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Zoff bei Frankreichs Globalisierungskritikern:

Quo Vadis Attac

Handelt es sich um das Eingeständnis eines Fehlers? Um einen taktischen Rückzug? Oder um ein erzwungenes Nachgeben? Fakt ist, dass der französischen Öffentlichkeit Ende Juni bekannt wurde, dass die heftig umstrittenen Wahlen der Führungsspitze von Attac Frankreich in einem halben Jahr wiederholt werden. Dies hatte der Vorstand der Vereinigung beschlossen. Dadurch soll die schwere Krise der Organisation überwunden werden. Attac (Association pour la Taxation des Transactions pour l'Aide aux Citoyens, Vereinigung für doe Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der Bürger) wurde 1998 gegründet und war mehrere Jahre lang eine der erfolgreichsten außerparlamentarischen politischen Zusammenschlüsse Frankreichs, verlor jedoch in den letzten beiden Jahren an Bedeutung und droht derzeit von inneren Widersprüchen zerrissen zu werden.

Die Vereinigung, die sich vor allem mit Themen der Weltwirtschaft befasst, wurde zunächst allgemein als „globalisierungskritisch“ bezeichnet. Später wählte sie jedoch die Selbstbezeichnung „altermondialistisch“ – abgeleitet von autre monde oder auch autre mondialisation, also dem Eintreten für eine andere Welt respektive eine andere Globalisierung.

Aber real koexistierten immer zwei unterschiedliche Grundströmungen innerhalb von Attac. Einerseits vertritt der Flügel rund um Attac-Gründer und ­Ehrenpräsident Bernard Cassen die Auffassung, entgegen der in den letzten 25 Jahren praktizierten Deregulierung der Märkte sollten die Nationalstaaten wieder stärker das wirtschaftliche Geschehen bestimmen und dadurch soziale und ökonomische Krisen eindämmen. Neben den Nationalstaaten könne möglicherweise auch die EU, falls sie eine „Umorientierung“ im positiven Sinne erfahre, einen solchen Akteur der „Re-Regulierung“ der weltweit entfesselten kapitalistischen Ökonomie darstellen. Die Fraktion auf der anderen Seite will aber politisches Handeln nicht vorrangig von den Staaten her denken, sondern setzt auf eine internationale Zusammenarbeit von sozialen Bewegungen.

Dieser letzten Auffassung neigen vor allem viele der Attac angeschlossenen linksgewerkschaftlichen Kräfte zu: Attac Frankreich besteht aus derzeit rund 25.000 Einzelmitgliedern – vor der Krise waren bereits fast die 30.000 erreicht –, aber auch rund eintausend Kollektivmitgliedern. Zu letzteren gehören etwa mehrere CGT-Einzelgewerkschaften, die linksalternativen Basisgewerkschaften des Zusammenschlusses SUD/ Solidaires, die linke Bauerngewerkschaft Confédération paysanne oder die Bildungsgewerkschaft FSU sowie Arbeitslosenvereinigungen.

Diese Orientierungen mussten früher oder später aneinander geraten. Seitdem Regierungen wie jene von Hugo Chavez in Venezuela als Gegenpole zu den USA – die sie als Hauptträger der neoliberalen Umgestaltung des globalen Kapitalismus ausmachen – und zu den bestehenden weltwirtschaftlichen Strukturen auftreten, sehen Bernard Cassen und seine Anhänger sich nunmehr in ihrer Auffassung vom politischen Agieren der Staaten als progressivem Faktor bestätigt. Die Cassen-Fraktion mobilisierte in diesem Sinne für eine massive Präsenz beim letzten Teil-Weltsozialforum in Caracas, im Januar dieses Jahres.

