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Gesundheitswesen:

Ungesunder Wettbewerb

Die Bundesregierung wünscht sich mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen. Ausgerechnet im Gewerk-
schaftslager, das die Politik dabei gar nicht im Blick hat, ist die Idee Wirklichkeit geworden. Der Marburger Bund kämpft nicht nur für höhere ÄrztInnen-Gehälter, sondern auch gegen die Gewerkschaft ver.di. Tut dieser Konkurrenzkampf der Gesundheitsbranche gut? Nein, möchte man rufen, wenn man an die wochenlangen Streiks und das vergiftete Klima im ArbeitnehmerInnenlager denkt. Doch so einfach ist die Sache nicht.

Für die Mega-Gewerkschaft ver.di, die sich um Beschäftigte aus der gesamten Dienstleistungsbranche kümmert, ist es extrem schwierig, die Interessen aller ArbeitnehmerInnen gleichermaßen zu vertreten. Reinigungskräfte, Verwaltungsangestellte, PflegerInnen und ÄrztInnen haben ganz unterschiedliche berufliche Wünsche und Sorgen. Hinzu kommt: Starke Gruppen wie ÄrztInnen und PilotInnen, die relativ flexibel und auf dem Arbeitsmarkt begehrt sind, messen ihre Gehälter am - teils höheren - Einkommen der KollegInnen im Ausland. So steigen die Ansprüche.

ver.di kümmert sich jedoch mehr um Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen. Das hat etwas mit ihrem sozialen Anspruch zu tun und ihrer Basis: In der Gewerkschaft sind deutlich mehr PflegerInnen und Müllmänner organisiert als hoch qualifizierte Spitzenkräfte. Deshalb gibt es inzwischen eigenständige Verbände für ÄrztInnen, PilotInnen und FluglotsInnen, die versuchen, mehr für ihre Klientel herauszuholen. Manchmal klappt das auch. Vor fünf Jahren haben die Lufthansa-PilotInnen für 30 Prozent mehr Geld gestreikt und immerhin zwölf Prozent durchgesetzt.

Auch der Marburger Bund hat für die MedizinerInnen in städtischen Kliniken schon etwas erreicht - wenn auch nur indirekt: ver.di und die Arbeitgeber haben im vergangenen Jahr einen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst abgeschlossen, der eigentlich bis Ende 2007 halten sollte. Doch vergangene Woche haben beide Tarifparteien einen Nachschlag vereinbart: eine satte Erhöhung von bis zu zehn Prozent für ÄrztInnen und eine bescheidene Zulage von 35 Euro für das andere Personal.

Dieser Abschluss ist ein Erfolg des Marburger Bundes. Ohne die ÄrztInnenstreiks hätten die Arbeitgeber nicht nachgelegt. Machtpolitisch konnte allerdings ver.di punkten, weil sie als Verhandlungspartnerin ihre Rolle als führende Gewerkschaft demonstrierte. Bleibt festzuhalten: Der Wettstreit der beiden Gewerk-
schaften hat den Beschäftigten zumindest in diesem Fall einen höheren Tariflohn beschert.

Doch der Ärztegewerkschaft reichte das nicht. Sie hat den ver.di-Abschluss in schrillen Tönen zurückge-
wiesen und forderte noch mehr Geld für die MedizinerInnen.

Und damit sind wir bei den Schattenseiten des gewerkschaftlichen Konkurrenzkampfs. Mit seinen polemischen Attacken vergiftet der Chef des Marburger Bundes, Frank Ulrich Montgomery, das Klima im Gewerkschaftslager. Mal schimpft er über die "ver.diktatur", mal unterstellt er ver.di eine "mafiöse Verbindung" zu den Arbeitgebern. Bei aller Sympathie für offenen Streit: Wenn sich Gewerkschaften gegenseitig niedermachen, nützt das eher den Arbeitgebern als den Beschäftigten. Montgomery hat auch offenbart, welche Beschäftigten er wirklich wichtig findet. In einem Interview verglich er ÄrztInnen mit SchauspielerInnen - und das andere Personal mit Kulissenschiebern. Wer solche Bilder im Kopf hat, von dem ist kaum zu erwarten, dass er energisch versucht, die hierarchischen Strukturen in Krankenhäusern aufzubrechen. Genau das wäre aber notwendig.

In dem Konflikt geht es nicht nur um die Interessen der ÄrztInnen. Der Marburger Bund kämpft auch darum, als eigenständig handelnde Gewerkschaft anerkannt zu werden. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass er derart harsch auftritt und die Streiks so lange dauern.

Der Vertrag, der nun abgeschlossen wurde, soll sich an dem Kompromiss orientieren, den die Hochschul-
medizinerInnen mit den Bundesländern im Juni gefunden hatten, jedoch nicht den ganzen Gehaltssprung der UniklinikärztInnen nachvollziehen. Er sieht Einkommensverbesserungen zwischen 10 und 13 Prozent im Vergleich zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vor, den die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im vergangenen Oktober ausgehandelt hatte. Im Vergleich zum früher einmal für ÄrztInnen geltenden Bundesangestellten-Tarifvertrag liegt das Plus allerdings nur zwischen 1,5 und 4 Prozent. Außerdem beinhaltet der Kompromiss eine "objektive Zeiterfassung" der Arbeitszeit, sagte ein Sprecher des Marburger Bunds. Die Dienstdauer soll auf 18 Stunden begrenzt werden. Auf diese Weise solle die "Überstunden-
problematik" in den Kliniken in den Griff gebracht werden.

