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Ladenöffnungszeiten

Rund um die Uhr

In mindestens elf Bundesländern sollen die Geschäfte spätestens ab 2007 rund um die Uhr öffnen dürfen. Neben Hessen und  Nieder- sachsen wollen nun auch Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Baden-Württemberg, Berlin,  Mecklenburg- Vorpommern, Schleswig-Holstein, Hamburg und Brandenburg die Ladenschlusszeiten von Montag bis Samstag komplett freigeben. Bayern, Bremen und Sachsen wollen eine – noch nicht genauer definierte – Lockerung einführen. Lediglich im Saarland wird es bei den bisherigen Öffnungszeiten bleiben. Mecklenburg-Vorpommern will als einziges Bundesland auch den Sonntag komplett freigeben. Dass die beiden Länder mit L.PDS-Regierungsbeteiligung dabei sind und mit der Sonntagsfreigabe  (Mecklenburg- Vorpommern) noch über die Planungen der übrigen Länder hinausgehen wollen, gibt schon zu denken, überrascht aber bei ihrer bisherigen Politik nicht wirklich.

Der Schleswig-Holsteinische Wirtschaftsminister Dietrich Austermann sagte, die Geschäfte sollen von Montag bis Sonnabend rund um die Uhr öffnen dürfen. Ziel sei es, die Wirtschaft anzukurbeln. Der CDU-Politiker hob hervor, dass die Strandbäder bereits positive Erfahrungen mit gelockerten Öffnungszeiten gemacht hätten. Dort seien sogar neue Arbeitsplätze entstanden. "Aus unserer christlichen Verantwortung heraus sollten wir den Schutz des Sonntags weitgehend einhalten", betonte Austermann. Das gelte auch für Feiertage. Ab wann das Gesetz gelten soll, ließ er offen. In Niedersachsen soll die neue Regelung voraussichtlich Anfang kommenden Jahres in Kraft treten. In Hessen soll es schon nach der Sommerpause einen Gesetzentwurf geben.Austermann zeigte sich zuversichtlich darüber, dass die Menschen die Änderungen positiv aufnehmen. "Mehr Möglichkeiten, mehr Angebot bedeutet auch mehr Nachfrage", sagte er. Außerdem hätten schon die verkaufsoffenen Sonntage belegt, dass die Menschen durchaus bereit seien, einkaufen zu gehen und ihr Geld auszugeben.

Die Ladenbesitzer müssten ein Kosten-Nutzen-Verhältnis für sich finden und entscheiden, wie lange sie ihre Geschäfte öffnen. Dies werde sich schon einpendeln. "Wir überlassen den Menschen, wann sie tätig werden wollen und geben nicht alles von der Politik vor, und das tun wir jetzt auch beim Ladenschluss."

Die Gewerkschaft ver.di nannte den Vorstoß für längere Öffnungszeiten "beschäftigungsfeindlich und wirtschaftlich unsinnig". Landesbezirksleiter Ernst Heilmann sagte, dafür gebe es keinen Bedarf. Die Umsatzprobleme des Handels würden nicht durch längere Öffnungszeiten gelöst, sondern durch die Steigerung der Massenkaufkraft. Ebenfalls kritisch äußerte sich der Grünen-Landtagspolitiker Detlef Matthiessen. "Die Einführung amerikanischer Verhältnisse beim Ladenschluss lehne ich ab." Die vollständige Aufhebung begünstige große Einkaufszentren, verschlechtere die Bedingungen für die Beschäftigten und bringt voraussichtlich auch nicht mehr Umsatz. Zudem litten unter den Geschäftszeiten vor allem Frauen, da sie die meisten Beschäftigten im Einzelhandel stellten. Aus diesem Grund seien Familie und Beruf dann kaum noch zu vereinbaren.

Der SPD-Sozialpolitiker im Landtag, Peter Eichstädt, begrüßte zwar die Freigabe, forderte aber strengere Beschränkungen für Sonntagsarbeit: "Die tägliche Praxis des Ladenschlusses ist geprägt durch die geschickte Ausnutzung von Sonderregelungen. In Bahnhöfen und Flughäfen sind dadurch lange Ladenreihen entstanden, in denen man zu jeder Zeit einkaufen kann." Eine Ausnahme sei nur in den Bereichen erforderlich, die jetzt schon durch die Bäderregelung erfasst ist.

