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Versicherungen

Talanx streicht 1.800 Stellen

Der Talanx-Versicherungskonzern wird nach der Übernahme des Kölner Konkurrenten Gerling 1.800 Stellen von insgesamt 16.800 Arbeitsplätzen streichen.

Das geht aus einer Mitteilung des Vorstands an die Belegschaft über die neue Struktur nach der Fusion hervor, die am 19. Juli 2006 in Hannover veröffentlicht wurde. Dabei verlieren im Inland rund 1.500 von 11.000 Beschäftigten ihren bisherigen Job. Verhandlungen über einen Sozialplan seien mit dem Betriebsrat bereits aufgenommen worden.

Talanx teilt mit, dass Köln und Hannover erhalten bleiben. Am Rhein werde die Lebensversicherungssparte gebündelt, an der Leine das Industrie- und Sachgeschäft. Der Gerling-Standort in Wiesbaden mit 450 Beschäftigten werde geschlossen und nach Köln verlagert. Auch die Talanx-Tochter Aspecta in Hamburg mit 420 Arbeitnehmern werde in die Domstadt verlegt. Die Konzernzentrale bleibe in Hannover.

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) begrüßte die Entscheidung. Auch sein nordrhein-westfälische Kollege Jürgen Rüttgers (CDU) zeigte sich zufrieden: „Die Entscheidung unterstreicht die Zukunftsfähigkeit und Attraktivität des Versicherungsstandortes Nordrhein-Westfalen.“

Gerling war im Jahr 2002 in die Krise geraten und hatte das gesamte Rückversicherungsgeschäft verkauft. Die drittgrößte deutsche Versicherungsgruppe Talanx bringt sich mit der Übernahme auch gegen den Marktführer Allianz in Stellung.

Der Vorstand verteidigte in der Mitteilung die Personalentscheidungen, die nicht - wie in vielen Unternehmen der Branche üblich - in Kostensenkungsprogrammen ihren Grund hätten. Vielmehr stehe im Vordergrund, Doppelarbeit zu vermeiden. „Es geht darum, aus zwei Unternehmensgruppen, die sich im deutschen Markt sowie in ihren Geschäftsfeldern und Kundengruppen mehr oder weniger  überlappen, effiziente Einheiten zu formen.“ Deshalb gebe es im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns keine Alternative. Es werde aber mit dem Betriebsrat nach Lösungen gesucht, um die Nachteile für die Betroffenen so gering wie möglich zu halten.Detaillierte Informationen über die Stellenpläne für die einzelnen Konzerneinheiten würden noch erarbeitet. Dabei soll auch ein Konzernarbeitsmarkt für diejenigen eingerichtet werden, die sonst umziehen müssten.

Mit der Übernahme von Gerling bringt sich die drittgrößte deutsche Versicherungsgruppe gegen den Marktführer Allianz in Stellung. Der Konzern wolle weiter wachsen hatte der scheidende Vorstandschef Wolf Baumgartl bei der Bilanzpressekonferenz vor rund einem Monat gesagt. Die liquiden Mittel würden derzeit zwar nur für kleinere Zukäufe reichen, größere Projekte in Höhe von fünf bis acht Milliarden Euro seien aber mit Hilfe eines Börsengangs durchaus vorstellbar. Die Talanx-Versicherungsgruppe bietet unter mehreren Markennamen in den Sparten Schaden-, Unfall-, Lebensversicherung, Rückversicherung und Finanzdienstleistungen an. Zum Konzern gehören als wichtigste Marken der Industrieversicherer HDI, die Hannover Rück und jetzt auch Gerling.

Talanx erwartet in diesem Jahr Bruttobeitrags-Einnahmen von mehr als 20 Milliarden Euro, nach 15,4 Milliarden Euro 2005. Ohne größere Katastrophen rechnet der Konzern 2006 mit einem operativen Gewinn von mehr als 1,3 Milliarden Euro. Das wäre für Talanx ein Rekord. Im vergangenen Jahr hatten die Hurrikans in den USA dem Versicherungskonzern die Bilanz gründlich verdorben. Alles andere sei aber „hervorragend“ gelaufen, hieß es.

Kraftlos präsentierten sich die Lebensversicherer im ersten Quartal. Doch Achtung: Das lag an einer fehlerhaften Statistik. Tatsächlich erhöhte sich der Neuzugang von Verträgen nach endgültigen Angaben des Branchenverbands um knapp acht Prozent auf 64,8 Milliarden Euro. Sogar die klassische Kapitallebensver-
sicherung legte zu, obwohl sie seit dem Fall des Steuerprivilegs bestenfalls etwas für Liebhaber ist. Ihr Nachfolger namens Riester-Rente sticht dank Deutschlands-Renten-sind-unsicher-Kampagnen alles aus und die Zahl der abgeschlossenen Policen stieg um sagenhafte 430 Prozent. Den Assekuranzkonzernen geht es besser als im Land bekannt.

Ein Schelm, wer in den alten - fehlerhaften - Zahlen eine Unterstützung der Spar-Appelle sieht, den die Großen der Branche an ihre Belegschaften richten, um für den Zwangsabschied von vielen Tausend Lohnabhängigen um Verständnis zu werben. Nach Ergo, Generali und Allianz, nach Zürich Versicherung und Swiss Re folgt nun Talanx. Mit der Gerling-Übernahme sollen 1800 Stellen gestrichen werden. Die Maxime: sinkende Kosten, steigende Einnahmen und Rekordrenditen.

Immer weiter hat sich die frühere genossenschaftliche Versicherung dem Kapitalmarkt genähert. Gewiss ist die Situation der Talanx eine spezielle - trotzdem überzeugt ein Vorstoß der Gewerkschaft Verdi. Sie fordert „ein gesetzlich geregeltes Verbot betriebsbedingter Kündigungen für Unternehmen, die nicht in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken“. Konzernnahe Medien kritisieren sie für diesen „direkten Angriff auf die marktwirtschaftliche Ordnung“ – und haben damit Recht. Eine solche Sozialbindung wäre ein Angriff auf liberalistische Zumutungen. Aber Rekordprofite bei gleichzeitigem Personalabbau verteilen Gewinne und Verluste ungerecht. Eine solche Marktwirtschaft ist schon lange nicht mehr sozial, wir müssen sie nicht als erstrebenswert akzeptieren.

 
csk

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