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Revolutionäre Mannschaften und Superhelden

Über Sinn und Unsinn militanter Aktionen

Am 31. Mai fanden in Hamburg mindestens zwei Wohnungsdurchsuchungen statt, außerdem lief Polizei beim monatlich stattfindenden „Hamburg Umsonst“-Café im Buttclub in den ehemals besetzten Häusern an der Hafenstraße auf. Im Hamburger Abendblatt stand, dass „Ermittler der Staatsschutz-Abteilung des Landeskriminalamtes (LKA) vor allem im Stadtteil St. Pauli mehrere Wohnungen und Lokale durchsucht“ und „Computer und auch Kleidungsstücke sichergestellt haben“. Am nächsten Abend zog eine kleine Spontandemo durch das Hamburger Schanzenviertel, die sich gegen die Durchsuchungen richtete. Die Initiative „Hamburg Umsonst“ hat den erfolgreichen Hamburger Euromayday organisiert, eine Protestparade gegen Prekarisierung, Sozialabbau und Ausgrenzung. Einen Tag vor dem  Euro- mayday kam es zu einer spektakulären Aneignungsaktion durch maskierte Unbekannte, bei der überteuerte Lebensmittel aus einem Gormetgeschäft entwendet wurden. Diese symbolische Aktion, bei der die Maskierten auch für die Teilnahme am Euromayday warben, war der Anlass für die Razzia. Völlig im Dunkeln tappt die Polizei dagegen bei ihren Ermittlungen im Zusammenhang mit einer anderen Aktion im Vorfeld des 1. Mai.

Gegen drei Uhr nachts kam am 29. April 2006 Bewegung in das gutbürgerliche Wohnviertel von Reinbek, einer Kleinstadt am Rand von Hamburg. Der Mitsubishi-Van der Familie Straubhaar wurde aus dem Carport direkt an dem Einfamilienhaus gezogen, dann in der Auffahrt angezündet. Einige Steine flogen gegen das Sicherheitsglas der Fenster des Hauses, an der Hauswand zerplatzten rote  Farb- beutel.

Niemand wurde erkannt oder festgenommen, das Medienecho war groß: „Offensichtlich Linksextremisten haben in der Nacht zu Donnerstag einen Anschlag auf das Wohnhaus von Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts (HHWI), verübt“ schrieb das Hamburger Abendblatt. Die Hamburger Morgenpost titelte: „Brandanschlag auf Top-Wissenschaftler“. Die zuständige Staatsanwaltschaft Lübeck erkannte messerscharf, wo die Täter zu suchen seien:  Die Aktion gehe "vermutlich auf das Konto politisch sehr linker junger Leute, die sich mit den wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen des Professors und der Institution des Instituts nicht einverstanden erklären", so Oberstaatsanwalt Günter Möller.

Thomas Straubhaar war zum Zeitpunkt der militanten Aktion nicht zuhause, wohl aber seine Frau und die drei Kinder. Ob die Kinder etwas mitbekamen, ist nicht bekannt geworden. Bei einer der früheren Brandstiftungen an Autos von Politikern oder Kapitalisten in Hamburg griff das Feuer vom Auto auf das Carport und so auf das Wohnhaus über. Offensichtlich um dies zu vermeiden und keine Menschen zu gefährden, wurde das Auto herausgezogen.

Abendblatt und Morgenpost zitierten in den folgenden Tagen einige Halbsätze aus dem zweiseitigen Bekennerschreiben, dass bei ihnen einging. Darin bekannte sich laut der redaktionellen Darstellung – die Originalerklärung liegt mir nicht vor – die bislang unbekannte Gruppe „fight 4 revolution crews“, („Kämpft für revolutionäre Mannschaften“), zur Brandstiftung am Auto der Straubhaars und zu einer weiteren Aktion: Bereits zwei Nächte zuvor hatten Unbekannte Steine und Farbbeutel auf das Reihenhaus eines Standortleiters der Arbeitsgemeinschaft (Arge) in Hamburg-Langenhorn geworfen. Auch hier wurde niemand verletzt. Der Arge-Standortleiter wird als “Schnüffler” bezeichnet, wegen des Vorgehens der Arge gegen Hartz-IV-Betroffene.