Der Abschluss bestätigt den Marburger Bund auch darin, dass es sinnvoll war, trotz wachsenden Drucks in den Forderungen nicht nachzugeben. Zwischenzeitlich hatten die Arbeitgeber versucht, durch einen mit ver.di abgeschlossenen Vertrag neue Tatsachen zu schaffen. Ver.di und der Marburger Bund hatten eine Tarifgemeinschaft gebildet, bis die Ärztegewerkschaft das Bündnis im Dezember vergangenen Jahres aufgekündigt hatte.

Die nun erzielte Einigung sei besser als der ver.di-Vertrag, sagte ein Sprecher der Standesorganisation. FachärztInnen verdienen im Schnitt rund vier Prozent mehr als bei der ver.di-Einigung, AssistenzärztInnen erhalten durchschnittlich über drei Prozent mehr. Die kommunalen Arbeitgeber sprachen dagegen von einem "aufgezwungenen Kompromiss" und warnten, der Abschluss könnte "für manche Klinik die Existenzfrage verschärfen". 40 Prozent der kommunalen Kliniken schreiben nach Arbeitgeberangaben schon heute rote Zahlen. Nun fürchten die Kommunen, dass Stellen und Betten abgebaut und auch einige Häuser geschlossen werden müssen.

Nun auf, die Skalpelle gewetzt und frisch alle verschobenen Operationen nachgeholt. Acht Wochen haben die ÄrztInnen der kommunalen Krankenhäuser gestreikt - eine respektable Zeit für streikerprobte ArbeiterInnen, ganz zu schweigen für bis dato auf diesem Gebiet kaum geprüfte MedizinerInnen. Dafür aber war's auch ein Arbeitskampf, bei dem mal hier, mal dort gestreikt wurde, aber nirgendwo medizinisch notwendige Behandlungen liegen bleiben sollten.

Wer nun hat gewonnen? Vordergründig jedenfalls die ÄrztInnen. Der Abschluss liegt auf dem Niveau desjenigen für Unikliniken und damit ein gutes Stück über dem von Ver.di ausgehandelten. Gewonnen haben sie auch das für ihren halbwegs elitären Berufsstand ungewohnte Arbeitergefühl, gemeinsam stark zu sein. Sie haben aber auch verloren: ein Stück Solidarität der anderen Klinikbeschäftigten, mag es auch vorher nicht gerade groß gewesen sein.

Was hat es zum Beispiel mit Solidarität zu tun, dass die Marburger-Bund-Führung als Beitrag zur Verbesserung der beruflichen Situation ihrer Klientel und im Blick auf eine bessere Patientenversorgung nicht etwa eine drastische Verkürzung der skandalös langen  Arbeits- zeiten in den Mittelpunkt der Streikziele gestellt hat, sondern in erster Linie die bessere Bezahlung derselben? Für die Sicherheit der Patientenversorgung ist es doch unerheblich, ob die übermüdeten ÄrztInnen ihre Überstunden bezahlt bekommen oder nicht.  Selbstver- ständlich müssen Überstunden ordentlich bezahlt werden, aber solidarische Gewerkschaftsarbeit hatte immer schon aus guten Gründen zum Ziel, Überstunden nach Möglichkeit abzubauen – auch in Branchen, wo es um weniger geht als um die Rettung von Leib und Leben der Menschen.

Der Marburger Bund hat einen Augenblickserfolg errungen. Aber ob er auf mittlere und lange Sicht seinen Mitgliedern nicht einen Bärendienst erwiesen hat, werden die nächsten Jahre zeigen, wenn es aus wirtschaftlichen Gründen (Stichwort: Gesundheitsreform) darum gehen wird, die Zahl der „teuren“ Ärztinnen und Ärzte zu verringern, die Aufstiegschancen für den Nachwuchs einzuschränken, den MedizinerInnen bestimmte Aufgaben wegzunehmen.

Verloren haben sicher die Kliniken, die nun sehen müssen, wo sie das Geld für den Abschluss herbekommen. Und verloren hat auch ver.di. Die Großgewerkschaft hat sich augenscheinlich mit weniger zufrieden gegeben, als möglich gewesen wäre. Da zieht auch nicht das Argument, ver.di habe für alle verhandelt. Entscheidend für das Urteil über eine Gewerkschaft ist halt doch, wie viel hinterher bei rauskommt. In Euros.

Wie stark der Marburger Bund aus dem Konflikt herauskommt, ist noch ungewiss. Angenommen, er etabliert sich als  Ärztegewerkschaft. Dann ist es durchaus möglich, dass Montgomery seine Fehde mit ver.di beilegt. Auch eigenständige Verbände können in Grundfragen zusammenarbeiten. Zwischen ver.di, dem PilotInnenverband Cockpit und der FlugbegleiterInnen-Organisation Ufo gibt es bereits eine Annährung, berichten ver.dianer. Eine solche Kooperation ist mit Sicherheit sinnvoller als ein kräftezehrender Dauerstreit der Gewerkschaften.

csk