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Mecklenburg-Vorpommern:

In der L.PDS kein großes Politikum

In Mecklenburg-Vorpommern hat die regierende Koalition aus SPD und Linkspartei.PDS im Juni mit Unterstützung der CDU eine erhebliche Verschärfung der Polizeigesetze beschlossen. Uneingestandenes Motiv waren nicht zuletzt die Proteste, die es im nächsten Sommer gegen den G-8-Gipfel geben wird, der für Juni im Luxus-Badeort Heiligendamm bei Rostock geplant ist. Fredrik Roggan, Anwalt aus Berlin, der als Sachverständiger am Gesetzgebungsverfahren beteiligt war, hält die neuen Gesetze für verfassungs-
widrig. Nirgendwo sonst gehen die Bestimmungen zur Videoüberwachungen so weit. Im MV können zum Beispiel künftig auch Richtmikrofone eingesetzt werden. Der Einsatz erfolgt an sogenannten Kriminalitäts-
schwerpunkten. Wir sprachen über die neuen Gesetze mit Jan Steyer der in Greifswald Mitglied der Roten Hilfe ist, einer Solidaritätsorganisation für politisch Verfolgte.
 

(wop)


 LinX: Im Juni wurde in Mecklenburg-Vorpommern das Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) verschärft. Was kommt auf die sozialen Bewegungen im Nordosten der Republik zu?

- Jan Steyer (J.S.): Die Gesetzesänderungen waren von der in Schwerin regierenden rot-roten Koalition eingebracht worden. Die Neuerungen sind sehr weitgehend und orientieren sich stark am Hamburger Polizeigesetz, das letztes Jahr vom Hamburger  Mitte- Rechts-Senat beschlossen wurde und als eines der bundesweit repressivsten Polizeigesetze gilt. Neu ist zum Beispiel die Videoüberwachung des öffentlichen Raumes. Laut SOG sind nun recht einfach sogenannte Kriminalitätsschwerpunkte definierbar, an denen Überwachungskameras installiert werden können.

Das aus meiner Sicht skandalöseste an den Verschärfungen ist, dass nun auch zwangsweise Blutentnahme erleichtert wird. Bisher ging das nur auf richterliche Anweisung, jetzt können Polizisten das in Eigen-
initiative durchführen, wenn „Gefahr im Verzuge“ ist. Nach offizieller Begründung geht es um den Schutz der Beamten vor Ansteckung mit HIV oder Hepatithis, aber das eigentliche Motiv ist das Sammeln von Daten für die bundesweite DNA-Datenbank.

LinX: Sind die neuen Regeln bereits zum Einsatz gekommen?

J.S.: Ja, den ersten uns bekannt gewordenen Fall gab es Mitte August im Rahmen des Anti-
Globalisierungs-Camps „Camp Inski“ in der Nähe von Bad Doberan. Einer Teilnehmerin wurde zwangsweise Blut entnommen, weil sie angeblich einen Polizisten gebissen hatte. Weitere Verschärfung betreffen das Abhören von Handys, Emails und Telefonen, wo die polizeilichen Befugnisse erheblich ausgedehnt wurden. Künftig kann die Polizei auch sogenannnte IMSI-Catcher einsetzen. Das sind Geräte, die eine Funkzelle für Mobiltelefone simulieren. Über diese gehen dann alle in deren Umgebung geführten Handy-Telefonate ein und aus. Der besondere Clou an diesen Geräten ist, dass sie abgeschaltet werden können, so dass in ihrem Einzugsgebiet kein Handyempfang mehr möglich ist. Im nieder-
sächsischen Wendland wurde dergleichen schon im Zusammenhang mit den Protesten gegen Atommülltransporte angewandt.

LinX: Das heißt, dieser Catcher gaukelt den Handys vor, er sei eine normale Mobilfunkantenne und leitet dann die Gespräche nicht weiter?

J.S.: Genau. Der IMSI-Catcher funktioniert wie eine Funkzelle. Das heißt alle Gespräche laufen über ihn. Dabei speichert er alle Daten: die Rufnummern, die Zeiten der Telefonate, die Gerätenummern der Handys und die Nummern der jeweiligen SIM-Karten. Damit wird im nachhinein überprüfbar sein, wer sich in dem fraglichen Gebiet aufgehalten hat.Außerdem wurde mit dem neuen SOG ein automatisches KfZ-Kennzeichenlesesystem eingeführt. An Ein- und Ausfallstraßen kann die Polizei jetzt sämtliche Kennzeichen automatisch Einlesen, Speichern und mit anderen Datensätzen abgleichen.

LinX: Die Gesetzesänderungen sind zum ersten Mal im Zusammenhang mit dem „Camp Inski“ zur Anwendung gekommen?

J.S.: Schon die Proteste gegen den Bush-Besuch in Stralsund waren ein gewisser Vorlauf. Beim „Camp Inski“ hat es mehrere Polizeiübergriffe gegeben, bei denen auch einige Teilnehmer durch die Polizei verletzt wurden. Was die konkrete Umsetzung der neuen Gesetzesverschärfungen angeht, so wissen wir bisher nur konkret von der erwähnten erzwungenen Blutentnahme.

LinX: Das ganze wurde von CDU, SPD und Linkspartei.PDS beschlossen...

J.S.: Ja. Nur wenige Abgeordnete der Linkspartei.PDS haben dagegen gestimmt. Dadurch, dass das Gesetzespaket so schnell durchgepeitscht wurde und ins Sommerloch fiel, ist es auch innerhalb der Linkspartei.PDS kein großes Politikum gewesen, und in der Öffentlichkeit schon gar nicht. Ich nehme an, das Timing war kein Zufall, denn jetzt im Wahlkampf – am 17. September wird bei uns ein neuer Landtag gewählt – wird sich natürlich an innerparteilicher Kritik wenig rühren. Von allen kandidierenden Parteien kritisiert einzig die WASG die Verschärfungen im SOG.