Das Bekennerschreiben der Gruppe „fight 4 revolution crews“ mit der Überschrift: „Auf zur revolutionären 1.-Mai-Demo“ schließt mit der Parole „Wir wollen alles!“ Volkswirtschaftler Straubhaar wird darin als „Stichwortgeber und Wegweiser für Angriffe auf das Proletariat“ kritisiert. „Er würde 1-Euro-Jobs feiern und für die Abschaffung des Kündigungsschutzes sein“, so die Morgenpost. Vermutlich steht im Bekennerschreiben noch einiges mehr, denn Straubhaar ist in der Tat ein überzeugter und exponierter Vertreter von Sozialabbau und Deregulierung, was etwa an seiner Kritik deutlich wird, dass die Bundesregierung hierbei noch nicht weit genug geht: „Beim Arbeitsmarkt ist aus meiner Sicht unverzichtbar, dass die Flexibilisierung weiter geht, als jetzt geplant ist ... Das Stichwort lautet Globalisierung, weitere Konkurrenz der Standortverlagerung nach Südosteuropa, nach Südostasien. Und von daher gesehen wird kein Weg dran vorbeiführen ...“, so Straubhaar im Deutschlandfunk im November 2005. Straubhaars Lieblingswort ist „unverzichtbar“: „Was ist unverzichtbar für einen starken, aber eben schlanken Staat? Was kann nur der Staat besser als die Privaten? Alles andere, bei denen die Antwort eben lautet, dass es die Märkte, die einzelnen Menschen in Eigenverantwortung und Freiheit besser können, soll er abgeben.“

Knallharter Neoliberaler

Eine Woche nachdem sein Auto in Brand gesteckt worden war, trat Straubhaar am 3. Mai beim „Abendblatt-Forum“ auf und verkündete zum Thema Globalisierung und Hamburg: „Die zweite Welle der Globalisierung wird viel heftiger werden ... Entscheiden wird allein das Preis-Leistungsverhältnis der Belegschaften, aber auch der öffentlichen Infrastruktur. Ein großer Trend in Zeiten der Globalisierung ist die zunehmende Urbanisierung ... Der Standortwettbewerb belohnt die Attraktivität einer Stadt und bestraft Ineffizienz ... Maßgebliche Erfolgsfaktoren im Wettbewerb um Monopolvorsprünge sind herausragende Menschen, Unternehmer, die ein Risiko eingehen und Wagniskapital. Über all diese Faktoren verfügt Hamburg. Es gilt auch in Zukunft, die Stadt so attraktiv zu halten, daß die Menschen und die Investoren auch weiter zu Hamburg stehen.“

Bereits im Januar 2006 propagierte Straubhaar in der Welt, dass Hamburg gegenüber dem Umland seine Metropolenmacht offensiv nutzt: "Der erste Schritt würde in Kiel wie eine Drohung wirken, und wenn es umgesetzt wird, wie ein Affront. Dies würde aber das wahre Kräfteverhältnis, die wahre Macht Hamburgs sehr schnell aufdecken. Ich halte das für unverzichtbar." Straubhaar vertritt in einigen Fragen Ansichten, die als linksliberal gelten, etwa wenn er für Migration eintritt, allerdings nur, soweit sie den  Wirtschafts- interessen Deutschlands nützt. In der Zusammenschau erscheint er vor allem als ein überzeugter Propagandist des unverzichtbaren freien Marktes, kombiniert mit dem Einsatz für eine Modernisierung der kapitalistischen Gesellschaft. Dafür ist er als Direktor des Hamburger Weltwirtschafts-Instituts HWWI berufen worden.

Die von ihm betreuten Stipendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung an der Uni Hamburg drückten dass in ihrem Protestbrief gegen die Brandstiftung aus: „Professor Straubhaar ist einer der profiliertesten liberalen Ökonomen in Deutschland“.  Und Marktradikalismus durchaus wehrhaft und militant gegen links: "Diejenigen, die den brutalen Anschlag verübt haben, zeigen auf makabre Weise, daß die Argumente von Prof. Straubhaar für diese extremistischen Feinde unserer freiheitlichen Verfassung gefährlich sind und sie haben offenbar dem nicht mehr entgegenzusetzen als Brandbomben, Farbbeutel und Steine.“

