich hätten diese dann weniger Zeit, sich um die Verteidigung ihrer Rechte zu kümmern. Die oftmals gut organisierten Selbsthilfezentren sind vielen Regierungsmitgliedern und Parlamentariern ein Dorn im Auge, denn sie decken viel zu häufig Missstände auf und benennen die Verantwortlichen. Auch wenn Herr Müller es anders sieht: Die ehrenamtliche Arbeit in den Arbeitsloseninitiativen ist gesellschaftlich wertvoll und dient dem Allgemeinwohl!

Wenn Koschyk meint, mit Denkverboten werde niemand an den ersten Arbeitsmarkt herangeführt, so ist er blind oder will nicht sehen. Schon jetzt schaffen es die Jobcenter nicht, ihre Klientel in feste Arbeit zu vermitteln, und zwar nicht (nur), weil sie hiermit überfordert sind, sondern weil sie keine Arbeitsplätze anbieten können. Auch wenn kaum ein Politiker es wahrhaben will, Arbeitsplätze können im Kapitalismus nur von den wirklichen Machthabern geschaffen werden, und das sind nicht Regierungen, sondern Konzerne.

(CSK)