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Aus dem Berliner Horrorkabinett

Wir alle und unsere Familien sollten Ronald Pofalla dankbar sein. Der CDU-Generalsekretär, schon bisher nicht gerade durch intelligente Geistesblitze aufgefallen, hat ein Gefühl dafür, wie man die Menschen mit ihren Lieben zusammenschweißt, statt sie der kalten Fürsorge des Staatsapparates auszusetzen: Erwachsene Kinder, sagt Pofalla, sollten wieder verpflichtet werden, für ihre arbeitslosen Eltern "einzustehen", sprich: zu bezahlen. So, wie es vor Hartz IV bei der alten Sozialhilfe war. Pofallas Fraktionskollege Ralf Brauksiepe stimmte am Dienstag freudig zu und wurde gleich grundsätzlich: "Ist eigentlich für alles der Staat zuständig?"

Im Ernst: Nein, das ist er nicht. Aber dass er, der Staat, bei solchen Kleinigkeiten wie Massenarbeitslosigkeit in der Pflicht steht, sollte doch unumstritten sein, oder?

Womit wir beim harten Kern des sommerlichen Zeitvertreibs wären. Hinter Pofallas konkreter Zumutung steckt die Frage nach dem Verhältnis zwischen privater und öffentlicher Absicherung von Lebensrisiken. Die Diskussion darüber ist, auch in der Union, noch lange nicht abgeschlossen. Aber es gibt im geistigen Umfeld der CDU erkennbare Bemühungen, staatliche Aufgaben in den Schoß der Familie hinein zu privatisieren.

Wenn Hartz IV von der Idee her etwas Positives hatte, dann dies: Das Arbeitslosengeld II trägt in sich Elemente einer staatlichen  Grund- sicherung. Wer aus der Sozialhilfe in den Hartz-IV-Status wechselte, sollte aus der Rolle des passiven Fürsorge-Empfängers geholt und beim Wiedereinstieg in die finanzielle Eigenständigkeit durch Arbeit "gefordert und gefördert" werden. Die finanzielle  Grundausstattung war, wenn auch in der Höhe oft unzumutbar bescheiden, im Prinzip als Startrampe für den Sprung zurück in den Job gedacht. Dass die konkrete Ausgestaltung diesem Anspruch nicht gerecht wurde, steht auf einem anderen Blatt. Die Idee als solche ist dadurch nicht weniger richtig.

Zum Konzept der aktivierenden Grundsicherung gehörte auch dies: Sie sollte nicht abhängig sein von den familiären Verhältnissen des Einzelnen. Das Modell sah Eltern nur begrenzt und Kinder gar nicht in der Pflicht. Nicht die Familie, deren abnehmende Bindekraft durch einen Zwang zur Unterstützung der Eltern nicht gerade gestärkt wird, sollte der Ort einer zumindest minimalen sozialen Sicherheit sein. Diese Sicherheit wenn nicht in allen, so doch in existenziell entscheidenden Lebenslagen zu bieten, war und ist Kernaufgabe eines Sozialstaats.

Sozialleistungen – und die Beiträge dazu – nach dem persönlichen Einkommen und Vermögen der Empfänger und Einzahler zu staffeln, steht dazu nicht im Widerspruch. Pofalla will das ja auch: Er spricht, ohne Zahlen zu nennen, von vergleichsweise hohen Freibeträgen für Kinder, bevor sie ihren Eltern das Arbeitslosengeld bezahlen sollen. Nur: Wenn es um diese Gerechtigkeits-Komponente ginge, dann gäbe es bessere Ideen, als das Risiko Arbeitslosigkeit teilweise zu privatisieren. Aber ans Ehegatten-Splitting, das wohlhabende,  kinderlose Ehepaare begünstigt, oder auch an die Beitragsbemessungsgrenzen, durch die die Wohlhabenden sparen, traut sich niemand heran.

Nein, bei Pofalla schwingt etwas anderes mit: Konservative Publizisten bemühen sich seit einiger Zeit um eine Renaissance der Familie als eigentlichem Ort der Solidarität und der Risiko-Absicherung. Soweit hat auch die Unionsbarbie aus Niedersachsen, Ursula von der Leyen, den Vorschlag als ‚nachdenkenswert’ begrüßt. Es steckt in diesen Lobliedern aufs traute Heim ein gehöriger Schuss  Staatsfeindlichkeit. Ein Gesellschaftsbild, das das private Umfeld zum Reparaturbetrieb öffentlicher Probleme macht. Dies wäre ein  Rück- schritt in die Zeit vor Bismarck. Selbst die Neoliberalen in der SPD wollen diesen Weg nicht beschreiten.

Pofallas Vorschlag steht in krassem Widerspruch zu Erkenntnissen, die sich auch seiner Partei bereits durchgesetzt haben. Zu ihnen gehört, dass "Familie" nicht mehr ist, wenn sich Oma und Enkel und alle anderen am gemeinsamen Küchenofen wärmen. Dass Solidarität ohne einen Staat, der auch finanziell fördernd und ausgleichend wirkt, nicht mehr geht. Das Privatisieren von Notlagen wäre das Gegenteil einer in diesem Sinne modernen Politik.

"Wir denken vom Kind her", hat Ronald Pofalla vor einigen Monaten geschrieben. Er wird das (erwachsene) Kind doch nicht als Lückenbüßer für den Staat gemeint haben? Schon heute erwarten die Regierenden von diesem Personenkreis, dass er

• zu Billiglöhnen arbeitet, damit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gewährleistet ist

• dies natürlich bis zum 67. Lebensjahr durchhält oder erhebliche Rentenabschläge hinnimmt

• Kinder bekommt – selbstverständlich mehr als eins – und dann für deren Erziehung und Ausbildung aufkommt

• konsumiert, damit die Binnenkonjunktur angeheizt wird

• private Altersvorsorge betreibt

• die Renten der heutigen RentnerInnen finanziert.

Als ob die Pofalla’schen Einfälle nicht genügen, setzt nun der Finanzminister Steinbrück noch eins drauf. Wir alle sollen doch bitteschön auf Urlaubsreisen verzichten und dafür Geld fürs Alter zurücklegen. Inzwischen hat er seine Aussage zwar präzisiert, weil er nicht ‚Staatskommisar für Urlaubsfragen’ sein will und möchte nur noch, dass ArbeitnehmerInnen Zukunftsvorsorge betreiben müssen, notfalls auch zu Lasten des Gegenwartskonsums. Genau da aber liegt das Problem. Steinbrück hat Recht: Die gesetzliche Rente schützt uns nicht vor der Altersarmut; diejenigen jedoch, die am meisten von Altersarmut bedroht sind, können keine Zukunftsvorsorge betreiben, weil ihnen schlicht und einfach die dafür nötigen Euros fehlen.

Hiefür sind nicht zuletzt die Pofallas und Steinbrücks dieser Koalition mitverantwortlich, denn die von der Koalition beschlossenen Maßnahmen zur Erhöhung von Verbrauchssteuern, Beiträgen und zum Sozialabbau treffen ArbeitnehmerInnen und BezieherInnen von Sozialleistungen besonders.

Besonders dreist haben sich CSU und Arbeitgeberverbände zu Wort gemeldet. ArbeitnehmerInnen sollen nicht nur auf Urlaubsreisen, sondern gleich auf Urlaubstage verzichten. Das hat dann mit Zukunftsvorsorge nichts zu tun, erhöht aber die Gewinne. Und nur das ist für die Herrschenden letztendlich wirklich wichtig.

csk