In Hamburg hat es in den letzten Jahren wiederholt Brandstiftungen gegeben, zuletzt im Juli 2005 am Mercedes des Chefs der  Nord- deutschen Affinerie, Werner Marnette in Tostedt bei Hamburg. Und im Dezember 2005 am BMW und am Minicooper des Werbers Holger Jung, mitverantwortlich für die Kampagne „Du-bist-Deutschland“, in Hamburg-Harvestehude. Ebenfalls im Dezermber war das Auto des Tchibo-Vorstandsmitglieds Thomas Vollmoeller in Harvestehude ein Ziel: „Wegen der menschenverachtenden  Produktions- bedingungen in Bangladesh, wo ein großer Teil der Tchibo-Klamotten hergestellt wird, geriet der Konzern in diesem Jahr in die  Schlag- zeilen. Heute Nacht haben wir Thomas Vollmoellers BMW am Mittelweg 68 in Hamburg angezündet. Mit dieser Aktion wollen wir unsere Solidarität mit den Kämpfen der Näherinnen in Bangladesh ausdrücken und für weiteren Druck auf Tchibo sorgen“, wie es in einer Erklärung dazu heißt. In allen Bekennerschreiben, die von unterschiedlichen Gruppen kamen und in der Regel in der Zeck, dem Info aus der Roten Flora, dokumentiert worden sind, wurde mehrfach auf den G-8-Gipfel 2007 im mecklenburgischen Heiligendamm Bezug genommen, auch beim Anschlag auf Straubhaar: „Die G8-Schweine planen soziale Angriffe gegen das Proletariat.“

Notwendige Debatte

Gleichwohl rauscht diese Form von Militanz an vielen Linken vorbei, wirkt aufgesetzt. Positiv ist in jedem Fall, dass die Polizei komplett im Dunklen tappt bei der Suche nach den “KämpferInnen für revolutionäre Mannschaften” und den anderen militanten Gruppierungen. So gäbe es jetzt die Möglichkeit, sich ohne den Druck von drohenden Prozessen damit auseinander zu setzen, ob das Anzünden von Autos und das Bewerfen von Privathäusern tatsächlich linken Protest befördert – oder eben doch als StellvertreterInnen-Militanz politisch verpufft. Und wie mit dem Problem umgegangen wird, dass Unbeteiligte, auch Kinder, von den Brandstiftungen betroffen sind. Bei Gesprächen auf den Demonstrationen zum 1. Mai in Hamburg waren die Brandanschläge kaum Thema. Und wenn, dann wurden sie eher kritisiert: „Anschläge auf Privathäuser lehne ich ab, besonders wenn Kinder oder Angehörige dort wohnen“, erklärte ein älterer Hamburger Linker, Helmut, am Rande der Demo. Julia, für die eine wertkritische Analyse der Gesellschaft wichtig ist, störte sich grundsätzlicher an dem Ansatz: „Dem Brandanschlag auf ein Privatauto am Wohnhaus liegt eine Personalisierung von Kapitalismuskritik zugrunde, die ich nicht teilen kann. Es gibt nicht die Schweine da oben und das kämpfende Proletariat da unten. In die kapitalistischen Verhältnisse sind wir alle als gesellschaftliche Subjekte verwoben, und Anschläge auf einzelne Leute in ihrem privaten Bereich werden dem nicht gerecht.“

Ganz anders dagegen die Reaktion auf die Aktion einiger als „Superhelden“ Kostümierter, die am Freitag vor dem 1. Mai in den  Edel- Supermarkt "Frische-Paradies Goedeken" eingedrungen waren und dort kollektiv Luxuswaren entwendeten, die sie anschließend an prekarisierte Putzfrauen und Erzieherinnen verteilten. In ihrer auf indymedia dokumentierten Erklärung zur Aktion „Fünf Sterne to go II“ erklärten sie sich: „Wir sind Santa Guevara, Spider Mum, Operaistorix und Multiflex. Wir sind prekäre Superhelden ... Spider Mum, Operaistorix, Superflex und Santa Guevara sind nicht allein. Ob als vollvernetzte Dauerpraktikantin, Callcenterangel, aufenthaltlose Putz- frau oder ausbildungsplatzloser Ein-Euro-Jobber: Ohne die Fähigkeiten von Superhelden ist ein Überleben in der Stadt der Millionäre nicht möglich. Obwohl wir den Reichtum von Hamburg City produzieren, haben wir kaum etwas davon. Das muss nicht so bleiben. Von dem Gourmetfrühstück auf dem Süllberg bis zu Wildschweinkeule und Champagner vom Frische Paradies: Die Orte des Reichtums sind so zahlreich wie die Möglichkeiten sich diesen Reichtum zu nehmen. Bleibt nur noch eine Frage offen: Wo setzt du deine  Superhelden- kräfte ein? Komm doch einfach zur Euromaydayparade am 1. Mai um 13 Uhr an der Wiese am Michel.“ Am Euromayday am 1. Mai nachmittags in Hamburg nahmen knapp 3.000 Leute teil. Bei der Demo wurden massenweise Buttons getragen, auf denen ein Superheld abgebildet war. Die Symbolik war eindeutig. Der Staatsschutz verdeutlichte mit seiner Razzia Ende Mai, dass er diese Form des Protestes ernstnimmt – und dagegen vorgehen wird.

(Gaston Kirsche)