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Kolummne:

Warum das Eckige ins Runde muss

In all den Runden dieser Tage muss das Runde so sehr ins Eckige, muss „das Volk“, dieses rot-schwarz-senfige neue Wir-Gefühl, so sehr ins Tor, dass man nur noch staunen kann. Staunen über einen neuen Patriotismus, der seltsam weltläufig daherkommt. Kein Hooligan, der neben Deutschland-Deutschland-Parolen nicht auch noch jenes wie deutsch-gewöhnlich vernichtete, das nicht so deutsch ist. Ein FIFA-Friede-Freude-Eierkuchen, der der Welt zeigt, dass von Deutschland endlich mal wieder etwas zu halten ist, weil es nicht ein-, sondern kollateral-unbeschadet durchmarschiert.

Dass es das mit gar nicht mal schlechtem Fußball tut, ist die erfreulich harmlose Variante einer Großmacht, die gleichzeitig die ersten drei Dutzend Schützenjäger in den Kongo entsendet, um dort unbemerkt von der tore-taumelnden Öffentlichkeit für die Weltordnung zu sorgen, die nicht mehr in Washington, sondern in Berlin gemacht wird.

Dass wir wieder wer sind, ist seit der gewonnenen Weltmeisterschaft 1954 ausgemacht. Seither geht es ums wieder wer Bleiben. Mag sein, dass z.B. streikende Ärzte zeigen, was im Staate Deutschmark stinkt. Die, welche die potenziellen Patienten der Übermüdeten sind, singen derweil das alte Lied vom Neid auf ihre Halbgötter in Weiß. Mag auch sein, dass unter von jedem Heckfenster flatternden Deutschland-Fähnchen, deren durchaus demokratische Farben kaum einer mehr zuzuordnen weiß, nämlich ins Kantige einer  Studenten- revolte, die nicht zuletzt wegen ihres nationalen Taumels ihre demokratisch-revolutionären Ziele schon in Hambach verriet, jeder Diskurs so großkoalitionär verbrämt wird, dass am Ende nur der Verrat herauskommt, der schon 1919 die Sozialdemokratie aus gutem Grunde spaltete. Mag zusätzlich sein, dass die gute Stimmung, die auch das IFO-Institut ob der WM der Wirtschaft andichtet, nicht mehr als dieses Weltmeisterschaftsstreben ist. Was „Du bist Deutschland“ dieser ballermännlichen Tage vergisst, ist, dass es ein „Sanierungsfall“ ist. Und ausgerechnet das musste ihm seine Regierungsoberhäuptling-Squaw sagen.

Das war ein Torschuss vor dem Anstoß, der noch folgt, ein Elfmeterschießen vor dem Anpfiff, nicht erst in der Verlängerung, in der die so genannt große Koalition sommerpäuslich verdämmert. So gut Klinsmanns Bolztruppe Tore schießt, so reserviert bleibt die Berliner Bande auf der Ersatzbank. Nur merkt das keiner im Land, das sich selbst zu Gast bei Freunden empfindet. Man könnte fast meinen, der größte Sponsor der FIFA-WM sei die Regierung des veranstaltenden Landes selbst, getreu dem Motto, dass die Spiele das Brot ersetzen können, wenn man den Ball nur laufen lässt, wie er eben läuft. Nur leider immer wieder ins Eigentor. Leider? Ja, da sind die Kloses und Podolskis, die einlochen, wo die Politik ein um das andere Loch zeigt. Da ist Kanzler Klinsmann, der für ein paar Sommerwochen das ersetzt, was dem Land so fehlt: die weise handelnde (nicht nur ruhige) Hand, das taktische Fußspitzengefühl.

Und darum muss man, so altklug das scheinen mag, mal wieder Marx zitieren. Etwas abgewandelt von seinem Spruch, dass man Hegels Kopf auf die Füße seines Körpers stellen müsste, gilt es nunmehr, das Tor dem Ball entgegenzuwerfen. Das Eckige muss ins Runde, nicht umgekehrt. Oder anders ausgedrückt und als Parole für nach der WM all denen ausgegeben, die sich vom Taumel haben  verarschen lassen: Wenn der Ball nicht zum Tor kommt, muss sich der Tor närrisch in ballernde Bewegung setzen. Das ist schwer,  unbenommen, vielleicht sogar unmöglich. Aber dieser Tage hat uns ein einfacher Sport, der übrigens ehedem ein proletarischer war, gezeigt, dass das möglich ist. Die Welt war zu Gast bei Freunden, jetzt könnten diese für ihre historischen Verhältnisse ungewöhnlich friedlichen Freunde ihrer Umwelt mal zeigen, wie das geht. Die Chancen sind gering. Aber hoffen kann man ja mal. So wie auf den siebten Treffer von Landsmann Klose oder Podolski. So ist nämlich Polen und auch Pisa noch lange nicht verloren und davon könnten die deutschen Lande lernen, dass das Eckige ins Runde muss.

(ögyr)