Das Herannahen der französischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr beschleunigte die Entwicklung der Widersprüche. In einem Teil der Linken wird über eine Einheitskandidatur debattiert, unter der Devise einer candidature antilibérale. Der Begriff des libéralisme bezeichnet in Frankreich allein den Wirtschaftsliberalismus, also eine Politik zugunsten der Durchsetzung des wirtschaftlich Stärkeren. Dagegen wird das Engagement zugunsten der Bürgerrechte, das im Deutschen mit dem Wirtschaftsdarwinismus begrifflich zum „Liberalismus“ vermengt wird, in Frankreich mit anderen Begriffen und namentlich dem Adjektiv citoyen belegt. Unter einer „anti-wirtschaftsliberalen Kandidatur“ können sich also alle linken Kräfte prinzipiell etwas vorstellen. Dennoch ist unklar, was der Begriff bezeichnen soll: Das Eintreten für eine Neuauflage keynesianischer Praktiken? Oder eine schärfer gefasste Kapitalismuskritik?

Ähnlich unbestimmt bleibt bisher auch das politische Profil der möglichen Einheitskandidatur, für deren Zustandekommen bereits eine Reihe von Veranstaltungen abgehalten worden sind. Die französische KP propagiert lauthals ein solches Bündnis, möchte es aber gerne um sich herum organisiert wissen und selbst den Kandidaten oder – wahrscheinlich – die Kandidatin stellen. Die  trotzkistisch-  undogmatische LCR äußerte sich zunächst grundsätzlich zugunsten eines Bündnisses, hat sich aber vorerst zurückgezogen, da sie zur  Be- dingung macht, dass es keine Regierungsbeteiligung vorbereiten dürfe, und eine spätere Koalition mit der Sozialdemokratie  ausge- schlossen wissen möchte. Genau dies aber steht quer zu den längerfristigen Absichten der KP. Aus den Reihen des  „alter- mondialistischen“ Spektrums hat Ende Juni nun der ehemalige Sprecher der linken Bauerngewerkschaft, José Bové, nun seine Bereitschaft zur Kandidatur für eine solche Allianz erklärt.

An diesem Punkt aber brechen nun die Widersprüche bei Attac erst recht heftig auf: Attac-Präsident Jacques Nikonoff, der in  grund- sätzlichen Fragen Bernard Cassen nahe steht, war früher Vorstandsmitglied bei der KP. Ihm darf getrost unterstellt werden, dass er eine Kandidatur der Linksparteien und auch eine spätere Regierungskoalition begleiten und seitens von Attac argumentativ unterfüttern möchte. Dagegen stehen etwa Bové  und seine Freunde eher auf dem anderen Flügel von Attac. Allerdings hat auch José Bové, der über ein gesundes, wenn nicht überdimensioniertes Ego verfügt, sich in jüngerer Zeit an grüne und einige sozialdemokratische Politiker angenähert. Und bisher lässt er die Frage der künftigen Strategie gegenüber einer möglichen Linksregierung ziemlich weit offen. Dennoch stützen sich die Pläne Nikonoffs und Bovés auf unterschiedlich orientierte Kräfte bei Attac.

Am 17. und 18. Juni flogen dann anlässlich der Generalversammlung von Attac Frankreich, die im westfranzösischen Rennes stattfand, vor den Kameras die Fetzen. Eine handlungsfähige Führung konnte nicht bestimmt werden. Bei der Vorstandswahl konnten die Anhänger der bisherigen Führungsspitze unter dem amtierenden Attac-Präsidenten Jacques Nikonoff nur eine hauchdünne Mehrheit erringen, mit zwei Sitzen Vorsprung vor der Opposition.

Und damit nicht genug: Alsbald wurden auch Vorwürfe von Wahlbetrug laut. Rund 6.000 Einzelmitglieder von Attac hatten per Briefwahl abgestimmt. Ihre Unterlagen wurden alphabetisch sortiert und, zur Auswertung, in vier Haufen eingeteilt. Die  Stimmenergebnissen in allen vier Stapeln hätten also nach dem Zufallsprinzip verteilt sein müssen, und von der Statistik her hätten Unterschiede von höchstens zwei Prozent gemessen werden müssen. Die Auszählung des letzten Haufens von 1.900 Stimmen ergab dann aber signifikante Abweichungen zugunsten der Freunde von Cassen und Nikonoff. Nach Auffassung vieler Mitglieder roch dies verdächtig, manche zogen sogar Vergleiche zu den Wahlpraktiken eines Silvio Berlusconi heran. Damit ist das Vertrauen vorläufig wohl dahin.

(Bernhard Schmid, Paris)