Die von den meisten Bundesländern befürwortete Freiheit, die Ladenöffnungszeiten selbst zu bestimmen, stößt teilweise auch auf Widerstand. Hessens Einzelhandelsverband plant ein Bündnis mit den Kirchen gegen die geplante Liberalisierung des Ladenschlusses. "Bis 20 Uhr reicht völlig aus. Das hat das eher enttäuschende WM-Geschäft gezeigt", sagte Verbandspräsident Frank Albrecht. Das Geschäft sei nicht nur hinter den euphorischen Erwartungen zurück geblieben, teilweise habe es sogar Netto-Einbußen gegeben.
Ein ähnliches Resümee zieht auch der Einzelhandel in Hamburg, Thüringen, Sachsen und Bayern aus den ausgeweiteten Öffnungszeiten während der WM. In vielen Geschäften reiche der Umsatz nicht aus, um die Mehrausgaben für zusätzliches Personal auszugleichen, sagte ein Sprecher des Hamburger Einzelhandels. Das sehr warme Wetter habe neben der Zurückhaltung der Verbraucher ein Übriges getan, sagte der Sprecher des Landesverbands des bayerischen Einzelhandels, Bernd Ohlmann. Nur der Handel in Berlin war mit den Umsätzen während der WM zufrieden.

Glaubt man den Umfragen, begrüßt ein Großteil der Bevölkerung die Freigabe des Ladenschlusses. Das ist eine prima Idee. Wer wollte nicht schon einmal abends, angeregt durch den Kinobesuch, seiner Liebsten ein Perlenkettchen spendieren und stand frustriert vor verschlossenen Ladentüren? Hessens Ministerpräsident Roland Koch hat Recht: Wir brauchen ein "Stück mehr Freiheit in diesem Land". Und wenn es schon nicht die Freiheit vor Politikern gibt, die den BürgerInnen den letzten Groschen aus der Tasche ziehen, so gibt man wenigstens Konsumfreiheit. Der Widerspruch scheint Koch und Konsorten nicht recht aufzufallen.

Klar, für die KäuferInnen im Menschen ist es angenehm, sich nicht nach begrenzten Ladenöffnungszeiten richten zu müssen. Doch diese Freiheit hat ihren Preis. Erstens ist zu befürchten, dass kleine Einzelhändler noch stärker unter Druck geraten und der Konzentrationsprozess in der Branche an Tempo gewinnt. Verlierer könnten, zweitens, die Innenstädte sein. Und schließlich haben das Verkaufspersonal und deren Angehörige einen Teil der Kosten in Form veränderter Arbeitszeiten und Zerstörung des Familienlebens zu tragen.

Schon einmal wurde behauptet, längere Öffnungszeiten würden den Konsum ankurbeln. Das war eine Milchmädchenrechnung. Statt von Freiheit zu reden, sollten Politiker dafür sorgen, dass den BürgerInnen ein Stück mehr Einkommen bleibt. Schon die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird mit Sicherheit an die KundInnen weitergegeben; Weitere Kosten durch mehr Personal würden die Gewinne schmälern oder die Preise steigen lassen. Das erste werden die Bosse, das zweite die KosumentInnen nicht mitmachen.
Die BefürworterInnen müssen sich allerdings darüber im Klaren sein, dass der Einzelhandel hier nur Vorreiter sein wird und andere Dienstleister wie Versicherungen, Banken, Behörden, Werkstätten u. s. w. nachziehen werden. Zwar werden sich die Umsätze und Gewinne wohl erneut nur noch mehr von den kleinen Einzelhändlern, die schon die Ausweitung der Öffnungszeiten auf 20:00 Uhr nicht mitmachen konnten, zu den Handelskonzernen verlagern, aber dieser Verdrängungswettbewerb wird auch in den übrigen Dienstleitungsbereichen stattfinden. Die ‚Freiheit’, rund um die Uhr einkaufen zu können, werden wir mittelfristig alle mit deutlich veränderten – und möglicherweise längeren – Arbeitszeiten bezahlen müssen. Das von den BefürworterInnen gern zitierte Beispiel von Feuerwehr, Polizei und Krankenhäusern zählt nicht, denn zwischen einer Versorgungsnotwendigkeit und einer bloßen Bequemlichkeit besteht immer noch ein Unterschied.

Die Gewerkschaften sind nun gefordert, frühzeitig Kampagnen und Proteste zu organisieren. In den Tarifverhandlungen müssen sie deutlich machen, dass die Beschäftigten die Pläne der Ministerpräsidenten ablehnen und für menschliche Arbeitsbedingungen kämpfen werden.
 

(csk)