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Kommentar

Sanierung á la carte

Es ist schon ein eigenartig Ding mit den Deutschen. Da halten ihnen Meinungsmacher in Presse, Wirtschaftsverbänden, Parteien und den jeweiligen Regierungen jahrelang immer wieder vor, sie seien ein Volk der Jammerer (was für ein Wunder bei jahrzehntelanger Massenarbeitslosigkeit). Und dann ist das Land mal in Partystimmung – mancherorts zugegebenermaßen sehr brachial und nicht gerade sympatisch – da kommt die Bundeskanzlerin daher und erzählt den Leuten, sie seien ein Sanierungsfall. O.k., sie hat gesagt, Deutschland sei ein Sanierungsfall, aber wen wird sie wohl damit gemeint haben?

Die Geschichte stieß selbst dem Kommentator der DB-Research, der Forschungsabteilung der Deutschen Bank, auf, die nicht gerade ein Hort der Vorkämpfer für den Sozialstaat ist. „Wer oder was also muss denn nun saniert werden?“ fragt Stefan Schneider von der DB-Research. „Die deutschen Unternehmen, die im vergangenen Jahr einen Rekordüberschuss in der Handelsbilanz von 7,2% des BIP erwirtschaftet haben, in der Industrie die Produktivität um 4,7% gesteigert und Rekordgewinne erreicht haben und mittlerweile sogar wieder über Neueinstellungen nachdenken?“

Nun ist Schneider natürlich weit davon entfernt, aus dieser Zustandsbeschreibung  Schlussfolgerungen wie unsereins zu ziehen, nämlich, dass mit der Verteilung des Reichtums in diesem Lande grundsätzlich etwas ziemlich schief läuft. Für ihn sind die Zahlen Beleg, dass in der Wirtschaft alles auf dem richtigen Weg ist. Seine Kritik an Merkel zielt eher darauf, dass diese energischer zuschlagen soll. Und natürlich sind es letztlich Spiegelfechtereien, die es mit der Kanzlerin ausführt: Denn im Grunde unterscheiden sich seine Anforderungen kaum von dem, was die Kanzlerin gerade gegen halbherzige sozialdemokratische Widerstände in CDU und SPD durchsetzt. „Kosten senken“ und „Effizienz steigern“ heißen Schneiders Zauberwörter im Bezug auf das System der Krankenversicherung. Die Botschaft ist eindeutig: Die Leistungen der Kassen werden reduziert, der Arbeitgeberanteil gesenkt, wer ein bisschen Geld hat, muss sich  zusatzver- sichern, und wer keines hat, guckt in die Röhre. Die Kosten der Pharmakonzerne bleiben natürlich unangetastet, und für Versicherungen wird ein neuer Markt geschaffen. Sanierung á la Merkel/Deutsche Bank.

(wop)